Bündnis Sahra Wagenknecht

„Geld- und bodenpolitische Leerstellen“

| 23. April 2024
IMAGO / photothek

Um über einen wichtigen Baustein im Programm des BSW mehr Klarheit zu gewinnen, lohnt ein Blick in das Buch von Sahra Wagenknecht. Der Ökonom Werner Onken hat das getan.

Diese EU-Wahl sei tatsächlich eine Richtungswahl: „Es gibt in Fragen der Ökonomie und Ökologie eine deutliche Trennung zwischen rechts-neoliberalen und links-grün-sozialdemokratischen Programmen“, so das Fazit von Roland Pauli in seinem Beitrag Fiskalpakt, Next-Generation-Krise das große Rollback. Eine Besonderheit sieht Pauli einzig im Programm des Bündnis Sahra Wagenknecht, „das zwischen links-antimonopolistischen Elementen und Anleihen bei marktliberaler Ordnungspolitik schwankt.“

Um über einen wichtigen Baustein im Programm des BSW größere Klarheit zu gewinnen, lohnt ein Blick in das letzte Kapitel des Buches von Wagenknecht: Reichtum ohne Gier von 2016. Das Kapitel heißt Eigentum neu denken. Der Ökonom Werner Onken hat genau das getan. Das Ergebnis präsentiert er im dritten Band seines dreibändigen Werkes Marktwirtschaft ohne Kapitalismus auf sechs Seiten unter der Überschrift Sahra Wagenknechts marktwirtschaftlicher Kapitalismus.

Wagenknecht, so Onken, sei eine Person mit einer beeindruckenden Entwicklung vom ehemaligen Mitglied der „Kommunistischen Plattform“ in der PDS zur „Verfechterin einer ordoliberal-marktwirtschaftlichen Kritik am Finanzmarktkapitalismus“. An dieser Entwicklung dürfte Onken Gefallen finden. Denn als Nicht-Kommunist und Anhänger der Freiwirtschaftslehre des Kaufmanns und Sozialreformers Silvio Gesell (1862–1930) begrüßt er die Absage an eine zentralistische Planwirtschaft. Von Karl Marx und dessen Mehrwerttheorie grenzt er sich scharf ab. Ob Wagenknecht das mit gleicher Konsequenz wie Onken tut, wird noch zu klären sein. Jedenfalls dürfte auch er begrüßen, dass eine Kritik am Finanzmarktkapitalismus möglicherweise eine Tür öffnet, um der Freiwirtschaftslehre mehr Geltung zu verschaffen.

Eine Brücke zwischen Onken und Wagenknecht ergibt sich dadurch, dass beide offen für eine „pluralistische Eigentumsordnung“ sind. Beide wollen das private Eigentum nicht abschaffen. Onken stellt die „neue[n] Eigentumsformen sowohl für Banken als auch für Unternehmen“ Wagenknechts kurz dar. Er betrachtet sie als die wichtigsten Bausteine ihres „marktwirtschaftliche[n] Gegenentwurf[s] zum kapitalistischen Wirtschaftsfeudalismus“.

Zunächst ist da die „Personengesellschaft“, deren Inhaber das volle Risiko ihres Unternehmens selbst tragen. Wagenknecht argumentiert, dass erst die volle Risikoübernahme und der Verzicht auf Kreditgarantien oder Fördergelder den Inhabern das Recht gibt, „reich“ zu werden.

Es folgen „sich selbst gehörende, unverkäufliche Mitarbeitergesellschaften“. In kleinerem werden sie von den Belegschaften kontrolliert. In größerem von den Belegschaften und von Vertretern von Kommunen und Länderparlamenten. Als Startkapital kann eigenes Geld, das bei guter Ertragslage wieder zurückfließt, oder Geld aus einem öffentlichen Wagniskapitalfonds eingebracht werden. 

Eine weitere Unternehmensform sind „große Unternehmen“ oder „öffentliche Gesellschaften“. Wie die Mitarbeitergesellschaften haben sie keine externen Eigentümer und das Unternehmen gehört sich selbst. Sie agieren aber auf oligopolistischen Märkten. Die damit verbundene Macht ist für Wagenknecht ein Kriterium dafür, dass sie sich nicht als Mitarbeitergesellschaften eignen. Der Aufsichtsrat wird zur Hälfte von Belegschaftsvertretern und zur anderen Hälfte von Vertretern der Öffentlichkeit besetzt, benannt von den betroffenen Gemeinden und Regionen. Es handelt sich um Gesellschaften mit einer Beschäftigtenzahl von 20.000 aufwärts. Genaue Angaben zur Art des Startkapitals gibt es nicht. Es liegt nahe, von einem öffentlichen Fonds auszugehen.

Die vierte Unternehmens- oder Rechtsform sind die nicht gewinnorientierten „Gemeinwohlgesellschaften“. Sie sind in jenen Bereichen aktiv, die sich „nicht für eine kommerzielle Unternehmensführung eignen“. Dazu zählen Wasserwerke, Krankenhäuser, Verkehrsinfrastruktur und digitale Netze (um der allgegenwärtigen Kontrolle zu entgehen). Ebenso der Bankensektor. Dieser soll nach Wagenknecht „ein kleinteiliger, gemeinwohlorientierten Finanzsektor [sein], der kostendeckend, aber nicht profitiorientiert das öffentliche Gut Geld so bereitstellt, dass die Wirtschaft sich nach den gesellschaftlich gesetzten Prioritäten entwickeln kann.“ Regional ausgerichtete Sparkassen und Genossenschaftsbanken kommen nach ihrer Ansicht „im Großen und Ganzen“ den „Gemeinwohlbanken“ nahe. Sie können daher diese Ziele am besten erfüllen.

Wagenknechts eingeschränkte Erklärungskraft

Onken führt nun folgende Einwände ins Feld. Er gesteht zwar zu, dass die Kapitalismuskritik Wagenknechts gegen mono- und oligopolistische Wettbewerbsbeschränkungen in die richtige Richtung geht. Dann aber sagt er:

„Allerdings weisen ihre Vorstellungen noch genau jene geld- und bodenpolitischen Leerstellen auf, die schon [diese] Vorläufer einer von Monopolen freien nachkapitalistischen Marktwirtschaft nicht zu füllen vermochten. Abgesehen von der Unzulänglichkeit ihrer Ausführungen zum Boden- und Ressourceneigentum blieben auch Wagenknechts Aussagen zur Akkumulations- und Konzentrationsdynamik des Geldes noch sehr unzureichend.“

Es bleiben also die ungelösten Probleme der Kapitalakkumulation und -konzentration und des Boden- und Ressourceneigentums. Auch die klarsichtige Unterscheidung mehrerer Rechtsformen von Unternehmen ändert daran für Onken nichts.

Wagenknecht setzt an die oberste Stelle ihrer Wertehierarchie die durch nichts verzerrte Arbeitsleistung. Nur sie berechtigt zu einem „verdienten“ Einkommen. Sie sagt deshalb den Monopolgewinnen den Kampf an, die durch Preisdiktat aufgrund beherrschenden Marktanteils und fehlender Wettbewerber zustande kommen. Sie fordert die Beseitigung von nicht zu rechtfertigenden Haftungsbeschränkungen, wie sie etwa in GmbHs und Aktiengesellschaften vorhanden sind. Wer ins Risiko geht, hat die negativen Konsequenzen voll zu tragen. Sie geht an gegen Patentschutz als Innovationsblockade. Ebensowenig sind Vermögensakkumulationen durch erbliche Vorrechte zu rechtfertigen.

Warum gibt sich Onken mit dieser Herangehensweise an die Akkumulationsproblematik nicht zufrieden? Weil Wagenknechts Begriff des leistungslosen Einkommens zu eng gefasst ist, um diese Problematik abzudecken bzw. in Griff zu kriegen. Sie greift auf die Marxsche Wert- und Mehrwerttheorie zurück. Diese Theorie besagt, „dass die Gewinne im Kapitalismus darauf beruhen, dass der Arbeiter mit seiner Arbeit mehr schafft, als seine eigene Arbeit auf dem kapitalistischen Markt wert ist. Der Kapitalist kauft die Arbeitskraft und verkauft das Produkt der Arbeit. Und weil beides differiert, hat er, ohne die Gesetze des gleichen Tausches zu verletzen, dabei einen Schnitt gemacht“. Dieser Theorie bescheinigt Onken aber nur eine eingeschränkte Erklärungskraft.  

Dieser Auffassung kann man schwerlich widersprechen, weil augenscheinlich nicht nur der realkapitalistische Unternehmer Kapital akkumuliert. Die Blicke von Marx und Engels waren verständlicherweise auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Produktionssphäre des 19. Jahrhunderts gerichtet. Dort suchten und fanden sie die Ursachen der Ausbeutung. Dass diese auch im Handel, also in der Zirkulationssphäre von Waren und Geld liegen können, ahnten sie wohl. Die zunehmende Abhängigkeit der Industrie von den Banken dürfte ihnen nicht entgangen sein. Doch die Tragweite des heraufziehenden Finanzkapitalismus konnte ihnen noch nicht wirklich bewusst werden. Entsprechende Korrekturen der Mehrwerttheorie erfolgten nicht. Das Finanzkapital von Rudolf Hilferding erschien erst 1910. Marx starb 1883, Engels 1895.

Wagenknecht bleibt bei ihrer Überzeugung, so Onken, dass die Mehrwerttheorie korrekt beschreibe, was dem Gewinn zugrunde liegt. Sie ergänzt aber, dass es „dauerhafte Gewinne und leistungslose Kapitaleinkommen nur bei Abwesenheit ausreichender Konkurrenz“ gibt. Monopolpreise also garantieren ebenfalls leistungsloses Kapitaleinkommen. Nun aber kommt der entscheidende Einwand und Vorbehalt Onkens gegenüber Wagenknecht:

„Wie alle Nachfolger/innen von Marx übersah auch sie die strukturelle Schieflage des kapitalistischen Gesamtkomplexes von Produktion und (! Verf.) Zirkulation, bei der das strukturell parteiische Geld tagein tagaus gleichsam unter der Oberfläche der Tauschgerechtigkeit auf unmerkliche Weise leistungslose Einkünfte (…) von der Arbeit zum Besitz umverteilt, sodass Produktionsmitteleigentum (…) sich in zunehmendem Maße konzentrieren kann. Das herkömmliche kapitalistische Geld blieb auch bei Wagenknecht noch ein blinder Fleck, der die real existierende kapitalistische Marktwirtschaft noch von ihrem Ziel einer sozial eingebetteten Marktwirtschaft ohne monopolkapitalistische Vermachtungen und Wettbewerbsbeschränkungen trennt.“

Geldpolitische Leerstellen des BSW

Wagenknecht übersieht, dass „im Geld selbst die tiefere Wurzel der Akkumulations- und Konzentrationsdynamik und der sozialen Ungleichheit zu finden“ ist.

Was meint Onken mit dem „strukturell pateiischen Geld“? In dem von ihm 2024 verfassten Text Rechtsextremismus – ein direkter Weg in den Abgrund findet man dazu verständliche Ausführungen. Es geht ihm um die Einsicht in den widersprüchlichen Doppelcharakter des marktwirtschaftlichen und zugleich kapitalistischen (Bar-)Geldes. Sowohl als Deutsche Mark als auch als Euro dient(e) das Geld einerseits den Menschen und Märkten als Tauschmittel (im Sinne einer Stellvertreterware mit einem „inneren“ Wert), andererseits verleiht ihm seine Wertaufbewahrungsfunktion die Möglichkeit, eine strukturelle Macht über die Menschen und Märkte auszuüben.

Das Geld dient aber nach Onkens Auffassung einfach nur zum Tauschen von Geld gegen Ware und von Ware gegen Geld. Es hat lediglich die dienende Funktion, dem Geldbenutzer und dem Warenbesitzer diesen Tauschanspruch zu garantieren.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Es ist hier von zwei Tauschbegriffen die Rede. Onken widerspricht der neoklassischen Auffassung. Diese setzt Geld mit Ware gleich, so als ob beim Tausch Geld gegen Ware in Form eines realen werthaltigen Gutes getauscht würde. Am offensichtlichsten wird diese Gleichsetzung durch die Auffassung, dass Geld durch Gold gedeckt werden könne. Das Konzept scheiterte krachend, als die USA die Goldbindung des Dollars aufheben musste.

Georg Friedrich Knapp hatte schon 1905 gegen diesen sogenannten Geldmetallismus Stellung bezogen. An seine Stelle setzte er das Fiatgeld („es werde Geld durch Geldschöpfung“), das in seiner digitalisierten Form heutzutage (fast) völlig entmaterialisiert ist. Seine „Wert“-Grundlage ist einzig und allein das durch die Regierung gesetzlich garantierte Vertrauen der Geldbenutzer in das Geld. Geld ist damit nichts anderes als ein "Dokument", dass einen Anspruch auf den Erhalt eines realen werthaltigen Gutes darstellt, nicht aber dieser Wert selbst.

Die strukturelle Macht des Bargeldes ergibt sich also dadurch, dass Geld immer noch mit einer Ware gleichgesetzt wird. Es erfüllt damit eine äußerst problematische Funktion als zinstragender „gebührenfreier Wertspeicher“. Dieser ermöglicht, über dauerhaft positive Zinsen Einkommen von den Arbeitenden zu den Vermögenden umzuschichten. Onken priorisiert – in geistiger Verwandtschaft mit Silvio Gesell – die dienende Tauschmittel-Funktion des Geldes und möchte die zinsbringende Hortbarkeit des Geldes durch die Einführung einer kontinuierlichen Liquiditätsgebühr neutralisieren. Mit 5-6 Prozent pro Jahr soll diese Neutralisierung erreicht werden. Sie könne dazu führen, dass sich der Zins bei null einpendelt. Die Einziehung einer solchen Gebühr ließe sich mit der Einführung des digitalen Geldes noch leichter realisieren.

Das zu den geldpolitischen Leerstellen im Konzept des BSW. Leistungslose Zinseinkommen stehen nicht in dessen Fokus. Leistungslose Kapitaleinkommen schon, damit sind aber wesentlich nur bequeme Monopolgewinne und die Mehrwertrendite gemäß Marxscher Profittheorie gemeint. Eigentlich erstaunlich, denn Wagenknecht weiß sehr gut, wie das Geld- und Finanzsystem funktioniert und dass die privaten Banken die „Lizenz zum Gelddrucken“ haben. Sie selbst sagt, dass es „ohne eine andere Geldordnung (…) auch keine andere Wirtschaftsordnung geben [kann]“.

Fraglich bleibt aber, ob sich der Bankensektor durch Gemeinwohlbanken in der Rechtsform der Gemeinwohlgesellschaft dominieren lässt, wie Wagenknecht das vorschwebt. Im Moment erleben wir ein Bankensterben ungeheuren Ausmaßes. Sie verabschieden sich aus der Fläche hinter dem Schirm der Digitalisierung. Und was geschieht mit dem riesigen Schattenbankensektor, in dem 50 Prozent der weltweiten Kredite vergeben werden? Diese Frage lässt sich im Übrigen auch an Onken richten.

Es bleiben die bodenpolitischen Leerstellen. Mit Gemeinplätzen, dass mit Böden nicht spekuliert werden dürfe oder dass die Mieten mit den Immobilienpreisen steigen (Wagenknecht), sind sie nicht zu füllen. Denn es geht um viel Grundsätzlicheres, nämlich um die leistungslose Aneignung der Rente aus dem Boden- und Ressourcenmonopol. Das galt für die mittelalterlichen Feudalherren, die riesige Ländereien zu ihrem Eigentum erklärten und von ihren Vasallen renditeträchtig bewirtschaften ließen. Das gilt heute für die Betreiber des Landraubs (Land Grabbing), die sich Zugang zu gewinnträchtigen Ressourcen schaffen und sie von Einheimischen unter unvorstellbaren Arbeitsbedingungen ausbeuten lassen.

Und es gilt für das, was sich jeden Tag in vielen deutschen Städten und Gemeinden abspielt. Private Grundstücke gewinnen durch die durch Steuergelder finanzierte Infrastruktur um das Grundstück herum an Wert, ohne dass der private Eigentümer einen Finger gekrümmt hat. Und der Steuerzahler, der eine Wohnung in einem von dem Eigentümer auf dem Grundstück erstellten Gebäude nachfragt, wird schließlich je nach Wertsteigerung des Grundstücks – sei es als Erwerber oder als Mieter – ein zweites Mal zur Kasse gebeten.

Um Missverständnissen vorzubeugen. Es geht Onken nicht um die völlige Beseitigung des privaten Bodeneigentums. Kleineres behält seine Berechtigung. Geht es dagegen um große Flächen, tritt an die Stelle des lukrativen Privateigentums das unveräußerliche Gemein- bzw. Gebrauchseigentum. Onken ist sich bewusst, dass die Abgrenzung zwischen groß und klein nicht einfach ist. Sie muss diskutiert werden. Nicht unerwähnt bleiben sollte trotz der Leerstellen, dass Wagenknechts Eigentumsbegriff der Mitarbeitergesellschaft, die niemandem gehört, dem Gebrauchseigentumsbegriff Onkens, was den Boden betrifft, sehr nahekommt.

Obwohl man den Eindruck durchaus gewinnen kann, als wolle das BSW zurück zu einer Sozialen Marktwirtschaft der 1950er und 1960er Jahre, dürfte Wagenknecht klug genug sein, nicht ahistorisch zu argumentieren. Wenn sich das Bündnis aber Kapitalismuskritik auf seine Fahnen schreibt, dann sollte es auch tatsächlich vorwärtsweisende Reformen der Geldordnung und des Boden- und Ressourcenrechts fordern.