SPD: Verringern ihre Steuervorschläge die Ungleichheit?
Die SPD plädiert in ihrem Wahlprogramm für eine Vermögenssteuer. Die Ungleichheit adressiert sie als eine Ursache der Krise liberaler Demokratien. Doch sind die Vorschläge ausreichend?
Parteiprogramme arbeiten sich normalerweise an unmittelbar aufdrängenden politischen Problemen ab: die wirtschaftlich angespannte Lage, das Versprechen hoher Investitionen, das Dauerthema Rentenpolitik, Rüstungspolitik oder steigende Miet- und Energiepreise.
Aus dem Blick geraten nicht selten übergeordneten Entwicklungen: Etwa die zunehmende ökonomische Ungleichheit – eine Ursache für die grassierende Unzufriedenheit und Abstiegsangst. Ein fruchtbarer Boden für populistische Kräfte.
Zumindest eine der beiden (vormaligen) Volksparteien scheint die Ungleichheit jedoch immerhin ansatzweise in den Blick zu nehmen. Hier landet die SPD in ihrem Bundestagswahlprogramm einige Treffer. Sie präsentiert sie zwar schüchtern, auf den zweiten Blick aber wirken sie fast schon radikal: Die Abgeltungssteuer soll in Zukunft nicht mehr pauschal mit 25 Prozent erhoben, sondern Kapitalerträge nach dem Einkommensteuertarif besteuert werden. Die Vermögensteuer soll wieder eingeführt, die Erbschaft- und Schenkungsteuer erhöht, „die große Mehrheit der Einkommensteuerpflichtigen“ hingegen entlastet werden (die SPD spricht von etwa 95 Prozent).
Und doch wirft der Maßnahmenkatalog einige Fragen auf. Allen vorweg: Was ist das genaue Ziel hinter der Besteuerung von Vermögen (womit im Folgenden immer Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögensteuer gemeint ist)? Soll damit die Ungleichheit verringert oder sollen Staatsausgaben finanziert werden? Auch wenn sich diese Zielsetzungen nicht ausschließen müssen, hält die Absicht dahinter wichtige Implikationen bereit.
Vermögensbesteuerung sollte nicht der Staatsfinanzierung dienen
Soll die Besteuerung von Vermögen keinem verteilungspolitischen Zweck dienen, sondern Haushaltslöcher stopfen, werden damit nur die Scherben einer unsinnigen fiskalpolitischen Regel – im Falle Deutschlands der Schuldenbremse – aufgekehrt. Doch erkennen wir an dieser Stelle die de facto realpolitische Situation an, dass Steuereinnahmen für die Finanzierung von Staatsausgaben herangezogen werden. Selbst dann folgen aus den unterschiedlichen Zielsetzungen – also gerechte Gesellschaft versus Finanzierung – verschiedene Antworten auf zwei weitere entscheidende Fragen, die in Zukunft mehr in den Mittelpunkt rücken sollten.
- Muss die Besteuerung so hoch sein, dass durch sie tatsächlich die Ungleichheit verringert wird? Oder muss sie nur ausreichend sein, um Haushaltslöcher zu stopfen?
- Haben die Maßnahmen, so wie sie begründet werden, auch (kommunikations-)strategisch gesehen Aussicht auf Erfolg?
Dazu zwei praktische Ansätze, jeweils vom französischen Ökonomen Thomas Piketty und der deutschen Ungleichheitsforscherin Martyna Linartas.
Warum die Ungleichheit zunimmt: r > g
Den Forschungsergebnissen von Piketty zufolge war die durchschnittliche Kapitalrendite am Finanzmarkt (r) historisch zu fast allen Zeiten größer als die Wachstumsrate der Wirtschaft (g). Diese Erkenntnis ist nicht zu überschätzen, gerade wenn in Steuerreform-Debatten Einkommen und Vermögen undifferenziert in einen Topf geschmissen werden. Doch was macht diese Erkenntnis so bedeutsam?
Nimmt man an, dass Lohnentwicklung an das Wirtschaftswachstum (g) gekoppelt ist oder jedenfalls nach oben hin durch das Wirtschaftswachstum limitiert ist (die Lohnentwicklung hinkt der Inflation und den Produktivitätszuwächsen meist hinterher, ein wirklicher Zugewinn am zu verteilenden Kuchen gelingt selten), dann folgt daraus: Vermögen wachsen schneller als das (Lohnarbeits-)Einkommen.
Mit anderen Worten: Die Schere zwischen Arm und Reich muss logisch gesehen weiter auseinandergehen, weil es durch dieses Verhältnis von Vermögenswachstum und Einkommenswachstum strukturell so angelegt ist. Vermögen anzusparen, bleibt einem großen Teil der Bevölkerung schlicht verwehrt.
Welchen Effekt hätten nun also die geplanten Steuerreformen der SPD? Im Wahlprogramm selbst heißt es: „Die ausgesetzte Vermögensteuer wollen wir für sehr hohe Vermögen revitalisieren. […] Die Steuereinnahmen aus Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Vermögensteuer stehen den Ländern zu, in deren Verantwortungsbereich die Bildungspolitik liegt. Es ist daher unser Ziel, dass die Länder die aufgrund unserer Reformen erzielten Mehreinnahmen für die dringend erforderliche Stärkung und Modernisierung des Bildungssystems aufwenden. […] Daher wollen wir eine Finanztransaktionssteuer einführen.“
Konkrete Zahlen nennt die SPD nicht. Wie stark der Spread zwischen r und g also durch eine Besteuerung von r und die geplante Entlastung der Einkommen verringert wird, lässt sich aus dem SPD-Programm nicht herauslesen.
Nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) führen die Entlastungen in der Einkommensteuer zu acht Milliarden Euro Mindereinnahmen, während durch die Integration der Kapitalerträge in die Einkommensteuer mit sieben Milliarden Euro Mehreinnahmen zu rechnen ist. Die Erbschaftsteuer erhöht die Einnahmen um drei Milliarden und die Vermögensteuer um zwei Milliarden. So kann keine genaue ökonometrische Bewertung erfolgen, wie sich die Maßnahmen auf die Schere zwischen Arm und Reich auswirken würde.
Dennoch soll folgende Heuristik helfen, wenigstens eine ungefähre Schätzung vornehmen zu können. Zwischen 1999 und 2018 wuchs das Privatvermögen in Deutschland von 7,3 Billionen Euro auf 14,1 Billionen Euro, hat sich also nahezu verdoppelt. Würde man zugrunde legen, dass im selben Zeitraum – wie von der SPD vorgeschlagen – jährlich jeweils 2 Milliarden Euro Vermögensteuer angefallen wären, hätte das das Vermögenswachstum um gerade einmal 38 Milliarden Euro verringert, es läge als anstatt bei 14,1 Billionen dann bei 14,072 Billionen Euro.
Fazit: Das SPD-Programm, das sich prinzipiell an das Thema Ungleichheit und Vermögensbesteuerung herantraut, schließt nicht die Schere zwischen Arm und Reich.
Warum die richtige Kommunikationsstrategie wichtig ist
Dennoch bleibt die Frage, ob diese Vorschläge der SPD denn wenigstens Aussicht auf Erfolg hätten und was die kommunikativen Voraussetzungen dafür wären. Die Politologin Martyna Linartas stellt die in ihrer historischen Untersuchung Deutschlands und Mexikos fest: Eine (höhere) Besteuerung von Vermögen bzw. Erbschaften war in der Geschichte immer nur dann erfolgreich, wenn sie von einer Gerechtigkeitsargumentation begleitet wurde, und nicht etwa, wenn die Finanzierung von Staatsausgaben ins Feld geführt wurde.
Das bedeutet, dass Erbschafts- und Vermögensteuern zuvorderst als Instrument zur Durchsetzung von Gleichheit und Gerechtigkeit, also explizit als ein Instrument zur Umverteilung angesehen wurden. Wenn dagegen die Besteuerung von Vermögen und Erbschaften als Mittel der Staatsfinanzierung in Betracht gezogen wurde, befand man sich häufig in einem paradigmatischen Umfeld, das solche Vorschläge ökonomisch unplausibel erscheinen ließ. Die Argumente sind bekannt: Erbschaft- und Vermögenssteuern treffen nicht nur die Reichen, sondern die Bevölkerung insgesamt, da sie Jobs gefährdeten, Innovation bremsten und das Wirtschaftswachstum hemmten. Eine Argumentation der Trickle-Down-Ökonomie.
Das SPD-Narrativ: Mutlos oder geschickt?
Vor diesem Hintergrund lohnt ein genauerer Blick in das Narrativ, von dem die Vorschläge im SPD-Bundestagswahlprogramm begleitet werden.
„Das aktuelle Steuersystem belastet Arbeitseinkommen relativ stark, Vermögen hingegen relativ gering. Das ist nicht gerecht und deshalb wollen wir das ändern […] und mehr Steuergerechtigkeit schaffen. Eigentum gibt Sicherheit, aber Eigentum verpflichtet auch. Daher wollen wir die vermögensbezogene Besteuerung stärken und Spitzenvermögen stärker an der Finanzierung der Modernisierung unseres Landes und unserer Gemeinschaft beteiligen. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer in ihrer heutigen Form ist nicht gerecht […]. Diese Ungerechtigkeit wollen wir abschaffen. Die Steuereinnahmen aus Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Vermögensteuer stehen den Ländern zu, in deren Verantwortungsbereich die Bildungspolitik liegt. Es ist daher unser Ziel, dass die Länder die aufgrund unserer Reformen erzielten Mehreinnahmen für die dringend erforderliche Stärkung und Modernisierung des Bildungssystems aufwenden.“
Die SPD eröffnet ihre Vorschläge zur Vermögensbesteuerung also deutlich mit dem Verweis auf die Gerechtigkeit als Selbstzweck. Dies wäre ganz im Sinne einer erfolgsversprechenden Argumentation, wie sie Linartas präsentiert. Mit dem Verweis auf das Grundgesetz – Eigentum verpflichtet – verbindet sie das Gerechtigkeitsargument folgend jedoch mit dem Finanzierungsargument. Oder anders formuliert: Die SPD stellt einen Finanzierungsbedarf für Investitionen und die Modernisierung fest, dieser müsse aber von den Spitzenvermögen geleistet werden, weil es gerecht sei. Diese Begründung, von dem die Vorschläge der SPD begleitet werden, ist also nicht so starr einer der beiden Zielsetzungen zuzuordnen. Viel mehr überlappen sie sich.
Traut sich die SPD nicht, konsequent die erfolgversprechendste Kommunikationsstrategie zu nutzen? Oder ist es angesichts der marktliberalen Diskurshegemonie ein geschicktes Manöver, zu versuchen, neue Elemente in die dominierenden Narrative einfließen zu lassen? So bliebe die SPD für den politmedialen Mainstream ernstzunehmend, würde sich im Diskurs also nicht selbst diskreditieren. Gleichzeitig trüge sie ihren Teil dazu bei, einen neuen Diskurs vorzubereiten, der – wie Linartas anmerkt – einer grundlegenden Veränderung in der Steuerpolitik immer vorausgeht.
Allerdings sind die Chancen einer Umsetzung angesichts der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Gemengelage derzeit beschränkt. Zumal zu befürchten steht, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen den möglichen Koalitionsverhandlungen als Erstes zum Opfer fallen werden. Die liberale Demokratie ist in der Krise. Aber vielleicht sollte die SPD ohnehin wieder mehr von der sozialen Demokratie sprechen.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie: Studentinnen und Studenten haben im Auftrag der MAKROSKOP-Redaktion die Wahlprogramme der Parteien kritisch analysiert.