Aufgelesen

Natürlich hat es kein Lenkrad!

| 20. Februar 2018
Bild: istock.com/Zeferli

"Unser Wirtschaftssystem wäre beschämend für uns, wenn man es einem imaginären Besucher eines fremden Planeten vorführen würde" meint der britische Ökonom Abba P. Lerner und lädt uns ein, sich "dem Problem einmal aus einer anderen Perspektive zu nähern".

Stellen Sie sich vor, in einem interplanetarischen Abenteuer von Buck Rogers zu sein. Auf einer Autobahn in Richtung der Stadt von morgen. Die Autobahn ist breit und gerade und ihre Ränder sind nach oben gewölbt, so dass es für ein Auto fast unmöglich ist, von der Straße abzukommen.

Sie sehen am Horizont etwas, das wie ein außer Kontrolle geratenes Auto aussieht. Es rast die Straße entlang und dreht sich immer quer zur Straße. Sobald es sich den gewölbten Rändern der Autobahn nähert, drehen sich dessen Vorderräder, sodass es dann wieder auf den gegenüberliegenden Rand zufährt. Dort angekommen wiederholt sich das Ganze auf die gleiche Weise. Das Auto fährt also im Zickzack immer weiter der Autobahn entlang.

Während sich das Auto Ihnen immer weiter nähert, fragen Sie sich, wie lange es dauern wird, bis es kracht, wenn ein anderes Auto mit ähnlichem Fahrverhalten auftaucht. Das Auto hat nun Ihren Standort erreicht und bremst abrupt vor Ihnen ab. Eine Tür öffnet sich und der dann zum Vorschein tretende Insasse fragt Sie, ob Sie mitfahren möchten. Sie schauen in das Auto und bevor Sie sich zusammenreißen können, bemerken Sie schockiert: „Aber … das Auto hat ja gar kein Lenkrad!“

„Natürlich hat es kein Lenkrad!“ sagt ein anderer Insasse verärgert. „Denken Sie nur daran, wie viel Raum es wegnehmen würde. Ein Vordersitz wäre dann kaum noch möglich. Ein Lenkrad ist zudem schlimmer als ein altmodischer Schalthebel und zudem noch gefährlich. Angenommen, wir hätten ein Lenkrad und jemand hielte es fest, wenn wir uns dem Rand der Autobahn näherten: Das automatische Drehen der Räder wäre außer Kraft gesetzt und das Auto würde mit Sicherheit umkippen! Und außerdem sind wir Verfechter der Demokratie und werden niemandem die alleinige Gewalt über Leben und Tod aller Insassen geben. Das wäre Diktatur."

„Nieder mit der Diktatur!" rufen die restlichen Insassen des Autos im Chor.

„Falls Sie sich Sorgen über das zickzackartige Fahrverhalten des Autos machen", fährt der erste Insasse fort, „dann kann ich Ihre Zweifel zerstreuen! Wir haben wunderbare Bremsen. Diese verhindern in neun von zehn Fällen eine Kollision. Auf unseren tollen Straßen ist der Bordstein so effektiv, dass man Hunderte von Kilometern zurücklegen kann, ohne auch nur einmal von der Straße abzukommen. Wir verfügen zudem über ein sehr effizientes System, um Überlebende von Unfällen in nahegelegene Krankenhäuser zu bringen und die Unfallreste schnell von der Straße zu schaffen. Die Reste werden dann auf nahegelegenen Deponien gebracht, die die Menschen an das Unvermeidliche erinnern sollen.“

Sie schauen sich um und erblicken die Haufen von Überresten und ausgebrannten Autos, während der Mann im Auto mit seinen Beteuerungen fortfährt: „Beeindruckend, nicht wahr? Aber die Dinge werden sich verbessern. Sehen Sie die Männer dort, die die Spuren des vorhergehenden Autos markieren und abfotografieren? Diese werden ihre Befunde, auch die hinsichtlich unseres Autos, dann in ihre Labors schaffen, um die zyklischen Charakteristika der Kurven, ihre Regelmäßigkeit, die durchschnittliche Distanz von Drehung zu Drehung, die Amplitude des Zickzacks und so weiter zu analysieren. Wenn sie sich über die wahre Natur hinter den Zahlen diesbezüglich geeinigt haben, wissen wir vielleicht, ob man etwas dagegen tun kann. Gegenwärtig streiten sie darüber, ob diese zyklische Bewegung auf die Art der Fahrbahnoberfläche oder ihre Form zurückzuführen ist. Oder ob sie auf die Länge des Autos oder auf die Art des Reifengummis oder auf das Wetter zurückzuführen ist. Einige von ihnen denken, dass es unmöglich sein wird, den Zickzackkurs der Autos zu vermeiden, wenn wir nicht zum Pferd und Einspänner zurückkehren wollen. Aber das können und wollen wir nicht, da wir ja schließlich an den Fortschritt glauben.

Also? Wollen Sie nun mitfahren?"

Quelle: Abba P. Lerner : Economics of Employment (1951), S. 3 - 5