Gesund in den Herbst der Reformen?
Liebe Leserinnen und Leser,
Bürgergeld, Flüchtlingshilfe, Gesundheitssektor – im "Herbst der Reformen" will die Bundesregierung den Sozialstaat umbauen. Er sei, so Bundeskanzler Friedrich Merz, „nicht mehr finanzierbar“. Doch ist er tatsächlich unbezahlbar – oder will die Regierung ihn schlicht nicht mehr bezahlen? Denn wer mehr finanzpolitische Spielräume sucht, müsste Steuern erhöhen oder Schuldenregeln lockern – beides politisch tabu.
Während über die vermeintlichen und manchmal tatsächlichen „Lasten“ von Arbeitslosen und Migranten hitzig gestritten wird, bleibt ein Bereich bislang im öffentlichen Diskurs unter dem Radar: das Gesundheitssystem. Doch auch hier deutet sich Umschwung an. Die Richtung: mehr Selbstbeteiligung. Arbeitgeberpräsident Steffen Kampeter fordert die Rückkehr der Praxisgebühr, Gesundheitsministerin Nina Warken höhere Zuzahlungen für Medikamente.
Der Gesundheitswissenschaftler Jens Holten warnt in MAKROSKOP: Zuzahlungen schrecken nicht nur von unnötigen Arztbesuchen ab, sie verhindern oft auch sinnvolle Behandlungen. Besonders betroffen sind einkommensschwache und chronisch kranke Menschen. Kurzfristig senken solche Maßnahmen zwar die Ausgaben, langfristig aber steigen die Kosten – durch vermeidbare Komplikationen und verschleppte Krankheiten.
Tatsächlich liegen die eigentlichen Kostentreiber auf der Angebotsseite: Pharmaindustrie und Medizintechnik nutzen ihre Marktmacht, um Preise in die Höhe zu treiben. „Wenn ein Stück Schlauch für den Garten 30 Cent kostet, kostet es im Medizingerät 30 Euro“, sagt Gesundheitsexperte Franz Knieps im Doppelinterview mit Hartmut Reiners. Wie in einem Hase-und-Igel-Spiel ist die Industrie der Politik stets einen Schritt voraus. Nun scheint die Regierung den Wettlauf satt zu haben – und sucht den einfacheren Weg: die Abwälzung der Kosten auf die Patientinnen und Patienten.
Dass es auch anders geht, zeigt Frankreich: Dort richtet sich die Zuzahlung für Arzneimittel nach ihrer nachgewiesenen Wirksamkeit. Hochwirksame Medikamente sind günstiger, zweifelhafte Präparate teurer – homöopathische Mittel verlieren ganz ihren staatlichen Rückhalt. Ein Modell, das auch Deutschland guttun könnte.