Ukrainekrieg: Wie die EU zum Stellvertreter der USA wird
Liebe Leserinnen und Leser,
„Europa muss sich auf einen Krieg vorbereiten, wenn es Krieg verhindern will.“ Diese Worte spiegeln einen Grundsatz des Kalten Krieg wider: Abschreckung durch Aufrüstung. Doch sie stammen nicht aus der Zeit der Blockkonfrontation, sondern sind gerade einmal drei Tage alt: Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen sagte den Satz jüngst angesichts eines drohenden Krieges mit Russland gegenüber Kadetten einer dänischen Militärakademie.
Der Begriff „Kalter Krieg“ war schon damals ein Euphemismus. Auch wenn es niemals zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen dem kapitalistisch-demokratischen und dem sozialistisch-autoritären Block kam, bekriegten sich die Weltmächte doch auf dem Terrain von Drittstaaten – sowohl durch die Unterstützung fremder Armeen als auch mit dem Einsatz eigener Streitkräfte. Aufrüstung diente nicht nur der Abschreckung, sondern auch der indirekten militärischen Konfrontation.
Nicht umsonst gelten die Kriege in Vietnam, Korea oder Afghanistan als Stellvertreterkriege. Für den Konflikt in der Ukraine ist dieser Begriff jedoch weitestgehend verpönt. Doch drängt es sich angesichts der derzeitigen geopolitischen Verschiebungen nicht auch hier geradezu auf, von einem Proxy War zu sprechen?
Jetzt, da sich die USA aus der Ukraine zumindest teilweise zurückziehen werden, ist für die Trump-Administration klar: Die Europäer müssen mehr Verantwortung übernehmen. Das ermöglicht den USA, sich mehr auf ihren „Hauptgegner“ China konzentrieren, so der Oberst a.D. Wolfgang Richter im Interview mit der MAKROSKOP-Autorin Ulrike Simon.
Und die EU? Sie kommt der Aufforderung vom US-Verteidigungsminister Pete Hegseth, ihre Militärausgaben zu erhöhen, stillschweigend nach. Der ehemalige US-Marine Brian Berletic nennt dies zynisch aber treffend „Arbeitsteilung“: Während die EU Russland militärisch zurrückdrängt, dämmen die USA China ein. Da aber die USA Europa nicht komplett aufgeben wollen – zu sehen etwa am vorerst gescheiterten Rohstoff-Deal mit der Ukraine - hört Brüssel nicht damit auf, Washingtons geoökonomische Interessen zu vertreten. Vor allem in diesem Sinne wird die EU zum Stellvertreter der USA.
Aber welche Wahl hat die Union? Die Niederlage der Ukraine einzugestehen, wäre ein herber politischer Schlag. Oder in den Worten von Thomas Fazi: Der Ukrainekrieg ist „zur einzigen Daseinsberechtigung der EU-Führungskräfte geworden.“ Unter dem Deckmantel des „Kampfes gegen die russische Einmischung“ ließen sich Sozial- und Demokratieabbau rechtfertigen.
Dabei gäbe es einen Kompromiss, der auch für Russland gesichtswahrend wäre. Richter schlägt vor: Anstatt europäische Friedenstruppen in die Ukraine zu schicken – die Russland ablehnt – könnten die Vereinten Nationen Blauhelmtruppen entsenden. Mithilfe der UN könnten die Europäer einen Anteil an einer Friedenssicherung haben, die ihren Namen auch verdient.
Russland müsste diesem Vorschlag aber im Sicherheitsrat zustimmen. Dafür braucht es zunächst einen Waffenstillstand – und hier beißt sich die Katze in den Schwanz, stehen die Zeichen in der EU doch auf Konfrontation und Kriegswirtschaft.
Alle Artikel und Themen dieser Ausgabe:
- Mietmisere zeigt – wir haben das falsche Wirtschaftsmodell Eine exportorientierte Wirtschaftspolitik gilt als Erfolgsmodell. Doch ist das wirklich so? Machen wir die Probe vor Ort. Werner Vontobel
- Krankmeldungen: Zwischen Bettkanten und dünnen Personaldecken Krankheitsbedingte Fehlzeiten haben einen Höchststand erreicht: Liegt das an falschen Anreizen – oder an zu hohen Arbeitsbelastungen und mangelnder Prävention? Eike Winscheid-Profeta
- „Die USA haben nach wie vor Interesse an Europa“ Kann Europa die Ukraine retten? Wolfgang Richter, Oberst a.D., über die deutschen Rüstungsausgaben, Friedenstruppen in der Ukraine, die russisch-amerikanischen Gespräche und europäische Illusionen. Ulrike Simon
- Europa plant keinen Frieden Wie lange werden die europäischen Staats- und Regierungschefs den Krieg in Russland noch verlängern? Thomas Fazi
- Gibt es eine Wirtschaftskrise in China? China führt seine Wirtschaft auf den Pfad einer innovationsbasierten Entwicklung. Doch Probleme wie die demographische Entwicklung, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und deflationäre Tendenzen muss Peking lösen. Rainer Land
- Wo bleibt die Binnennachfrage für US-Autos? Nicht nur Tesla bekommt Probleme auf dem heimischen Markt. Auch die anderen großen US-Hersteller sehen sich mit sinkenden Verkäufen und enormer Konkurrenz aus China konfrontiert – insbesondere bei der lange vernachlässigten E-Mobilität. Roger Boyd
- Sondervermögen Bund: Gut gedacht? Das von Union und SPD geplante Kreditaufnahme per Sondervermögen wurde diese Woche im Bundestag mit den Stimmen der Grünen verabschiedet. Dazu musste sich die kommende Koalition auf Zugeständnisse im Klimaschutz einlassen. Lukas Poths
- Trumps DOGE ist komplexer, als es scheint Die laute Kritik an Trumps Department of Government Efficiency (DOGE) ignoriert, worum es der Behörde wirklich geht. Yotam Givoli