Editorial

China: Von der Werkbank der Welt zur Weltspitze

| 30. Januar 2025
Skulptur in Shenzen

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist noch nicht lange her, da galt China als Werkbank der Welt. Das Label Made in China war Sinnbild für Massenprodukte, die zwar nicht für ihre Qualität aber für niedrige Preise standen, essenzielle Funktionen erfüllten und daher weltweit Verbreitung fanden.

Mittlerweile hat sich die Art, wie man im Westen über die chinesische Wirtschaft spricht, fundamental geändert. Zwar gelten chinesische Waren immer noch als verhältnismäßig günstig. Aber nicht nur ihre Qualität hat sich deutlich verbessert, längst sind sie auch in Schlüsselbranchen konkurrenzfähig, wo westliche Unternehmen bis vor einigen Jahren unangefochtener Weltmarktführer waren.

Und das bringt die westlichen Industrienationen mehr und mehr ins Straucheln: Als das chinesische Startup DeepSeek diese Woche das Sprachmodell R1 und den Bildgenerator Janus Pro auf den Markt brachte, löste das ein Börsenbeben und den größten Tagesabsturz in der Geschichte der USA aus: Die Aktie des US-Konzerns Nvidia, dem größten Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen für PCs, Server und Spielkonsolen, verlor fast 600 Milliarden US-Dollar an Marktkapitalisierung, berichtet MAKROSKOP-Redakteur Lukas Poths. Im App Store von Android und Apple katapultierte es DeepSeek auf Rang 1 – jeweils gefolgt vom US-Konkurrenten ChatGPT.

Chinesische Software ist also nicht nur ein weltweiter Exportschlager für Smartphones. Auch auf dem heimischen Binnenmarkt können es chinesische Unternehmen immer mehr mit ausländischen Konkurrenten aufnehmen. Wie Roger Boyd auf MAKROSKOP zeigt, machen chinesische Hersteller Zweidrittel des globalen Marktes für Elektrofahrzeuge aus – auch das ein Spitzenplatz. Und von diesem globalen Markt wird China auch in der nahen Zukunft immer mehr ausländische Konkurrenten verdrängen: „Bis Ende 2026 werden ausländische Marken auf dem chinesischen Markt stark dezimiert sein“, prognostiziert Boyd. Gerade für Deutschland mit seiner exportstarken Automobilindustrie bedeutet das eine immense Herausforderung.

Damit stellt sich die Frage: Was macht das Reich der Mitte besser als der Westen? Haben chinesische Unternehmen gelernt, effizienter zu produzieren, wie es der Forschungsdirektor des American Economic Liberties Project Matt Stoller mit Blick auf DeepSeek vermutet?

Aber Effizienzsteigerungen entstehen nicht von selbst. Treibende Kraft hinter ihnen ist laut Stoller scharfer Wettbewerbsdruck, den der chinesische Staat auf seine Unternehmen ausübt. Das steigere die Ambitionen, qualitativ hochwertige Produkte zu niedrigen Preisen herzustellen. Anders US-Unternehmen, die sich zu sehr auf Monopolgewinne und extraktive Techniken ausruhen würden, und weniger die Herstellung von mehr und besseren Produkten verfolgen. Kann der Westen hier von China lernen?

Alle Artikel und Themen dieser Ausgabe:

  • Wie China das Schicksal der großen Autokonzerne besiegelt Die chinesischen Automarken laufen nicht nur im Reich der Mitte den westlichen Herstellern den Rang ab. Das hat weitreichende globale Folgen, an denen Zölle nichts ändern werden. Roger Boyd
  • DeepSeek: China blamiert U.S. Big Tech Das chinesische Unternehmen DeepSeek veröffentlichte ein Modell für künstliche Intelligenz, das effizienter und genauso gut ist wie amerikanische Modelle. Was bedeutet dieser Durchbruch? Ist das der Boeing-Moment für Big Tech? Matt Stoller
  • DeepSeek: Die Sinnlosigkeit der Anti-China-Zölle Ein neues KI-Modell versetze diese Woche die Wall Street in Panik. Das chinesische Start-Up DeepSeek brachte das Sprachmodell R1 sowie den Bildgenerator Janus Pro auf den Markt. Die Folge: krachende Verluste der wertvollen Nvidia-Aktie. Was das für den Handelskonflikt mit China bedeutet. Lukas Poths
  • Wo sich Draghi und von der Leyen irren In einem aktuellen Paper kritisieren der BSW-Europaabgeordnete Fabio de Masi und der Ökonom Dirk Ehnts den vielzitierten Draghi-Bericht. Sie zeigen: nachfrageseitige Zusammenhänge kommen zu kurz. Und von der Leyens Pläne für eine Kapitalmarktunion setzen an der falschen Stelle an. Malte Kornfeld
  • Falsche Sparsamkeit Wirtschaftliche Ineffizienz ist keine Tugend. Sie sollte aber nicht automatisch als Zeichen für Fehlfunktionen der Wirtschaft oder ihrer einzelnen Komponenten interpretiert werden. Denn das Streben nach Effizienz geht oft auf Kosten anderer Werte, die nicht weniger wichtig sind. William H. Janeway
  • Tooze und Metzinger: Intellektuelle Redlichkeit in einer Welt der losen Enden Adam Tooze sieht die Welt seit 2008 in einer „Polykrise“. Seine „Kritik des Kapitalozentrismus“ gilt einem „doppelten blinden Fleck“: intellektuell und gegenüber der Realität. Rainer Land
  • Die Drehtür zwischen EU und Wall Street Ex-Binnenmarktkommissar Thierry Breton übernimmt eine lukrative Beraterfunktion bei der Bank of America. Ein Fall der zeigt, wie leer das Gerede von europäischer Souveränität und strategischer Autonomie ist. Thomas Fazi
  • Ein „exorbitantes Privileg“ für alle? Das Ende der Dollar-Dominanz allein wird das problematische Währungssystem dahinter nicht beenden. Nur multilaterale Abkommen zur internationalen Zahlungsabwicklung bringen den Globalen Süden auf den Weg einer nachhaltigen Entwicklung. Ndongo Samba Sylla und Jomo Kwame Sundaram