Editorial

Die Dämonen des Defizits

| 09. Februar 2021
istock.com/Roman Chekhovskoy

Liebe Leserinnen und Leser,

die Bewältigung der Corona-Krise? Wir wissen, die kostet Geld! Ökologische Nachhaltigkeit und der Umbau der Wirtschaft? Kosten Geld! Die Reform der Pflegeversicherung? Kostet Geld. Öffentliche Infrastruktur und der Rechtsstaat? Auch sie kosten Geld.

Soweit, so klar. Einig sind sich die meisten darin, dass die Finanzierung der aufgezählten Punkte wichtig ist. Wie sie finanziert werden sollen, oder ob sie überhaupt finanziert werden können, darüber scheiden sich aber die Geister des öffentlichen Diskurses. Mit anderen Worten, die Stimmen, die den Dämon des Defizits, horrende Schulden und Hyperinflation sehen, sind quicklebendig. Oder wie es Dirk Bezemer sagen würde: Nach der Pandemie lauert schon das Gespenst der Austerität.

Natürlich sprechen sich derzeit Parlamente in den Haushaltsdebatten für eine Stärkung staatlicher Institutionen aus. Doch sind das nur Sonntagsreden im Parlament und in den Wahlprogrammen? Stehen nach dem Koalitionsvertrag die Kürzungen aller Orten auf der Agenda?

Holländische Spitzenbeamten trauen diesen Versprechen zumindest nicht, wie Bezemer weiß. Und zwar so wenig, dass sie sich an die Medien wenden, um gemeinsam vor den Folgen von Ausgabenkürzungen für den Rechtsstaat zu warnen. Ein bislang einmaliger Vorgang. Aber die Beamten benutzen große Worte: sie waren davor, ihre Rolle im Rechtsstaat nicht mehr richtig erfüllen zu können. Ein Problem, das nicht nur die Niederlande umtreibt.

Auch in Deutschland will man sich von Budgetbeschränkungen trotz der Dringlichkeiten der Aufgaben nicht gänzlich lösen. Das ist sogar der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zu entnehmen, die sich an den Development Goals der Vereinten Nationen orientiert. Einer der Indikatoren für das Ziel 8, »Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum«, ist die Höhe der Staatsverschuldung und die Begrenzung der Verschuldungsquote auf 3% des BIP. Auch wenn diese Vorgabe nicht zuletzt angesichts der notwendigen Corona-Maßnahmen relativiert wird, fragt sich Ulrike Simon, wie nachhaltig eine Strategie ist, deren Mittel an künstliche Budgetrestriktionen und nicht an tatsächlich vorhandene Ressourcen gebunden sind.

Damit die Verschuldungsquoten, die Dämonen des Defizits, nicht zu mächtig werden, wollen progressive Kräfte die Staatschulden auf der Bilanz der EZB abschreiben. Von einer Reihe französischer Ökonomen wurde ein Aufruf initiiert, der inzwischen die Unterstützung von mehr als 100 Unterzeichnern, meist Ökonomen, gefunden hat. Paul Steinhardt findet diesen Aufruf allerdings nicht unterstützenswert. Warum? Auch wenn man den Initiatoren attestieren kann »das Gute« gewollt zu haben. Der Erkenntnis, dass ein Staat in seiner eigenen Währung niemals ein Finanzierungsproblem hat, haben sie einen Bärendienst erwiesen.

Vielleicht hätte man einfach auf Wynne Godley hören sollen. Der hatte schon vor einem halben Jahrhundert gezeigt, dass einer der Sektoren, bestehend aus dem privaten Sektor, dem öffentlichen Sektor und dem externen Sektor (dem Ausland), Schulden machen muss, wenn die anderen sparen. Sparen alle Haushalte gleichzeitig, kommt es zu einem Einbruch der Wirtschaft.

Entsprechende staatliche Defizite sind dann unvermeidlich, aber auch nachhaltiger als eine steigende private Verschuldung über einen längeren Zeitraum. Auch das wusste Godley, der 1998, zehn Jahre vor der großen Finanzkrise, als einer der Ersten vor der Unausgewogenheit der Weltwirtschaft warnte, die durch die wachsende Verschuldung der Privathaushalte in den USA nicht mehr aufzuhalten sei.

Von Godley lernen wir also, dass es gerade in Krisenzeiten wichtig ist, sowohl Verhalten wie auch Bilanzzusammenhänge zu analysieren, statt sich von Mythen über Staatsverschuldung oder Hyperinflation fehlleiten zu lassen.