Bruno Théret

Im Paket die Revolution des Geldsystems

| 05. März 2024
IMAGO / STPP

Der französische Ökonom Bruno Théret will die Währungsunion demokratisieren und den Einfluss des Finanzmarktes auf die Geldpolitik verringern. Helfen soll eine Komplementwährung.

2015 drohte Griechenland der Grexit. Der Vorschlag, neben dem Euro eine nationale „Parallelwährung“ einzuführen, kam auch in der linken griechischen Regierung unter Führung von Alexis Tsipras auf den Tisch. Der ehemalige Deutsche-Bank-Chefvolkswirt und spätere Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute in Köln, Thomas Mayer, hatte schon 2012 einen solchen Vorschlag gemacht – als Rettungsinstrument des Euros.

Ebenfalls im Jahr 2015 meldete sich in Frankreich der Ökonom und Soziologe Bruno Théret mit einem Aufsatz zu Wort, um sein Konzept der „nationalen fiskalischen Komplementärwährungen“ (quasi-monnaies fiscales complémentaires) darzulegen. In einem zweiten Aufsatz 2021 stellt Théret ein weiteres Modell vor, das im Wesentlichen als eine stark revidierte Version von 2015 begriffen werden kann. In beiden Texten spielt der Steuerbegriff eine zentrale Rolle. Er erfährt aber eine entscheidende Abwandlung im zweiten Text.

Die Grundmotivation Thérets ist in beiden Texten die gleiche. Sie besteht darin, die Währungsunion zu demokratisieren und den Einfluss des Finanzmarktes auf die Geldpolitik zu verringern. Die politische und monetäre Souveränität vor allem hoch verschuldeter EU-Mitgliedsländer soll – auch unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip – wieder gestärkt werden.

Diese Zielsetzung ist verständlich angesichts der Tatsache, dass Demokratie ohne finanzielle Autonomie geradezu ein Widerspruch in sich selbst ist. Théret bedient sich einer vorsichtigen Redeweise und spricht von einer „komplementären Quasi-Währung“. Sie soll den Euro nicht in Frage stellen. Die EU-Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission wiesen damals das Ansinnen der linken griechischen Regierung unter Führung von Alexis Tsipras schroff zurück. Der damalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble tat sich dabei in unrühmlicher Weise hervor.

Die Komplementärwährung besteht aus antizipierten (vorgezogenen) auf Euro lautenden Steuergutschriften des Staates in Erwartung eines späteren steuerlichen Rückflusses. Zugleich sind sie Schuldverschreibungen des Staates. Das Ganze funktioniert so wie ein privater Kredit bei der Bank. Diese schießt Geld vor, das ihr noch gar nicht zusteht, verschuldet sich also, schreibt es aber dennoch dem Kreditnehmer auf dessen Konto gut in Erwartung einer Rückzahlung. Die Komplementärwährung steht in Parität mit dem Euro.

Historische Beispiele unter anderem aus den USA der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und aus Argentinien (1984-2003) waren durchaus erfolgreich. Die Gutschriften werden in kleiner Stückelung ausgezahlt und zirkulieren ausschließlich auf dem jeweiligen nationalen Territorium. Sie dienen zur (teilweisen) Deckung des täglichen Grundbedarfs an Konsumgütern.

Darüber hinaus nennt Théret folgende Anwendungsmöglichkeiten: Teilzahlung der Gehälter von öffentlichen Bediensteten, von deren Sozialabgaben, von Pensionen. Begleichung von Schulden bei unternehmerischen Leistungserbringern für den Staat. Mehrfach betont Théret, dass diese Währung keine inflationäre Gefahr erzeugen und deren Menge nicht „exzessiv“ sein dürfe im Verhältnis zu den Steuereinnahmen in Euro.

Es ist nicht einfach, die genaue geldökonomische Funktion zu erfassen, die Théret der Komplementärwährung zuweist. Einerseits soll sie durch das Angebot von „quasi-kostenlosem kurzfristigem Kredit“ den Interessen des Finanzmarktes Einhalt gebieten. Andererseits aber soll sie die Nachfrage so beleben, dass die Unternehmen wieder investieren und den Kredit der privaten Geschäftsbanken wieder verstärkt in Anspruch nehmen.

Théret will die private Geldschöpfung abschaffen

Der privaten Geldschöpfung steht Théret kritisch gegenüber. Er möchte sie abschaffen. Gleichwohl kommt die Komplementärwährung nicht aus ihrer komplizierten Zwitterstellung zwischen staatlicher und privater Geldsphäre heraus. Mit ihrer Verwendung für den täglichen Konsumbedarf und für die Bezahlung unternehmerischer Leistungserbringung mischt sie sich sogar direkt in den privaten Zahlungsverkehr sowie in den Waren- und Dienstleistungsmarkt ein. Das muss die Hüter der liberalen Finanz- und Gütermärkte auf den Plan rufen. Jene also, die den Staat als Wirtschaftsakteur und Investor delegitimieren. Die Schuldenbremser, die ihn in die Schranken weisen. In Frankreich etwas weniger, weil die Schuldenbremse dort keinen Verfassungsrang hat.

Aber die Bremser machen es sich sehr einfach. Sie behaupten, dass Geld ein knappes und deshalb kostbares Gut sei, mit dem man sparsam umgehen müsse. (Fast) alle Menschen glauben ihnen. Die gleichen Schuldenbremser sind wiederum jene, die keine Gelegenheit auslassen, den Staat zum Schuldner zu erklären. Es sind jene, die ihn zum Schuldner machen und kräftig an ihm verdienen. Und zwar mit ihrem Geld. Das EU-Vertragswerk hat tatkräftig mitgeholfen, indem es Regierungen und öffentlich-rechtliche Körperschaften die Finanzautonomie entzogen hat – nachzulesen im Art.123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Leider haben alle EU-Mitgliedstaaten das Spiel mitgespielt. Die privaten Geldschöpfer freuts. Ihre Kreditgeld-Quelle in Form des Schöpfungsmonopols sprudelt reichlich, um den „bedürftigen“ Staat zu finanzieren und sich durch Zinszahlungen an ihm zu bereichern. Immerhin haben sie es mit dem sichersten Schuldner eines grundsätzlich instabilen Geld- und Finanzsystems zu tun.

Und noch ein weiteres Privileg haben sich die janusköpfigen Doppelnaturen – die Schuldenbremser und Schuldenverkäufer in einer Person – angeeignet. Es schützt ihr „wertvolles“ Geld, das sie dem Staat zur Verfügung stellen, vor aller Unbill dieses Systems: Ihre sogenannten Bieterbanken lassen sich vom Staat das sicherste Wertpapier, die Staatsanleihe, quasi auf dem Silbertablett auf dem Primärmarkt servieren – noch bevor andere gesellschaftliche Teilnehmer auf dem Sekundärmarkt zum Zuge kommen dürfen. Das Gleiche gilt – zumindest offiziell – für die Zentralbanken.

Die Komplementärwährung bedroht die Ideologie der Staatsfinanzierung

Diese wunderbar eingespielte staatliche Schuldenfinanzierungsmaschinerie soll nun durch eine Komplementärwährung aus dem Takt gebracht werden? Sie bedroht die gesamte Finanzierungsideologie, die besagt, dass der Staat von den Steuerzahlungen des privaten Sektors (Unternehmen, Privathaushalte) abhängig sei. Mit der Komplementärwährung aber würde der Staat sich selbst finanzieren. Das darf nicht sein! 

Es ist sicherlich nicht so, dass Théret sich der Widerstandskräfte in multinationalen Unternehmen, der Finanzwelt und Politik gegen sein Modell nicht bewusst wäre. Er überschätzt aber die Wirkungskräfte der komplementären Währung und unterschätzt die Gegenkräfte.

Aufgrund der belebenden Effekte für die lokale Wirtschaft glaubt er, dass sich genügend Unterstützer in der Bevölkerung und vor allem im kleinen Unternehmertum finden werden. Dass die Belebung des Binnenmarktes dazu beiträgt, negative Leistungsbilanzen durch geringere Importe auszugleichen. Dass die nationalen Komplementärwährungen mit ihrer Parität zum Euro mögliche Wechselkursanpassungen wie zwischen den vormaligen nationalen Währungen kompensierten. Dass die bei der Komplementärwährung wegfallende Wertaufbewahrungsfunktion der „einzige“ Unterschied zum Euro wäre. Dass ein Föderalismus bei der Erstellung der Länderhaushalte entstünde, der die Gefahr von Austritten aus dem Euro minderte. Dass sie die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in der EU verringert. Dass ein nicht „exzessiver“ Umgang mit der Komplementärwährung die Janusköpfe davon abhalten würde, nicht ins Inflationshorn zu blasen.

Eine gravierende Fehleinschätzung dürfte der von Théret beabsichtigten Abschaffung der privaten Giralgeldschöpfung zu Grunde liegen. Er sieht deren Beseitigung nicht im Widerspruch zu den Europäischen Verträgen und den in ihnen zum Ausdruck kommenden gewichtigen Kapitalinteressen. Das überrascht angesichts der offenkundigen Vorteile für das Kapital: Das als Zahlungsmittel vorherrschende Giralgeld kann von den Geschäftsbanken in einer Menge erzeugt werden, die weit über die Guthaben auf ihren Zentralbankkonten hinausgeht. Die Mindestreserve beträgt gerade mal ein Prozent, eine begünstigende risikogewichtete Eigenkapitalberechnung wird zugestanden. Geschäftsbanken streichen durch das Recht, Giralgeld zu schaffen einen Milliardengewinn ein (Zinsseigniorage), während die zu lasche Bankenaufsicht ein Dauerbrenner der Kritik bleibt.

Und kommt es nicht auch einer Fehleinschätzung gleich, wenn Théret über den außerbankären Kreditmarkt kein Wort verliert? Immerhin findet die Hälfte der weltweiten Kreditvergabe im sogenannten Schattenbankensystem statt.

Selbst wenn man ferner annimmt, dass die von Théret erhofften Effekte seiner Komplementärwährung eintreten. Würden die „Erzähler“ dann mitspielen und ihre „Erzählung“ ändern? Wahrscheinlich nicht.

Es kommt also ein riesiges Paket zusammen, das Théret mit seiner Währung bewegen will. Sein überarbeiteter Text von 2021 lässt schließen, dass er selbst erkannt haben muss, sich überhoben zu haben. Denn es geht um nichts weniger, als das konfrontative Potenzial zwischen Staat und Privatkapital im Zahlungs-, Waren- und Dienstleistungsverkehr zu entschärfen.