It’s the Schuldenbremse, Stupid!
Die neuen „Schulden“ in Milliardenhöhe durch CDU, SPD und Grüne müsse der Steuerzahler zurückzahlen, lautet die Kritik. Doch das ist keineswegs ein Naturgesetz, sondern die Konsequenz der Schuldenbremse selbst.
Nachdem eine SuperGroko aus alten und neuen Regierungsparteien die Freistellung eines nach oben hin unbegrenzten Anteils der jährlichen Rüstungsausgaben von den Beschränkungen der sogenannten Schuldenbremse im Grundgesetz noch vor Konstituierung des neuen Bundestages beschlossen hat, scheint die Verwirrung komplett.
Während sich die AfD augenscheinlich einzig und allein an der dadurch erfolgten Außerkraftsetzung der Schuldenbremse stört – unbegrenzte Rüstungsausgaben bejaht sie ohne weiteres – lautet der Tenor auf Seiten linker Protagonisten keineswegs spiegelbildlich genau umgekehrt.
Hier ist man zwar eindeutig gegen unbegrenzte Aufrüstung (ob auch gegen Verteidigungsausgaben generell soll hier nicht diskutiert werden). In diese Kritik mischt sich aber offenbar auch eine Kritik an neuen „Schulden“ und deren Verzinsung, die schließlich „der Steuerzahler“ zurückzahlen müsse. Auch diese Haltung kann als Verteidigung der sogenannten Schuldenbremse verstanden werden – die Schuldenbremse als vermeintlicher Schutzschild des Steuerzahlers.
Bei dieser Kritik neuer „Schulden“ wird allerdings übersehen, dass der Rückgriff auf den Steuerzahler keineswegs ein Naturgesetz, sondern die Konsequenz der Schuldenbremse selbst ist.
Die sogenannte Schuldenbremse verhindert, dass die neuen Rüstungsschulden durch eine spätere Neuverschuldung „umgewälzt“ werden können und führt daher zukünftig zu einem immer größeren Anteil der Inanspruchnahme vorhandener Steuereinnahmen für die Schuldentilgung. Dies führt zu immer weiter sinkenden Haushaltsspielräumen für die eigentlichen Aufgaben des Staates.
In dieser Hinsicht sind die unbegrenzten Rüstungsausgaben im Rahmen der Begrenzung der Schuldenbremse also sehr teuer – manche würden sagen, mit zunehmender Dysfunktionalität des Staates bezahlt. Denn die Rückzahlung der Rüstungsverschuldung und ihrer Verzinsung im Rahmen des regulären Haushalts und der sogenannten Schuldenbremse führt zwangsläufig in die Austerität (Kürzung der Ausgaben im Übrigen) und verschärft so den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands.
Mit anderen Worten: Die teils sogar als genialer Wurf gefeierte Umgehung der sogenannten Schuldenbremse erweist sich als systematischer Pfusch und Selbstmord des Staates durch die Parteien: Die ich rief die Geister, werd‘ ich nicht mehr los.
Wie immer man inhaltlich zur geplanten „unbegrenzten Aufrüstung“ steht – kritikwürdig ist in erster Linie die dadurch ausgelöste grenzenlose Ressourcenverschwendung für Energie und Militärmaterial, das bestenfalls der natürlichen Verschrottung unterliegt, schlimmstenfalls als Auslöser für den physischen Untergang Deutschlands in Form eines Atomkrieges fungiert – wer mit „Schulden“ grundsätzlich ein Problem hat, macht sich zum Verteidiger der Schuldenbremse, deren Existenz seit über einem Jahrzehnt ihre mentalitätsprägende Wirkung offenbar nicht verfehlt hat.
Geld und Schulden sind zwei Seiten derselben Medaille
Allen Adepten der Schuldenbremse und denjenigen, die meinen, für die Rückzahlung staatlicher Kreditschulden sei letzten Endes natürlicherweise „der Steuerzahler“ verantwortlich, ist zu sagen: Geldschulden werden immer und überall nur mit anderen (eigenen oder fremden) Geldschulden bezahlt.
Dies liegt daran, dass die Geldschulden (Zahlungsversprechen) des einen das Geld des anderen sind. Geld und Schulden sind dasselbe Phänomen – es kommt nur darauf, ob man es als Gläubiger oder Schuldner betrachtet. Und auf welcher Seite der Bilanz „Geld“ verbucht wird: Bei den Aktiva oder den Passiva.
Für die Schulden des Staates macht es deshalb keinen Unterschied, ob diese durch neue Staatsschulden – die sogenannte Umwälzung – beglichen werden, oder durch die Bankguthaben der Steuerzahler, die diese zur Begleichung ihrer Steuerschuld auf den Staat übertragen.
In der modernen Geldwirtschaft sind alle Versprechen auf Geldzahlung – sprich Schulden – auf die Zur-Verfügung-Stellung von Zentralbankgeld (Bargeld und Zentralbankbuchgeld) gerichtet. Das gilt sogar für die Zahlungsversprechen der Zentralbank (Guthaben auf Zentralbankkonten) selbst.
Das sogenannte Geld der Steuerzahler auf den Konten der privaten Geschäftsbanken und öffentlichen Kreditinstitute ist deshalb nichts anderes als das Versprechen dieser Institutionen, Bargeld auszuzahlen oder Zentralbankbuchgeld für die Übertragung des Guthabens an andere Institute oder den Staat via Zentralbankzahlungsverkehr (Zahlungen des Kontoinhabers an Dritte) zur Verfügung zu stellen. Werden Steuern bezahlt, landet Zentralbankgeldguthaben auf dem Zentralbankkonto des Bundes bei der Bundesbank.
Nichts anderes gilt, wenn der Staat – etwa in Form von Staatsanleihen – seinerseits ein Versprechen abgibt, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft einen bestimmten Zentralbankgeldbetrag zur Verfügung zu stellen. Als Gegenleistung für dieses Versprechen zahlen die Mitglieder der sogenannten Bietergruppe für die Staatsanleihen ebenfalls Zentralbankgeld auf das genannte Zentralbankgeldkonto des Bundes.
Warum in dieser Konstellation den Zentralbankguthaben aus Steuerzahlungen der Vorrang gebühren soll, wie dies den Adepten der Schuldenbremse als böses Omen ständig vorschwebt, ist technisch nicht begründbar. Es ist auch nicht so, dass Zentralbankguthaben aus Steuereinnahmen „wahres Geld“, Zentralbankguthaben als Gegenleistung für Zahlungsversprechen des Staates hingegen „Schulden“ sind. Vielmehr stellen die Guthaben auf den Bankkonten der Steuerzahler, die diese für Steuerzahlungen benutzen, ihrerseits ausschließlich Schulden der Banken dar.
Eine Hierarchie zwischen den aus diesen Guthaben hergeleiteten Zentralbankguthaben des Staates und sonstigen lässt sich also nicht begründen. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die Verzinsung als Teil des staatlichen Zahlungsversprechens mit in Betracht zieht.
Treiben steigende Zinsen den Bund in die Pleite?
Die Höhe des Zinssatzes beruht einerseits auf der Zinspolitik der Zentralbank – je höher die dort zu erzielenden Einlagezinsen bzw. Finanzierungszinsen, desto höher der notwendig anzubietende Zinssatz auf Seiten des Staates. Man denke an die Zeiten der Nullzinspolitik der EZB, als die Zinsen für deutsche Staatsanaleihen teilweise negativ waren.
Andererseits besteht die Befürchtung, dass bei einer steigenden staatlichen Verschuldung „die Märkte“ immer höhere Zinssätze verlangen, sodass eine sich selbst verstärkende Kreditzinsblase entsteht, die schließlich „in die Pleite“ führt.
Richtig ist, dass die EZB über ihre Ankaufpolitik für staatliche Kreditinstrumente auf dem sogenannten Sekundärmarkt (Kurspflege) den tatsächlichen Zinssatz für festverzinsliche staatliche Kreditinstrumente bestimmt. Dadurch verhindert sie gerade, dass die Verzinsung auf dem Sekundärmarkt in den Himmel wächst. Dies definiert dann auch den Zins auf dem sogenannten Primärmarkt.
Ebendies ist in der „Eurokrise“ gegen den Protest prominenter deutscher Hardliner geschehen, die nicht sehen wollten, dass ihre „harte Linie“ den Weg in den währungspolitischen Abgrund und den Zusammenbruch des Eurosystems geführt hätte. Technisches Systemverständnis und ideologische Verblendung bei im Übrigen intelligenten Zeitgenossen sind keine guten Partner.
Zwar ist die EZB, was die Kurspflege anbelangt, kein durchweg loyaler Partner der Nationalstaaten, sondern hat ihre Intervention etwa in der Griechenlandkrise – ähnlich wie der IWF außerhalb Europas – von der Erfüllung politischer Forderungen (Konditionalitäten) abhängig gemacht.
Im Großen und Ganzen aber kann die EZB gerade im Fall Deutschlands gar nicht anders, als die Nationalstaaten wie schon in der Eurokrise gegenüber den selbstreferentiell blasenbildenden Märkten in Schutz zu nehmen. Somit ist die Fähigkeit des Staates, seine Schulden umzuwälzen, auch im Euro-Währungssystem technisch gewährleistet.
Ein Währungssystem, in dem dies nicht Fall ist, wäre nicht lebensfähig und längst zusammengebrochen. Die EZB selbst und mit ihr wohl die Europäische Union wären längst Geschichte.
Wenn also die Unterscheidung der beiden Kategorien von Zentralbankgeld – wie oben gesehen – ohne praktische Bedeutung ist, ist es an der Zeit die sogenannte Schuldenbremse als das zu benennen, was sie eigentlich ist: Eine Geldbremse für staatliche Ausgaben mit Tendenz zur Erdrosselung der öffentlichen Haushalte und des Staates.