Editorial

Alte Rezepte, neue Risiken

| 19. Juni 2025
@midjourney

Liebe Leserinnen und Leser,

dass Friedrich Merz ankündigte, den deutschen Binnenmarkt stärken zu wollen, sehen manche Stimmen als Angriff auf einen „essenziellen Anker deutscher Identität“ – das Exportmodell. Das Problem: Dieses Modell basiert nicht nur auf deutscher Ingenieurskunst, sondern wesentlich auf Lohnzurückhaltung und einem schwachen Binnenmarkt. Der Einbruch der Binnennachfrage ist kein unbeabsichtigter Kollateralschaden, sondern Folge bewusster wirtschaftspolitischer Strategien seit den 2000er Jahren, insbesondere der Agenda 2010 (Stichwort: größter Niedriglohnsektor Europas).

Mit anderen Worten: Diese Politik hat die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gestärkt, gleichzeitig aber die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten gedämpft. Das Ergebnis: Ein anhaltender Handelsbilanzüberschuss, der Deutschland zum fragwürdigen Titel der „Exportweltmeisterschaft“ führte.

Doch in einer sich verändernden Welt „kann man seine Identität nicht zum sakrosankten Kulturgut erklären“, wie MAKROSKOP-Herausgeber Heinrich Röder schreibt. Denn die neue US-Zollpolitik ist nicht nur als defensive Maßnahme gegen China zu verstehen, sondern ebenso als gezielte Reaktion auf das deutsche Exportmodell mit dem Ziel, strukturelle Ungleichgewichte zu korrigieren.

Dabei ist die amerikanische Kritik an Deutschlands Handelsüberschüssen nicht neu, sie flammt angesichts der globalen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen immer wieder auf. Historisch erinnert sie an die Handelskonflikte der 1970er und 1980er Jahre. Auch damals kam es zu Spannungen zwischen den USA, Japan und Europa, insbesondere im Automobil- und Stahlsektor. Aber: Genauso wie damals werden protektionistische Maßnahmen das US-Handelsbilanzdefizit aus verschiedenen Gründen dauerhaft kaum verringern.

Weiter im Raum steht dennoch die nicht nur soziale, sondern – wie gesehen – auch für den Außenhandel relevante Frage angemessener Löhne. Sie betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch andere wohlhabende europäische Länder wie die Schweiz. In beiden Volkswirtschaften reicht der Vollzeitlohn vieler Beschäftigter oft nicht zum Leben – eine Folge, des globalen Standortwettbewerbs.

Vor diesem Hintergrund steht das deutsche Wirtschaftsmodell an einem Scheideweg: Weitere Lohnzurückhaltung und Exportausrichtung bergen – gepaart mit wachsender internationaler Konfrontation und der von der EU vorangetriebenen Umstellung der Produktion auf Kriegswirtschaft – erhebliche Risiken für die wirtschaftliche Stabilität und den sozialen Zusammenhalt.

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