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Wie Technokraten die Welt in die Krise stürzten
Von Ann Pettifor
| 02. September 2025IMAGO / UPI Photo
Donald Trumps Attacke auf die Fed löste weltweit Empörung aus. Vergessen aber wird die zum Teil fatale Rolle, die Zentralbanken und andere technokratischen Institutionen in der Vergangenheit spielten.
Weniger Feiertage, Staatsbeamte und Behörden – Frankreichs Premierminister François Bayrou hat einen harten Haushaltskurs angekündigt, um fast 44 Milliarden Euro einzusparen. Das Haushaltsdefizit soll von erwarteten 5,4 Prozent im laufenden Jahr auf 4,6 Prozent 2026 und dann bis 2029 in Etappen auf 2,8 Prozent gesenkt werden. Vorgesehen sind unter anderem die Streichung zweier gesetzlicher Feiertage, das Einfrieren von Renten- und Sozialleistungen für ein Jahr sowie ein bislang nicht näher definierter „Solidaritätsbeitrag“ von Vermögenden.
Solche Maßnahmen werden im technokratischen Jargon stets als „neutral“ präsentiert – angeblich losgelöst von politischen Machtfragen. Parteien und Öffentlichkeit sollen sie als Notwendigkeiten akzeptieren. Misslingt die Umsetzung, trägt nach dieser Logik die gewählte Regierung die Verantwortung. Präsident Emmanuel Macron müsste wohl innerhalb von gut 600 Tagen den vierten Premier austauschen und einen fünften Regierungschef ernennen. Ein Verschleiß, wie man ihn sonst nur mit den Krisenjahren der Dritten Republik verbindet. Die Technokraten dagegen bleiben unangetastet, auch wenn ihre Vorschläge zu sozialen Verwerfungen führen.
Nach Bayrous Ankündigung reagierte die Börse mit fallenden Kursen und steigenden Zinsen für die Staatsanleihen, die in diesem Monat sogar zeitweise über das Niveau Griechenlands gestiegen sind. Finanzminister Éric Lombard warnte, dass im schlimmsten Fall sogar der Internationale Währungsfonds eingreifen könnte.
Unabhängig davon, ob die Einschnitte letztlich umgesetzt werden oder nicht, die einzigen Profiteure solcher Politik sind in der Regel rechtspopulistische Kräfte. In Frankreich dürfte der Rassemblement National um Marine Le Pen gestärkt aus der Konfrontation hervorgehen, der seinerseits Investitionen in Polizei, Armee und eine Stärkung der Kaufkraft fordert und dies über neue Schulden finanzieren will. Dieses Muster wiederholt sich in vielen Ländern, in denen rechtspopulistische Parteien im Aufwind sind.
Die Macht der Technokratie
Wer die nüchternen Flure von Zentralbanken, Finanzministerien oder volkswirtschaftlichen Instituten betritt, begegnet Akteuren, die ein bemerkenswert einheitliches Weltbild teilen. Sie bevorzugen private Märkte vor öffentlichen, private Ausgaben vor staatlichen Investitionen und Austerität vor Vollbeschäftigung und Wohlstand.
Diese Haltung prägt nicht nur Europa oder die USA, sondern findet sich in Afrika, Lateinamerika und Asien – verstärkt durch den Einfluss von IWF und Weltbank.
Viele dieser Ökonomen sind direkt von der Chicago School geprägt oder bewegen sich zumindest in ihrem ideologischen Umfeld. Deren Leitfigur Milton Friedman betrachtete Demokratie nicht als zentrale Errungenschaft, sondern eher als Störgröße. Politik könne, so seine Überzeugung, die effiziente Funktionsweise von Märkten gefährden.
Die zugrunde liegende Ideologie lässt sich klar benennen: Demokratie verzerrt die kapitalistische Ordnung; Märkte seien der Demokratie überlegen; internationaler Handel müsse möglichst frei bleiben. Öffentliche Ausgaben verdrängten private Investitionen und müssten daher reduziert werden. Fiskalische und monetäre Politik seien strikt zu trennen, wobei restriktive Geldpolitik fiskalische Konsolidierung verstärken solle. Inflation schließlich sei der zentrale Feind, zu bekämpfen mit Zinserhöhungen und restriktiver Kreditpolitik – unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Lage.
Vor der Krise 2007
Im August 2007 vertrat das Magazin The Economist genau diese Position. In der Ausgabe vom 4. bis 10. August hieß es optimistisch: „Die wirtschaftlichen Fundamentaldaten sind solide; es ist ein guter Zeitpunkt für straffere Kreditbedingungen.“
Genau diesen Kurs verfolgte die Federal Reserve unter Alan Greenspan. Der Ökonom Richard Koo belegte auf einer INET-Konferenz 2012, wie die Fed systematisch die Zinsen anhob – trotz der fragilen Hypothekenblase, die sich über Jahre aufgebaut hatte.
Diese Zinserhöhungen waren der letzte Stoß für ein ohnehin instabiles System. Am 9. August 2007 – genau als The Economist seinen technokratischen Optimismus zur Titelgeschichte machte – fror der Interbankenmarkt ein. Der globale Finanzkollaps nahm seinen Lauf.
Die globale Finanzkrise
Die Politikempfehlungen der Technokraten – aus Zentralbanken, Eliteuniversitäten oder Leitmedien – führten die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds.
Die geldpolitische Straffung war ein entscheidender Auslöser der Krise 2007–2009. In Europa verschärfte die EZB die Lage, als sie im Juli 2008 – mitten im Abschwung – die Zinsen anhob. Der damalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet wollte die steigenden Öl- und Lebensmittelpreise dämpfen, doch der Zeitpunkt war katastrophal. Wenige Monate später verschwand zwar die Inflation, aber die Weltwirtschaft kollabierte und die EZB musste ihre Politik in Windeseile umkehren.
Die Folgen waren verheerend: Millionen Menschen verloren Häuser, Jobs und Existenzen. Depressionen uns Selbstmorde stiegen rasant an. Die Banken hingegen erhielten neue Finanzspritzen. Eine grundlegende Neuordnung der Finanzmärkte blieb aus; stattdessen wurde das System konsolidiert – heute sind die Banken größer als zuvor und gelten als „too big to fail“.
Zentralbanker als politische Akteure
Die Rolle der Fed unter Alan Greenspan – Deregulierung, Expansion des Schattenbankensektors und eine gefährliche Zinspolitik – zeigt, wie illusionär das Bild des neutralen Technokraten ist. Zentralbanker sind politische Akteure, deren Entscheidungen klare Verteilungseffekte haben: Sie schützen die Starken und belasten die Schwachen.
Das zeigte sich auch 2020. Auf die Frage, ob die Fed ihr Pulver bereits verschossen habe, antwortete Jerome Powell: „Nein, bei weitem nicht. Es gibt wirklich keine Grenzen dessen, was wir mit den Kreditprogrammen tun können, die uns zur Verfügung stehen.“
An der Wall Street verstand man das als Signal: Die Zentralbank bleibt der Garant des Finanzsystems.
Die Debatte um „Unabhängigkeit“
Als Donald Trump Powell und die schwarze Fed-Gouverneurin Lisa Cook attackierte, reagierte die Zentralbanklobby reflexhaft. The Economist warnte vor einer „Gefahr für die Unabhängigkeit der Zentralbanken“.
Der ehemalige Chefökonom der Bank of England, Andy Haldane, warnte vor „fiskalischem Populismus“ und „fiskalscher Dominanz“, die seiner Meinung nach eine existenzielle Bedrohung für die Unabhängigkeit der Zentralbanken und die Inflationskontrolle darstellt. Wenn die Geldpolitik erst einmal auf fiskalische Ziele ausgerichtet sei, würden Zentralbanken zu „Sparschweinen“ degradiert werden.
„Fiskaldominanz”, so Haldane, „ist eine Situation, in der die Haushaltsbedürfnisse der Regierungen beginnen, die Ergebnisse der Geldpolitik zu diktieren, entweder durch direkte Finanzierung von Haushaltsdefiziten oder durch künstlich niedrige Zinssätze.”
Doch die entscheidende Frage lautet: Waren die Zentralbanken nicht längst Sparschweine – allerdings für die Finanzmärkte?
Zinsen sind keine natürliche Größe. Sie sind politische Entscheidungen mit klaren Verteilungswirkungen. Hohe Zinsen nützen Gläubigern, niedrige Zinsen Schuldnern. Millionen von Haushalten, Unternehmen und Staaten sind davon direkt betroffen.
Haldanes Klage über eine „Ära fiskalischer Nachlässigkeit“ ist im Kern ein Angriff auf demokratisch gewählte Finanzminister. Dabei sind die gestiegenen Staatsschulden in erster Linie Ausdruck privater Schwäche, nicht staatlicher Verschwendung.
In Rezessionen sinken Steuereinnahmen und private Investitionen, während der Staat gegensteuern muss. Erst wenn staatliche Impulse den privaten Sektor beleben, steigen Einkommen, Beschäftigung und Steuereinnahmen – und die Schuldenquote sinkt. Das gilt für Großbritannien ebenso wie für viele andere Volkswirtschaften.
Der Mythos der Unabhängigkeit
Trumps Attacken mögen die Märkte kurzfristig verunsichern. Am Ende aber festigen sie eher die Macht der Technokraten, die sich erneut als letzte Bastion gegen den „populistischen Angriff“ inszenieren können. Der Mythos der „Unabhängigkeit“ bleibt die zentrale Legitimationsquelle. Doch Zentralbanken sind öffentliche Institutionen – finanziert, personell besetzt und legitimiert durch den Staat und seine Bürgerinnen und Bürger.
Die Bank of England ist formal verstaatlicht, ihre Führung wird von der Regierung ernannt. Ihre Autorität speist sich aus dem Steueraufkommen und der Zahlungsfähigkeit des Staates. Die Vorstellung, sie sei vom Rest der öffentlichen Institutionen zu trennen, ist eine Illusion. Zwar ist die Steuerung der Geldpolitik eine anspruchsvolle und schwierige Aufgabe, die spezielle wirtschaftliche und statistische Fachkenntnisse erfordert. Aber sie kann nie unabhängig von fiskalischen Entscheidungen wirken – und sollte es auch nicht.
Tatsächlich arbeitet die Bank of England heute nicht selten gegen das Finanzministerium. Wie Daniela Gabor erläutert, führt das Arrangement des Quantitative Easing zu erheblichen Belastungen der öffentlichen Kassen, während Geschäftsbanken profitieren. Grund dafür ist die Struktur der britischen Asset Purchase Facility (APF): Die Bank hält Anleihen mit niedrigen, fixen Kupons, muss aber auf den dadurch geschaffenen Zentralbankreserven hohe, variabel steigende Zinsen an die Banken zahlen. In Zeiten hoher Leitzinsen kehrt sich das frühere QE-Gewinnmodell um und wird zu einem erheblichen Verlustgeschäft für den Staat. Allein 2023 lagen die Kosten bei rund 38 Milliarden Pfund, 2024 bei etwa 40 Milliarden. Nach Schätzungen könnten sie bis 2033 Nettobelastungen von bis zu 230 Milliarden Pfund erreichen.
Technokratie und ihre Folgen
Die Handlungen von Zentralbanken und anderen technokratischen Institutionen haben weitreichende politische Folgen. Wirtschaftliche Schrumpfung, verschärfte Austerität und soziale Verwerfungen bereiten den Boden für autoritäre Tendenzen.
Von der globalen Finanzkrise über die Eurokrise und die COVID-19-Pandemie bis zur aktuellen Lebenshaltungskostenkrise zeigt sich ein Muster: Immer wieder haben Zentralbanken restriktiv agiert – selbst in Momenten gesellschaftlicher Fragilität. Offen bliebt, oder der Geist, den sie damit aus der Flasche gelassen haben, wieder einzufangen ist.