Haushaltsstreit der Koalition: Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen?
Lars Klingbeil will die Steuern für Wohlhabende erhöhen, die Union lehnt den Vorschlag strikt ab und fordert stattdessen Ausgabenkürzungen beim Bürgergeld. Über die konjunkturellen Auswirkungen wird in beiden Fällen geschwiegen.
Ob Mindestlohn, Migrations- und Asylpolitik oder das Bürgergeld – auch in der neuen Regierung sind sich die Koalitionäre uneinig. Der neuste Streitpunkt: Wie die Haushaltslücke, die sich laut SPD-Finanzminister Lars Klingbeil auf 30 Milliarden Euro beläuft, gefüllt werden soll. Zwar hat die Regierung durch das Sondervermögen Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro und schrankenlosen Sicherheitsausgaben ab einem Prozent des BIP neue Verschuldungsspielräume geschaffen. Aber für den Kernhaushalt gilt (für nicht-sicherheitsrelevante Ausgaben) nach wie vor die Schuldenbremse.
Den neuesten Vorschlag, um die Haushaltslücke zu füllen, äußerte Klingbeil Ende letzter Woche im ZDF-Sommerinterview. Hohe Vermögen und Einkommen sollten stärker besteuert werden, so Klingbeil. Auch die oberen Schichten müssten ihren Teil dazu beitragen, "dass diese Gesellschaft gerechter wird".
Die Reaktion aus Unionskreisen ließ nicht lange auf sich warten. CDU-Fraktionschef Jens Spahn stellte im Magazin Focus klar: "Das ist jetzt nicht die Zeit, um über Steuererhöhungen nachzudenken." Stattdessen müsse ausgabenseitig gekürzt werden, etwa bei den Sozialausgaben. CSU-Generalsekretär Martin Huber blickt auf das Bürgergeld. Auch er schließe Steuererhöhungen aus, sagte der Spitzenpolitiker zur BILD.
Wenngleich Klingbeil für seine Steuerpläne Zuspruch von Parteigenossen erhält – so zeigt sich Dirk Wiese, Geschäftsführer der SPD-Fraktion, gegenüber der Rheinischen Post offen – ist sein Vorstoß von der Unterstützung der Union abhängig.
Obgleich sich Klingbeils Steuerpläne also politisch kaum umsetzen lassen, bleiben vor dem Hintergrund der aktuellen Rezession auch funktional-fiskalische Fragen. Denn gemeinhin gelten Steuererhöhungen als Konjunkturbremse, weil sie der Wirtschaft Nachfrage entziehen.
Doch: Mit zunehmenden Einkommen steigt auch die Sparquote. Unversteuertes Vermögen liegt in den seltensten Fällen auf Sparkonten, sondern zirkuliert an den Finanzmärkten. Dort wird spekulatives Kapital umverteilt, ohne neue Werte für die Realwirtschaft zu schaffen – ein großes Nullsummenspiel.
Eine Besteuerung dieses Vermögens wirkt sich nur bedingt konjunkturdämpfend aus. Der (relativ zu niedrigen Einkommen) hohe Konsum von Vermögenden wird nicht beeinträchtigt und für Investitionen braucht es ihre Ersparnisse nicht – sie entstehen erst durch Verschuldung, durch Kreditaufnahme.
Eine andere Wirkung hätte eine Kürzung des Bürgergeldes, wie sie von Kreisen aus der Union gefordert wird. Die ohnehin schwächelnde Konjunktur könnte durch geringere Transferleistungen zusätzlich belastet werden. Weil Bürgergeldempfänger aufgrund ihres niedrigen Einkommens kaum sparen, fließt fast das gesamte Einkommen in den Konsum.
Kürzungen beim Regelbedarf oder anderen Sozialleistungen für Bürgergeldempfänger (Unterkunft und Heizung, Bildung und Teilhabe, Kranken- und Pflegeversicherung oder Einmalzahlungen) wirken sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die seit dem ersten Coronajahr ohnehin private Konsumnachfrage aus. So stieg die Sparquote ab 2020 erst abrupt an, sank dann wieder unter das Vorkrisenniveau, um seit dem Jahr des russischen Überfalls auf die Ukraine erneut zuzunehmen:
Obgleich Ausgabenkürzungen beim Bürgergeld als auch eine Vermögenssteuer die privaten Haushalte belasten, stünden unterschiedliche Effekte auf die Konjunktur zu erwarten. Der Unionsvorschlag droht prozyklisch zu wirken, weil er die Absatzmöglichkeiten der Unternehmen schmälert. Die von der SPD ins Spiel gebrachte Vermögenssteuer dürfte indes kaum Auswirkungen auf die Wirtschaftslage haben. Doch in der öffentlichen Debatte wird selten zwischen den makroökonomischen Effekten rational abgewogen.