Editorial

Von Resilienz und fairen Regeln

| 02. Mai 2024
IMAGO / Zoonar

Liebe Leserinnen und Leser,

willkommen in einer neuen Woche. Die früher so glänzende Gloriole der Globalisierung ist längst auch im Mainstream-Denken recht matt geworden. Stattdessen manifestiert sich der Wunsch nach Resilienz. Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft sind zu ihrer Überraschung gewahr geworden, dass manche theoretische Unterstellungen der Ökonomie – vor allem stetige, friktionslose Lieferungen durch den Weltmarkt – eher Wunschdenken war. Die politisch spannungsreiche Gegenwart zeigt unsanft, dass Pipelines gesprengt, Sanktionen verhängt, Ausfuhrstopps wichtiger Vorprodukte verkündigt werden können.

Davon unberührt bleibt auch nicht die deutsche Energiewende, die Versorgungssicherheit, Klima- und Umweltschutz sowie eine wirtschaftlich tragfähige Energieversorgung miteinander vereinen will. Doch laut Bundesrechnungshof scheitert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Robert Habeck eklatant an den selbst gesteckten Zielen.

Eine andere Herausforderung der De-Globalisierung: Wie lässt sich vermeiden, dass Eingriffe in den Weltmarkt, also Subventionen oder Auflagen, zu Lasten ärmerer Staaten gehen? Gerade hat der IWF eine neue Studie mit dem Inhalt publiziert, dass im letzten Jahr industriepolitische Maßnahmen – ein Sammelbegriff für die eigene Produktion unterstützende Aktivitäten – geradezu explodiert sind, und der überwiegende Anteil davon entfiel auf die reichsten Staaten.

Das alte WTO-System scheint schon jetzt mehr tot als lebendig. Niemand mit ökonomischem Gewicht hält sich mehr an diese Regeln. Regeln wohlgemerkt, die schon in der Vergangenheit Entwicklungs- und Schwellenländern eher geschadet denn genutzt haben. Ein Beispiel ist Argentinien: Gedeih oder Verderb des Landes lagen in den Händen der großen Industrienationen. Die Infrastruktur befand sich in Besitz ausländischen Kapitals und die Wirtschaft war abhängig von dem Export der einheimischen Bodenschätze. Die aktuelle Krise Argentiniens liegt auch in seiner wirtschaftlichen Geschichte begründet, schreibt Héctor Labat Moles.

Und so ist die Präsidentschaft Javier Mileis in gewisser Weise eine Ironie der Geschichte. Während etwa die USA mit dem IRA auf staatlichen Protektionismus setzen, ist Mileis Programm eine geradezu anachronistische Flucht zurück zum Heilsversprechen der Marktliberalisierung.

Diese und weitere Themen finden Sie in unserer neuen Ausgabe:

  • Lob des Local Content Industriesubventionen sind sehr in Mode. Das ist kostspielig und trägt Eskalationsrisiken. Eine bessere Alternative wären Auflagen zur lokalen Produktion. Doch dafür sollten auch die jeweiligen Wohlstandsniveaus der Länder berücksichtigt werden. Gerd Grözinger
  • Argentinien: Gefangener der ewigwährenden Krise? Wer das heutige Argentinien verstehen will, muss seine Vergangenheit begreifen. Drei große Phasen kennzeichnen seine Geschichte – geprägt durch große Krisen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass auch Javier Milei scheitern wird. Héctor Labat Moles
  • Kaiser Habeck und sein Ministerium ohne Kleider Der Bundesrechnungshof hat einen Bericht „zur Umsetzung der Energiewende“ vorgelegt. Brisant: Darin wird dem zuständigen Minister Robert Habeck nicht weniger als völliges Versagen bescheinigt. Der reagiert beleidigt und mit Machtarroganz. Doch ist die Reaktion berechtigt? Heinz-J. Bontrup und Markus J. Löffler
  • Gute Rüstungsausgaben, schlechte Bildungsausgaben? Traditionell wird zwischen investiven und konsumtiven Staatsausgaben unterschieden – wobei erstere als gut, letztere dagegen als schlecht gelten. Diese Unterteilung greift nicht nur zu kurz, sondern ist oft irreführend. Sie sollte deshalb um eine andere Kategorisierung ergänzt werden. Günther Grunert
  • Frieden in der Ukraine: Ohne den Westen? Nur, wenn man den Westen aus der Gleichung herausnimmt, kann der Krieg in der Ukraine beendet werden – behauptet der Russland- und Ukraine-Kenner Nicolai Petro. Ulrike Simon
  • Netanjahus Giftmaschine Benjamin Netanjahu hält sich durch Methoden an der Macht, die einer liberalen Demokratie Hohn sprechen. Das ist ein Problem für den gesamten Nahen Osten. Yotam Givoli
  • Wahlk(r)ampf in der Brüsseler Blase Sechs Wochen vor der Europawahl blamieren sich die deutschen Spitzenkandidatinnen Ursula von der Leyen (CDU) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt. Macht nichts – denn es hat ohnehin kaum jemand zugeschaut. Und eine echte Wahl gibt es diesmal auch nicht. Eric Bonse
  • Die zyklische und soziale Dimension der Energie Der Klimadiskurs kratzt nur an Symptomen. Er blendet den fundamentalen Zusammenhang zwischen äußerer Energie der Natur und innerer Energie des Menschen aus. Energie gibt es genug – wir müssen sie nur entdecken und klug mit ihr umgehen. Fritz Reheis