Außenhandel

Kann die neue Zollpolitik der USA Erfolg haben?

| 18. Juni 2025
@midjourney

So berechtigt die Zielsetzung eines ausgeglichenen Außenhandels auch ist – ob die US-Administration ihr Ziel mit ihrer Zollpolitik erreichen wird, ist zweifelhaft.

Ein New Yorker Immobilienhai mag mit den Mitteln des Schocks, der Verunsicherung und dem, was er für einen guten Deal hält, weiterkommen. Konstruktive Verhandlungen im internationalen Raum bedürfen anderer Prinzipien: dem Partner dabei helfen zu verstehen, das zu tun oder zu unterlassen, wozu er ohnehin genötigt ist – und ihm ansonsten nachvollziehbar machen, dass man seine Lebensinteressen versteht und berücksichtigen will.

Dennoch bleibt die Frage, ob die USA allein mit Verhandlungen ihrem Ziel einer ausgeglichenen Außenhandelsbilanz näherkommen. Erfolgversprechender ist die Kombination aus Handeln und gleichzeitigen Gesprächsangeboten. Statt mit einem Hin und Her von An- und Abkündigungen sehr großer Eingriffe einen Deal zu suchen, wäre ein behutsames Vorgehen sinnvoller gewesen: einen Mechanismus von kleinen Zoll-Schritten und der Prüfung ihrer Wirkung in Gang zu setzen.

So ließen sich für den Fall, dass sich die erstrebte Wirkung nach vordefiniertem großzügigem Zeitverlauf auf den Saldo im Außenkanal nicht ausreichend zeigte, von Beginn an weitere Erhöhungen der Einfuhrsteuer ankündigen. Dieser Prozess könnte sich über mehrere Jahre hinziehen und allen handelnden Akteuren Planungssicherheit und Zeit zu Anpassungsmaßnahmen geben. Er bedürfte nicht einer Zustimmung der Partner zu einem Deal, könnte aber von einem Verhandlungsangebot an die Partner begleitet sein, um weitere Wege der Problemlösung gemeinsam zu finden. Diesen Weg verfolgt die US-Administration offensichtlich nicht.

Maskierte Kriegswirtschaft

Eine ganz andere Frage ist, ob die amerikanische Administration überhaupt ausreichend bedacht hat, womit sie die eigene Binnenökonomie belastet, wenn sie ihr Ziel eines saldenlosen Außenkanals erreichen würde. Ich halte die US-Ökonomie ebenso wie die russische Ökonomie für eine Kriegswirtschaft, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Russland muss seine Kriegswirtschaft selber finanzieren. Die russische Bevölkerung erträgt die damit verbundene Belastung, dass ein großer Teil der eigenen Produktivkräfte für Krieg und nicht für Konsum und Entwicklung verwendet werden, offensichtlich mit großer Geduld.

Die USA betreiben dagegen eine maskierte Kriegswirtschaft. Für sie läuft die Finanzierung der Ausgaben für die militärische Durchsetzung ihrer globalen Dominanzansprüche weitgehend über die Bereitschaft des Auslands zum Kapitalexport in die USA. Ein Großteil der Konsum- und Ausrüstungsgüter wird in die USA geliefert, ohne durch ausreichende Gegenlieferungen kompensiert zu sein. Nichts anderes ist das Leistungsbilanzdefizit der USA. Dadurch ist es ihr möglich, einen beträchtlichen Teil ihrer produktiven Kräfte als Rüstungsindustrie arbeiten zu lassen.

Der Vorwurf der US-Regierung an die Staaten mit Leistungsbilanzüberschüssen, sie würden den Konsum ihrer eigenen Bevölkerung unterdrücken („unter ihren Verhältnissen leben“), ist zwar zu Recht von Peter Navarro auf den Sprechzettel des Präsidenten geschrieben worden.

Doch fällt der mit den Leistungsbilanzüberschüssen verbundene Kapitalimport in die USA weg, hätte die Binnenwirtschaft der USA alleine die Last der Kriegswirtschaft zu tragen. Diese Einsicht passt nicht so recht zu dem Narrativ der Ausbeutung der USA durch ihre Handelspartner.

Indes ist die Klage der US-Administration über ihr Leistungsbilanzdefizit und die Verantwortung ihrer Handelspartner für diesen Umstand nicht neu. Genauso wenig das angestrebte Ziel, das Leistungsbilanzdefizits der USA zurückzuführen und damit verbunden das Land zu reindustrialisieren.

Neu allein sind die radikalen Maßnahmen, die dazu führen, dass die USA nahezu alle Handelspartner mit beträchtlichen Importzöllen belegen. In diesem Zusammenhang liegen zwei Fragen auf dem Tisch:

  1. Steht das Ziel im Einklang mit grundlegenden Regeln des internationalen Handels? Auf jeden Fall Ja.
  2. Wie steht es mit den Aussichten, dieses Ziel mit den eingesetzten Mitteln überhaupt erreichen zu können? Höchst zweifelhaft!

Was die erste Frage betrifft, hilft ein Blick auf den im Grunde recht einfachen Zusammenhang der Leistungs- und Zahlungsbilanz. Es geht hier um nichts anderes als das simple Verhältnis von Ausgaben und Einnahmen und die Art und Weise ihrer Finanzierung.

Die Höhe der Einnahmen und Ausgaben kann gleich groß sein oder nach verschiedenen Seiten hin differieren. Unerlässlich ist es sich klarzumachen, dass das System aller Einnahmen und Ausgaben auf der ganzen Welt ein Null-Summen-Spiel ist. Die Addition aller Einnahmen ergibt aus logischen Gründen denselben Betrag wie die Summe aller Ausgaben

Eine Frage der Salden

Aus dieser Einsicht kann eine wichtige Konsequenz gezogen werden: Wer die Summe seiner Einnahmen über die Summe seiner Ausgaben (absichtlich oder auch nicht) geführt hat, hat positives Geldvermögen gebildet. Die logisch zwingende Konsequenz daraus ist die Verschuldung in der übrigen Wirtschaftswelt. Hat ein Wirtschaftsakteur 100.000 Euro positives Geldvermögen, weist die übrige Wirtschaftswelt genau denselben Betrag als negatives Netto-Geldvermögen aus.

Heißt, dieser Schulden-Betrag ergibt sich logisch centgenau durch die Summenbildung aller positiven und negativen Geldvermögensbeträge der übrigen Wirtschaftskateure. Umgekehrt gilt das selbstverständlich auch: Ein Wirtschaftsakteur, dessen Ausgaben seine Einnahmen um 100.000 Euro überstiegen haben, steht einer Wirtschaftswelt gegenüber, die ein saldiertes positives Netto-Geldvermögen von 100.000 Euro hat.

Staatsverschuldung ist eine Normalität

Anders als natürliche Personen können Staaten die Rolle eines Schuldners über die natürliche Generationenabfolge ihrer Bürger hinweg einnehmen. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Im 20. Jahrhundert gab es eine Generation in Deutschland, die durch das Zusammenbrechen des Währungssystems zweimal ihr ganzes Geldvermögen verloren hatten. Schuldner wurden ihre Schulden ledig, Gläubiger ihrer Forderungen. Verlorene Kriege haben für die betroffenen Staaten typischerweise solche Folgen.

Die Staatsverschuldung ist trotz dessen in unserer Welt eine Normalität. Nur ganz wenigen Staaten, die mit natürlichen, auf der ganzen Welt begehrten Schätzen überreichlich versorgt sind, gelingt es, auf Dauer ein ausgeglichenes Budget zu haben.

Gegen die Staatsschulden wird nun immer wieder vorgebracht, dass sie eine Belastung der nachfolgenden Generationen darstellten. Wenn aber der Staat über Generationen weiter existiert, ist er ein gefragter Schuldner. Die Erben eines Depots mit Staatanleihen kritisieren nicht, durch die Staatsverschuldung belastet zu sein. Das verdeckte Problem der Staatsschulden ist die ungleichmäßige Begünstigung, die in den meisten Fällen zur Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung in arm und reich führt.

Staatlicher Schuldenabbau – überhaupt gewünscht?

Insoweit die Schulden eines Staates auf der einen Seite dasselbe sind wie die Forderungen einiger seiner Bürger ihm gegenüber, handelt es sich um ein internes Problem, das das Staatsvolk unter sich ausmachen kann. Diese gesellschaftliche Spaltung ist immer schon gegenwärtiger Zustand, der den Nachkommen weitergereicht wird.

Die vielbemühte Kritik, Staatschulden würden kommende Generationen belasten, setzt dagegen mindestens voraus, dass das Ausland der Kreditor ist. Die inländische Ökonomie muss dann in die Zukunft verschobene Leistungen an das Ausland abgeben – ohne später dafür Gegenleistungen zu erhalten. Der diesem Export gegenüberstehende Import fand nämlich schon in der Vergangenheit statt.

Eine solche Leistungsabgabe an das Ausland diente hier deshalb nur zur Schuldenreduktion. Paradoxerweise ist es allerdings alles andere als selbstverständlich, dass das Ausland an dieser Schuldenreduktion interessiert ist. Interesse besteht meistens nur an Gütern und Rohstoffen, die die Kreditoren nicht selbst herstellen oder gewinnen können. Bei Importen, die die Geschäfte der eigenen Unternehmungen im eigenen Lande belasten, müssen die Politiker mit starkem Protest von Unternehmern und Beschäftigten rechnen.

Die US-Hegemonie und das Leistungsbilanzdefizit

Ist es also sinnvoll und richtig, wenn die Gesamtheit eines einzelnen Staates – zusammen mit seinen Bürgern und Unternehmen – sich auf Dauer im Ausland verschuldet und diesen Schuldenberg fortwährend vergrößert?

Man könnte diese Frage gleichbedeutend auch umgekehrt formulieren: Ist es sinnvoll und richtig, wenn die Gesamtheit eines einzelnen Staates zusammen mit seinen Bürgern und Unternehmen auf Dauer gegenüber dem Ausland Geld-Forderungen aufbaut und diesen Berg von Forderungen vergrößert?

Es handelt es sich um ein und dieselbe Frage in verschiedenem Gewand: Es kann Staaten mit Überschüssen nur geben, insoweit es andere mit Defiziten gibt. Leistungsbilanzdefizite und -überschüsse sind ein Nullsummenspiel. Diese Differenzen können begrenzte Zeiträume sinnvoll sein oder notwendig.

Aber welche Staaten sollen auf Dauer Überschüsse haben und welche Staaten auf Dauer Defizite? Wer sollte schließlich das Recht haben, einzelnen Staaten die Rollen der Kreditoren und der Debitoren auf Dauer zuzuweisen?

Der Sinn des Merkantilismus früherer Jahrhunderte bestand in der Anhäufung von Gold, was wiederum machtpolitisch begründet war. Es ging darum, stehende Heere bezahlen zu können. Wie oben schon ausgeführt, könnte es heute umgekehrt sein – und die größte machtpolitische Zusammenballung auf unserem Globus macht ein Leistungsbilanzdefizit notwendig.

Export nur um des Imports willen

Die Klassiker wussten dagegen schon sehr genau, dass der Wohlstand der Nationen nicht durch Merkantilismus hervorgerufen wird, sondern im Gegenteil Nationen, die exportieren wollen, ihre Häfen für den Import öffnen müssen. Jean Bodin schrieb vor fast 500 Jahren: „Wenn manche klagen, das Geld verlasse das Königreich, so dürfen sie nicht vergessen, dass es anderswo Einnahmen schafft, die wiederum für den Kauf unserer Waren aufgebracht werden.“

In Deutschland scheint es dagegen vergessen zu sein, dass der Sinn des Exports immer der Import sein sollte. Der Sinn des deutschen Exportes scheint es dagegen zu sein, dass Deutschland sich als Exportnation verstehen darf.

Heiner Flassbeck kritisiert seit Jahrzehnten die deutsche Politik des Wettbewerbs von Nationen, die Deutschland mit der Waffe der Lohnzurückhaltung zum Leidwesen seiner Partner in der europäischen Union betreibt. Kritikpunkte, die Flassbeck benannt hatte, finden sich nun wieder als Vorwürfe des amerikanischen Präsidenten an die Adresse der Handelspartner der USA. In der öffentlichen Debatte in Deutschland werden sie dagegen nicht Gegenstand ernsthafter Überlegungen. Das ist ein eklatanter Fehler.

Beachten die USA die Saldenmechanik?

Doch selbst wenn ein gemeinsam agierendes Europa auf den Pfad ausgeglichener Leistungsbilanzen gegenüber den USA einschwenken wollte, bliebe die Frage: können die USA mit ihrer Zollpolitik ihr Ziel wirklich erreichen?

Die Saldenmechik zeigt, dass die jeweiligen Finanzierungssalden der einzelnen makroökonomische Sektoren einer Volkswirtschaft in Summe immer null ergeben. Der Staatssektor hat in aller Regel immer einen negativen Saldo seiner Einnahmen und Ausgaben, der Sektor der privaten Haushalte gegenwärtig eher einen positiven – heißt: dieser Sektor hat in aller Regel in Geld gespart. Im Unternehmenssektor kann es unterschiedlich sein.

Wenn die Addition dieser drei Sektoren negativ ist, sich also die gesamte Ökonomie eines Staates im betrachteten Zeitraum zusätzlich netto verschuldet hätte, hat logischerweise der Auslandssektor netto zusätzliche Forderung gegen das Inland aufgebaut. Es hat sich also ein Leistungsbilanzdefizit ergeben.

Genau das ist der Zustand, den die amerikanische Administration nun mit ihrer Zollpolitik verändern will. Sie belegt die Importe mit einer Einfuhrsteuer, und hofft, dass über die Wirkung der Preiselastizität die Nachfrage nach den importierten Gütern sinkt, dass stattdessen vermehrt einheimisch produziert und gekauft wird.

Wenn nun die zu erwartenden Vergeltungszölle der Handelspartner wiederum zu einer Rückführung der US-amerikanischen Exporte führen, hängt die Wirkung auf die Leistungsbilanz davon ab, in welchem Umfang jeweils die Importe und die Exporte der Güter und Dienstleistungen sinken. Wenn der Betrag des Rückgangs in beiden Bereichen jeweils absolut gleich groß wäre, hätte sich am Leistungsbilanzdefizit nichts geändert.

Eine große Bedeutung für die Entwicklung der Leistungsbilanz haben aber auch die Finanzierungsalden der inländischen Wirtschaftssektoren Staat, Unternehmen und private Haushalte. Sind aufgrund der Vielzahl von Problemen in den Lieferketten und der allgemeinen wirtschaftlichen Verunsicherung angesichts der neuen Handelspolitik rezessive Tendenzen zu erwarten, löst dies zwar verstärkte Sparbemühungen der einzelnen Akteure im Unternehmenssektor und im Sektor der privaten Haushalte aus. Da die verringerten Ausgaben der einen immer zugleich auch die verringerten Einnahmen der anderen sind, sind solche Tendenzen gesamtwirtschaftlich gesehen nie erfolgreich und verstärken lediglich die rezessiven Tendenzen.

Das US-Leistungsbilanzdefizit wird der Zollpolitik trotzen

Entscheidend wird sein, was sich für den Staatssektor ergeben wird. Die Politik der US-amerikanischen Administration war es, die eigene Steuerbehörde durch radikale Rückführung der Personalstärke zu schwächen und damit zugleich verringerte Steuereinnahmen in Kauf zu nehmen. Diese Steuerausfälle sollten durch verstärkte Zolleinnahmen kompensiert werden.

Dass diese Rechnung aufgehen wird, ist zweifelhaft. Auf jeden Fall gibt es keinen Grund für die Annahme, dass die jährliche Neuverschuldung des Staates zurückginge. Wenn nun die beiden anderen inländischen Sektoren der USA nicht nennenswert stärker sparen würden (Ausgaben senken bei gleichbleibenden Einnahmen oder Einnahmen stärker als Ausgaben steigern) und die staatliche Neuverschuldung der USA mindestens gleichbliebe, würde sich am sogenannten Außenbeitrag nichts ändern – das zumindest erzwingt die Saldenmechanik. Das Leistungsbilanzdefizit der USA wird der Zollpolitik trotzen.

Machtpolitik versus Handelsungleichgewichte

Die USA werden ihr politisches Ziel, die Weltmacht Nr. 1 zu sein und zu bleiben, kaum dem Ziel einer ausgeglichenen Leistungsbilanz unterordnen – im Gegenteil. Sie definieren sich als Kontrahent in einem Wirtschafts- und machtpolitischen Kampf mit der Volksrepublik China und sind bereit, dabei immense Mittel aufzuwenden.

Die Handelspartner der USA werden die mit vielen Kriegen verbundene Großmachtpolitik der USA durch ihre Leistungsbilanzüberschüsse weiterhin unterstützen. Dass die USA diese Last ihrer eigenen Wirtschaft aufbürden, ist äußerst zweifelhaft. Heute stärkt sich eine Großmacht nicht, indem sie mit Handelsüberschüssen merkantilistisch Gold akkumuliert, sondern umgekehrt: indem sie sich von allen Seiten Güter zuliefern lässt und die Vergütung dieser Importe durch die Lieferung eigener Erzeugnisse in einem erstaunlichen Ausmaß auf eine unbestimmte Zukunft verschieben darf.