Zukunft nur mit Sondergenehmigung
Liebe Leserinnen und Leser,
noch immer gilt die Schuldenbremse in weiten Teilen des politischen Berlins als „Erfolgsgeschichte“. Das steht im seltsamen Kontrast zur Realität: Milliarden fließen in Sondervermögen – für die Bundeswehr, für die Industrie, für die Energieinfrastruktur. Exemplarisch der neue Bundeshaushalt 2025 der schwarzroten Koalition: Trotz Mehrausgaben bleibt der eigentliche Haushalt eng geschnürt. Investitionen werden ausgelagert, finanziert an der Schuldenbremse vorbei. Die fiskalische Architektur Deutschlands wirkt zunehmend wie ein Provisorium: Ausnahmen, Umgehungen und Sonderregeln ersetzen eine konsistente Finanzpolitik.
Dieses Muster steht sinnbildlich für eine strukturelle Schieflage. Der Staat soll gleichzeitig investieren und konsolidieren – sprich: modernisieren, ohne sich zu verschulden. Politisch klingt das vernünftig, wirtschaftlich ist es widersprüchlich. Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder Klimaschutz werden zwar immer wieder beschworen, versanden aber an den selbst auferlegten Restriktionen. Die Folge: Projekte werden halbherzig umgesetzt oder gar nicht erst begonnen. Eine strategisch durchdachte Investitionspolitik findet kaum statt – stattdessen dominiert ein taktisches Haushalten im Schatten der Schuldenbremse.
Noch gravierender sind die Folgen auf europäischer Ebene. Der europäische Green Deal, einst als ambitionierter Umbauplan gedacht, wird zunehmend ausgebremst. Nicht weil es an Technologien oder gesellschaftlicher Akzeptanz mangelt, sondern weil die fiskalischen Regeln der EU und ihrer Mitgliedsstaaten nicht auf große Investitionszyklen ausgelegt sind. Anders als in China oder den USA reichen die öffentliche Mittel nicht, um eine proaktive Industriepolitik zu verfolgen. Die strengen Haushaltsregeln aus Maastricht erweisen sich einmal mehr nicht als Schutzmechanismus, sondern als Investitionsblockade.
Dass es auch anders geht – oder zumindest anders behandelt wird – zeigt die Verteidigungspolitik. Rüstungsausgaben werden politisch priorisiert und fiskalisch privilegiert. Die 100 Milliarden für die Bundeswehr waren schneller beschlossen als jeder Bildungs- oder Klimafonds. Sogar die Schuldenbremse wird jetzt dafür ausgesetzt – und zwar für alle Ausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen.
Doch ökonomisch bringt diese Aufrüstung wenig: Sie treibt Preise, überlastet Kapazitäten und liefert kaum produktive Impulse. Sicherheit wird in diesem Kontext eng – als militärische Abschreckung – definiert, während langfristige Resilienz in Form von sozialer, ökologischer und digitaler Infrastruktur zu kurz kommt.
Was fehlt, ist ein neues fiskalisches Verständnis: eines, das öffentliche Investitionen nicht als Gefahr für die Haushaltslage sieht, sondern als Voraussetzung für Wohlstand und Stabilität. Die strukturelle Modernisierung des Staates muss zur fiskalpolitischen Normalität werden – nicht zur Ausnahme.
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