Streamingdienste: Die Revolution frisst ihre Kinder
Was mit Streamingdiensten wie Netflix, Amazon oder Spotify als Demokratisierung begann, ist zu einer systemischen Praxis der digitalen Enteignung geworden.
Es war einmal ein Versprechen: Streamingdienste wie Netflix oder Spotify sollten alles besser machen als das traditionelle Fernsehen und Radio. Keine Werbung, keine festen Sendezeiten, stattdessen grenzenloser Zugriff für einen fairen Preis. Heute zahlen die Nutzer teils über 13 Euro im Monat, wer 4K Auflösung will, zahlt extra. Amazon Prime Nutzer zahlen jährlich fast 90 Euro und müssen viele Filme trotzdem zusätzlich kaufen oder leihen. Wer seine Lieblingsserie weiterschauen möchte, braucht ein zweites oder drittes Abo, denn Disney+, Paramount+ und andere Anbieter haben die Inhalte aufgeteilt.
Was als Demokratisierung begann, ist zur fragmentierten, kostenpflichtigen Welt digitaler Zugänge geworden. Wer nicht zahlt, sieht Werbung. Wer zahlt, zahlt doppelt: einmal für den Zugang, einmal für den Inhalt oder für weitere Abonnements.
Diese Entwicklung folgt einer strukturellen Logik: Plattformen schaffen keinen echten Mehrwert, sondern organisieren Zugang und verkaufen diesen schrittweise teurer. Die Entwertung der Nutzung ist integraler Bestandteil einer neuen Form kapitalistischer Akkumulation.
Plattformkapitalismus kompakt
Die meisten digitalen Plattform treten öffentlich als technologisch innovative Unternehmen auf. Sie behaupten, Inhalte oder Dienstleistungen zugänglicher, günstiger und bequemer zu machen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich ein anderes Muster: Viele dieser Plattformen sind nicht Produzenten von Inhalt oder Gütern, sondern digitale Vermittler, deren ökonomische Macht sich aus der Kontrolle über Zugänge, Daten und Nutzerverhalten speist.
Der Ökonom Nick Srnicek bezeichnet dieses Modell als Plattformkapitalismus. Demnach kapitalisieren Plattformunternehmen weniger durch Produktion, sondern vor allem durch die Organisation und Monetarisierung von digitalen Infrastrukturen. Plattformen wie Netflix, Uber, Spotify oder Amazon schaffen selbst kaum Inhalte oder Dienstleistungen. Sie schaffen Bedingungen: Sie entscheiden, was sichtbar wird, wie schnell etwas geliefert wird, wer welche Inhalte wann und in welcher Qualität konsumieren darf.
Plattformen wachsen zunächst durch Verluste, sie investieren in Reichweite, unterbieten Preise, bieten kostenlosen oder günstigen Zugang an. Sobald sie hinreichende Marktdominanz erreicht haben, setzen sie auf sogenannte Lock-in-Effekte: Nutzerinnen und Nutzer haben ihre Watchlists, Abos, Playlists und sozialen Netzwerke gebildet – ein Wechsel ist unbequem. Von diesem Moment an beginnt die schrittweise Monetarisierung: Mehrstufige Abo-Modelle, kostenpflichtige Upgrades, eingeschränkte Inhalte oder neue Gebühren.
Dabei entsteht ein neues Verhältnis zum digitalen Besitz. Filme, Musik, Mobilitätsangebote oder sogar Lieferzeiten sind nicht mehr Dinge, die man nutzt oder kauft, sondern Nutzungsrechte, die jederzeit entzogen oder eingeschränkt werden können. So entsteht ein Markt, auf dem nicht Produkte verkauft werden, sondern Zugangsrechte in unterschiedlichen Preisklassen.
Dieses Modell erzeugt keinen echten Mehrwert im klassischen Sinne – es produziert eine neue Form der Akkumulation. Akkumulation meint im Kern die Aneignung von Mehrwert: im Industriekapitalismus durch Produktion, heute zunehmend durch digitale Vermittlung. Plattformen akkumulieren Kapital nicht, indem sie neue Güter schaffen, sondern indem sie bestehende Inhalte immer wieder neu bepreisen, verknappen und in Zugangsstufen staffeln.
Die Wertschöpfung basiert also nicht auf Innovation, sondern auf digitalisierter Vermittlung, algorithmischer Steuerung und künstlicher Knappheit. Diese Plattformen besitzen kaum reale Produktionsmittel, aber sie akkumulieren Kapital, indem sie Aufmerksamkeit in Werbegeld, Zugänge in Abo Stufen und Nutzerverhalten in verwertbare Daten umwandeln. Anders gesagt: Sie verkaufen immer wieder das Gleiche in neuen Verpackungen, mit neuen Hürden und erzielen damit jedes Mal neue Einnahmen.
Netflix & Spotify – Bezahlen für Einschränkungen
Netflix war einst Symbol der Streaming-Revolution: alles auf Abruf, werbefrei, fair bepreist. Heute gibt es das günstigste Abo nur noch mit Werbung. Wer 4K-Qualität will, zahlt extra. Account-Sharing wird unterbunden oder mit Aufpreis belegt. Der Preis ist von 7,99 Euro auf bis zu 19,99 Euro gestiegen, während der Inhalt schrumpft, weil immer mehr Produktionen zu Konkurrenzdiensten wandern.
Spotifys Preise steigen auch regelmäßig, während aber die Vergütung von Künstlern auf einem historischen Tiefpunkt verharrt – bei teils unter 0,004 Euro pro Stream. Auch hier: bessere Qualität kostet mehr und Family-Abos werden reduziert. Beide Plattformen monetarisieren ihre Nutzer mehrfach: durch Werbung, durch Abo-Gebühren und durch technische Degradierung als „Upgradelogik“.
Fragmentierung – Fußball als Luxus
Ein weiteres Mittel zur Kapitalakkumulation ist die künstliche Fragmentierung von Inhalten. Serien und Filme werden exklusiv auf einzelne Plattformen verteilt, wer alles sehen will, muss mehrere Abos abschließen.
Deutlich zeigt sich das im Sport: Wer heute Bundesliga, Champions League oder EM schauen will, braucht Abos bei Sky, DAZN, Amazon Prime und MagentaTV mit Gesamtkosten von weit über 50 Euro im Monat. Die Folge: Was früher frei empfangbar war, ist heute Luxus für wenige. Die frühere Idee öffentlicher Zugänglichkeit wird durch ein fragmentiertes Paywall-System ersetzt. Das schafft keine neue Qualität, sondern verknappt absichtlich den Zugang und maximiert die Zahlungsbereitschaft.
Amazon: Abo, Kauf, Leihe – aber kein Besitz
Amazon Prime integriert mehrere monetären Mechanismen zugleich: Ein kostenpflichtiges Abo gewährt Basiszugang. Aktuelle Filme und beliebte Serien müssen zusätzlich gekauft oder geliehen werden. Beim Leihen zahlen Nutzer in der Regel 3,99 Euro für 48 Stunden Zugriff, danach verfällt das Recht zur Nutzung. Noch dreister ist der „Kauf“, denn auch hier erwerben Nutzer kein Eigentum, sondern lediglich eine Lizenz. Amazon behält sich in den AGB vor, Inhalte jederzeit zu entfernen, selbst aus der eigenen Bibliothek. Damit ist auch der „Kauf“ bloß eine bedingte Teilnahme am Plattform-Ökosystem, denn die Kunden erwerben nur einen temporären Zugang.
Dieselben Inhalte werden mehrfach monetarisiert: als Teil des Abos, als Leihobjekt, als käufliche Lizenz. Eine digitale Form der Eigentumsverweigerung bei gleichzeitiger Kapitalverwertung.
Ob bei Serien, Sport oder Musik – das Muster ist ein wiederkehrendes. Plattformen erschließen immer neue Ebenen der Monetarisierung, indem sie Zugänge regulieren, fragmentieren und bepreisen. Die Nutzer verlieren dabei nicht nur Überblick und Auswahlfreiheit, sondern auch reale Kontrolle über das, was sie scheinbar „besitzen“. Was als Fortschritt begann, ist zu einer systemischen Praxis der digitalen Enteignung geworden.
Digitale Enteignung als Geschäftsmodell
Digitale Plattformen präsentieren sich als Dienstleister im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer. Doch in Wirklichkeit verwandeln sie alltägliche Prozesse, wie Unterhaltung, Information, Mobilität, in stark segmentierte Zugangsökonomien. Was früher frei verfügbar oder pauschal bezahlbar war, wird heute in Abo-Stufen, Zusatzgebühren und algorithmisch sortierte Nutzungserlaubnisse zersplittert. Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer neuen kapitalistischen Akkumulationslogik. Wert entsteht nicht mehr durch bessere Inhalte oder günstigere Dienste, sondern durch die Kontrolle darüber, wer was wann wie konsumieren darf und was dafür zu zahlen ist. In dieser Ökonomie besitzen wir nichts, sondern mieten uns fragmentarisch in digitale Erlebnisse ein, unter Bedingungen, die wir nicht beeinflussen können.
Eine gerechtere digitale Infrastruktur müsste nicht nur regulieren, sondern aktiv Alternativen fördern: etwa öffentlich finanzierte Plattformen wie Mediatheken oder Bildungsportale ohne Werbung und Bezahlschranken. Ergänzend braucht es kooperative Infrastrukturen, die Inhalte gemeinschaftlich verwalten, statt sie in Abo-Logiken zu pressen. Doch solange Sichtbarkeit, Zugriff und Verfügbarkeit algorithmisch und privatwirtschaftlich kontrolliert werden, bleibt die digitale Zukunft: fragmentiert, teuer – und exklusiv.