Editorial

Am Nullpunkt

| 01. März 2024
IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Liebe Leserinnen und Leser,

willkommen in einer neuen Woche. Seit Monaten gehen Landwirte in Deutschland und in Europa gegen die Politik ihrer Regierungen auf die Straße. In Paris haben die Bauern am Wochenende die Agrarmesse mit Traktoren blockiert. In Brüssel fuhren sie Anfang der Woche im Europaviertel auf, um ihren Forderungen gegenüber den dort tagenden EU-Agrarministern Nachdruck zu verleihen. An der deutsch-polnischen Grenze halten sie Straßen besetzt. Es geht um mehr Geld und weniger Bürokratie. Olaf Scholz macht nun den Bauern ebenso Zugeständnisse wie Frankreichs Premier Attal. Und auch die EU-Agrarminister beraten in Brüssel über Entlastungen für Landwirte. Doch dabei handelt es sich um Scheinlösungen − die Probleme der Landwirtschaft gehen weitaus tiefer. Ein wirklicher Neuanfang der Agrarpolitik müsste das „race to the bottom“ des Weltmarkts beenden.

Zugleich sind die Bauernproteste ein weiteres Symptom für eine insgesamt gescheiterte und nicht tragfähige Klimapolitik der Ampelregierung in Deutschland. Längst hat diese den Rückhalt der Bevölkerung verloren, die Bereitschaft zu Veränderungen ist nahe null gesunken. Eine Gesetzgebung, die die Lebenssituation großer Teile der Bevölkerung – vor allem außerhalb der Metropolen und mit geringem Einkommen – ignoriert, macht Klimapolitik zu einem verhassten Thema.

Diese und weitere Themen finden Sie in unserer neuen Ausgabe:

  • Bauernproteste: Neue Agrarpolitik statt Scheinlösungen Auch nach den Bauernprotesten wird das Höfesterben weitergehen. Ein Neuanfang der Agrarpolitik muss Schluss machen mit dem „race to the bottom“ des Weltmarkts. Eine ungeschönte Analyse der Landwirtschaft. Thilo Bode und Matthias Wolfschmidt
  • Wenn das Klima das Klima vergiftet Die Klimapolitik der Ampelkoalition hat die Bereitschaft zu Veränderungen nahe null sinken lassen, ohne tragfähige Konzepte auf den Weg zu bringen. Versuch einer Rückkehr zum Dialog. Rainer Fischbach
  • Aktienrückkäufe: Deutschlands Doppelproblem Geringe öffentliche Einnahmen und stockende private Investitionsaktivität: Aktienrückkäufe sind Teil des Problems, weil sie Steuereinnahmen vermindern und den Umfang ökonomischer Ungleichheit verzerren. Plädoyer für ein Verbot. Gerd Grözinger
  • Löhne sind eine Produktivitätspeitsche Japan verfolgte in den letzten 30 Jahren eine ultralockere Geldpolitik, dennoch waren Deflation und geringe Produktivitätszuwächse allgegenwärtig. Die ursächliche Bilanzrezession ist in nettosparenden (Zombie-)Unternehmen gemündet. Gründe liegen in der schwachen Lohnentwicklung. Malte Kornfeld
  • Die deutsche Scheindebatte zum Gazakrieg – 2 Die beiden scheinbar rivalisierenden Positionen in Deutschland zum Krieg in Gaza haben den gleichen Effekt – sie stärken das Bündnis Netanjahu-Hamas. Yotam Givoli
  • Neuer Kalter Krieg oder neue Politik der Entspannung? Ist Putin ein revisionistischer Imperialist oder handelt er nach geostrategischem Kalkül? Der beste Weg, um dies herauszufinden, wären Friedensverhandlungen. Ulrike Simon
  • Wird Indien zum neuen Hauptfeind der USA? Wirtschaftlich, politisch, kulturell – die Entwicklung Chinas und Indiens ähneln sich in vielfacher Hinsicht. Wird Indien irgendwann das Reich der Mitte als wichtigsten Konkurrenten der USA ablösen? Chris Ogden