Trump vs. Fed: Warum die Wall Street den Machtkampf gelassen hinnimmt
Ökonomen warnen vor katastrophalen Folgen, sollte Donald Trump die Kontrolle über die Federal Reserve übernehmen. Doch die Wall Street bleibt unbeeindruckt. Ist die „Unabhängigkeit“ der Fed vielleicht etwas anderes, als wir denken?
In den letzten Monaten strebte Trump nach Kontrolle über die amerikanische Zentralbank. Er kritisierte die Leitung unter Jay Powell, einem ehemaligen Private-Equity-Magnaten, dafür, dass die Zinssätze zu hoch seien und das Wirtschaftswachstum behinderten. Sein Ziel: die Fed dazu bringen, die Kreditkosten zu senken. Höhepunkt seiner Kampagne war der Versuch, Lisa Cook, die noch von Biden ernannte Gouverneurin im Zinsausschuss der Fed, zu entlassen. Eine Bundesrichterin prüft nun die Rechtmäßigkeit dieses Schritts – ein Erfolg würde Trump nicht nur mehr Macht verliehen, sondern möglicherweise auch direkte Kontrolle über das amerikanische Zahlungssystem ermöglichen.
Dieser Konflikt ist Teil eines größeren ideologischen Streits über die Natur der präsidialen Macht. Seit seiner Amtseinführung hat Trump Kommissare „unabhängiger Behörden“ in der gesamten Regierung entlassen – von der Federal Trade Commission bis zum National Labor Relations Board – oft ohne dass es eine vom Kongress genehmigte Rechtsgrundlage gab. Dennoch wurden diese Entlassungen vor Gericht meist bestätigt, basierend auf einer konservativen Verfassungstheorie, die besagt, dass ein gewählter Präsident Exekutivbehörden direkt kontrollieren können sollte.
Liberale Verfechter rechtsstaatlicher Verfahren schreien „Autoritarismus“, doch andererseits: Wenn ein Präsident die Regierung nicht führen kann, wozu sind dann Wahlen gut?
Besonders spannend wird der Konflikt nun bei der Federal Reserve. Während die meisten Regulierungsbehörden dazu da sind, das Verhalten von Unternehmen zu überwachen und die Macht der Superreichen zu begrenzen, ist die Federal Reserve eine echte Bankinstitution. Mit ihrer Billionenbilanz subventioniert sie die Wall Street jeden Tag. Der Richter am Obersten Gerichtshof Sam Alito konstatierte, dass die Fed nicht wie die anderen Regulierungsbehörden sei, sondern eine „einzigartige Institution mit einem einzigartigen historischen Hintergrund“. Ein Signal, dass der Präsident Beamte der Fed nicht einfach wegen politischer Meinungsverschiedenheiten entlassen könne. Also suchte Trump einen anderen Weg: Cook sollte „aus wichtigem Grund“ entlassen werden – eine vage Definition, die meist Korruption oder Amtsvergehen impliziert. Sein Vertrauter Bill Pulte warf Cook Hypothekenbetrug vor, ein völlig ungeklärter Vorwurf. Trump nutzte ihn als Vorwand und feuerte sie. Cook wehrt sich vor Gericht.
Für Ökonomen war das ein Schock. „Wir alle sind Lisa Cook“, schrieb Paul Krugman. Und der Ökonom Justin Wolfers prognostizierte nach Cooks Entlassung einen Börsencrash. Doch die Märkte reagierten kaum. Die Wall Street zuckte nur mit den Schultern.
Der Mythos der Unabhängigkeit
Verteidiger der Fed-Unabhängigkeit argumentieren, dass die Zentralbank Entscheidungen frei von politischer Einflussnahme treffen müsse und dass der amerikanische wirtschaftliche Erfolg der letzten 100 Jahre auf diesem Modell beruhe. Doch diese Behauptung entspricht nicht der historischen Realität.
Der Federal Reserve Act, ihr Gründungsgesetz, wurde Ende 1913 verabschiedet. Er dezentralisierte die Kontrolle über das Geld, indem er zwölf separate Federal Reserve Banks sowie einen Aufsichtsrat in Washington D.C. einrichtete. Die ursprüngliche Fed war jedoch nicht zu vergleichen mit der heutigen Institution in Washington D.C., die die Geldpolitik festlegt. Der Vorstand war eher eine Justizbehörde, und die regionalen Reservebanken sollten den lokalen Kreditfluss erleichtern. Die Kontrolle der Zinssätze war nicht Teil des Mandats, umso mehr dafür die Bankenaufsicht.
Die Fed war Teil des Finanzministeriums, der Finanzminister automatisch Vorsitzender und der Währungsbeauftragte Mitglied des Vorstands. Bis in die 1930er Jahre lag der Großteil der Macht über die Geldpolitik in den Händen der New Yorker Reserve Bank unter der Leitung der mächtigen Persönlichkeit Benjamin Strong, der Pionierarbeit bei der Regulierung der Zinssätze durch den Kauf und Verkauf von Anleihen leistete.
Der Crash von 1929 und die Weltwirtschaftskrise führten zu tiefgreifenden Reformen. Der Banking Act von 1935 entfernte den Finanzminister aus dem Vorstand und übertrug die geldpolitische Entscheidungsgewalt an Washington, D.C. Der Präsident hatte zwar keine rechtliche Befugnis, Vorstandsmitglieder zu entlassen, aber das spielte keine Rolle. Von 1935 bis 1951 führte der Vorsitzende der Fed, Marriner Eccles, die Bankenregulierung und Geldpolitik nach den Wünschen des Präsidenten durch. Franklin D. Roosevelt und Harry S. Truman legten die Zinssätze direkt fest, und Eccles sah seine Aufgabe allein darin, die Reaktion des Bankensystems darauf zu steuern.
1951 handelte der Vorstand der Federal Reserve mit dem Finanzministerium ein Abkommen aus, das als „Fed-Treasury Accord” bekannt ist und der Fed einen gewissen Spielraum bei der Festlegung der Zinspolitik, insbesondere der kurzfristigen Zinsen, einräumte. Dennoch arbeiteten der Präsident, der Kongress und die Fed von den 1950er bis zu den 1970er Jahren zusammen, manchmal unter heftigen Auseinandersetzungen, um die Geldmenge und das Bankwesen zu regulieren. Die Mitglieder des Fed-Vorstands waren in der Regel Geschäftsleute, Bankiers und Landwirte.
Die Demokraten waren in ihrem programmatischen Selbstverständnis eine Partei der niedrigen Zinsen und alle verstanden, dass die Geldpolitik politischer Natur war. Erst in den späten 1970er Jahren, im Zuge der neoliberalen Wende, entstand die Unabhängigkeit der Fed, wie sie heute verstanden wird. Der neue Fed-Vorsitzende Paul Volcker schrieb sich den radikalen Kampf gegen die Inflation auf die Fahnen. Doch sein eigentliches Ziel war es, die globale Vorherrschaft des Dollars aufrechtzuerhalten und die Finanzialisierung des amerikanischen Wirtschaftssystems einzuleiten.
Er und seine Nachfolger, insbesondere Alan Greenspan, schlugen dem Kongress im Wesentlichen vor, dass dieser, wenn er die Inflation beenden wolle, der Fed die vollständige Entscheidungsgewalt über das Bankensystem einräumen müsse, ohne jegliche Einmischung durch die Politik. Die Ära „Too Big to Fail” war angebrochen.
Ab den 1980ern wurde der Vorstand der Fed zunehmend von Makroökonomen dominiert, die Bankenregulierung galt als sekundär. Clinton setzte diesen Kurs fort, Figuren wie Alan Greenspan, Larry Summers und Robert Rubin prägten das Image der Fed als technokratische Elite. 1999 brachte das Time Magazine die „Three Marketeers“ – Greenspan, Summers und Rubin – auf seinem Cover: Das „Komitee zur Rettung der Welt“ hatte über einen obskuren Hedgefonds eine weitere Rettungsaktion für die Wall Street inszeniert. „Unabhängigkeit“ bedeutete nun: Distanz zur Politik, eigene Steuerung von Schulden- und Kreditpolitik und die stillschweigende Pflicht, den Aktienmarkt zu stützen.
Mit "Unabhängigkeit" sind also drei verschiedene Konzepte gemeint. Erstens die Idee einer gewissen regulatorischen Distanz zum Weißen Haus, wo der Präsident zwar Mitglieder ernennen kann, ihnen aber erlauben muss, ohne direkte Kontrolle zu arbeiten – ein Überbleibsel aus der Zeit des New Deal. Dann eine „Unabhängigkeit”, die nur der Fed selbst gewährt wird und eher eine Norm ist, die besagt, dass die Fed ihre Zins- und Kreditpolitik ohne große Einflussnahme durch gewählte Amtsträger gestalten sollte – eine direkte Abkehr vom New Deal, als Roosevelt die Zinsen direkt kontrollierte. Und die dritte, unausgesprochene Bedeutung von Unabhängigkeit: die Fed hält den Aktienmarkt oben und tut das, was sie seit der Volcker-Ära getan hatte – die Wall Street retten.
Doch die Finanzkrise von 2008 zeigte die Grenzen dieser Philosophie. Die Fed versagte in der Bankenaufsicht, reagierte aber mit Bankenrettungen mithilfe Billionen-schwerer Liquiditätspakete. Bis 2022 wuchs die Bilanz der Fed auf 9 Billionen Dollar. Bis heute verliert die Fed regelmäßig riesige Summen aufgrund von Verlusten in ihrem Portfolio, die im Wesentlichen Subventionen für die Wall Street sind. Das ist zu einem handfesten Legitimitätsproblem für die Fed geworden.
Dennoch wird ihre „Unabhängigkeit“ nicht als vorübergehendes historisches Phänomen betrachtet, als gescheitertes Experiment, sondern als etwas Heiliges. Unter Joe Biden gab es sogar die Richtlinie, dass kein Regierungsbeamter sich zu Zinssätzen äußern durfte. Und damit kommen wir zu Lisa Cook, der Frau im Mittelpunkt dieser Geschichte.
Cook ist keine Heldin
Lisa Cook, die erste schwarze Frau im Fed-Vorstand, wurde 2022 nominiert. Eine orthodoxe Ökonomin, die im maroden Fed-Apparat unauffällig und opportunistisch agiert – Zustimmung zu Fusionen, Lockerung der Mindestreserven von Banken, Sondervergünstigungen für Goldman Sachs. Trumps Umgang mit ihr ist kritikwürdig, eine Entlassung „aus wichtigem Grund“ ist politisch motiviert, nicht gerechtfertigt. Aber eine Heldin ist Cook nicht, nur eine Freundin der Finanzlobby.
Bleibt die Kernfrage: Warum stört es die Wall Street nicht, wenn Trump die Fed übernimmt?
Die Wall Street ist entspannt, weil ihre Priorität nicht rechtliche Streitereien ist, sondern die Fortsetzung der „Number Go Up“-Strategie: Finanzwerte müssen steigen, ungeachtet der politischen Akteure. Solange die Fed ihre Rolle als Garant für steigende Aktienwerte erfüllt, spielt eine Kontrolle der Fed durch den Präsidenten für die Märkte nur eine untergeordnete Rolle. Anders wäre es, wenn ein populistischer Präsident die Fed übernehmen und versuchen würde, normalen Menschen den Zugang zu Krediten zu erleichtern, während er Finanziers einschränkt.
Die eigentlichen Gefahren liegen woanders: Ein Präsident könnte das Zahlungssystem der Fed nutzen, um Gegner auszuschalten oder Freunde zu begünstigen. Die Fed kann unbegrenzt Vermögenswerte kaufen, Master-Accounts vergeben oder Währungen stützen – ein gigantisches Machtinstrument. Ohne aktiven Kongress wäre Missbrauch leicht möglich. Trumps Einfluss auf die Fed ist daher nicht trivial – aber es ist auch nichts Neues. Historisch zeigt sich ein Muster: Die Fed ist hochpolitisch, beeinflusst Finanzmärkte und öffentliche Ressourcen, schützt Großbanken und unterstützt globalen Handel. Fehlentscheidungen, wie bei der Silicon Valley Bank, der Legalisierung von Derivaten oder der Subprime-Krise, verdeutlichen die Risiken. Die Verteidiger ihrer „Unabhängigkeit“ übersehen diese Realität.
Eine Reform sollte die Fed als politische Institution anerkennen, Kontrolle durch Exekutive und Kongress ermöglichen und sicherstellen, dass Geldpolitik im Interesse der Amerikaner, nicht der Märkte, betrieben wird. Die Debatte muss sich auf soziale Gerechtigkeit und Stabilität konzentrieren – nicht auf die Vorlieben von Technokraten oder Immobilienmogulen.
Dieser Artikel ist eine gekürzte Version der englischen Originalfassung auf dem Blog des Autors.