Makroskop
Klimapolitik

Der Backlash, der (noch) keiner ist

| 04. November 2025
Moritz Kindler / Unsplash

Von der AfD bis zu Donald Trump wird die Rückkehr zum fossilen Zeitalter beschworen. Doch die Märkte haben längst Fakten geschaffen. Der vermeintliche Backlash gegen die Klimapolitik ist eher ein Symptom des Übergangs – nicht dessen Ende.

„Drill, baby, drill“ – dieser von Donald Trump geprägte Spruch symbolisiert wie kaum ein anderer den aktuell viel diskutierten Backlash in der Klimapolitik. Begleitet wird dieser von reaktionären Kräften in Europa, die sich nichts sehnlicher als die Wiederkehr eines fossilen Kapitalismus wünschen. Alice Weidel möchte alle „Windmühlen“ abreißen, wenn die AfD „am Ruder“ ist, der Rassemblement National von Le Pen stellte vor kurzem in der französischen Nationalversammlung den – wenn auch erfolglosen – Antrag eines sofortigen Stopps des Ausbaus erneuerbarer Energien.

Dies blieb in der Öffentlichkeit nicht unbeachtet. Zahlreiche Kommentatoren diagnostizieren mittlerweile einen sogenannten Greenlash – einen gezielten Gegenschlag auf die Fortschritte der ökologischen Transformation. So schreibt die Klimaktivistin Luisa Neubauer im Surplus Magazin von einer „fossilen Gegenrevolte“ und der britische Guardian warnte vor einem „EU rollback on environmental policy“, welcher aktuell an Momentum gewinne. 

Und tatsächlich lassen sich durchaus Belege für eine solche Entwicklung finden. Von der sinkenden Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen in der Bevölkerung, über den Versuch, das Verbrenner-Verbot auf EU-Ebene zu kippen, bis hin zum Rückzug von Green Capital auf den Finanzmärkten. Die letzten Monate wirken auf den ersten Blick, als ob das noch zarte Pflänzchen des grünen Kapitalismus herausgerissen würde. Dieser war für seine Kritiker zwar noch nie eine vielversprechende Lösung, stellt jedoch den Status quo im Umgang mit der Klimakrise dar.

All diese Phänomene sind real und besorgniserregend. Aber sie sind nur eine Seite der Medaille. Denn jenseits aller politischen Rhetorik offenbart ein genauerer Blick auf die ökonomischen Realitäten ein durchaus ambivalentes Bild.

Die globale Marktmacht erneuerbarer Energien nimmt zu

In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Wirtschaft durch verschiedene Verträge wie das Pariser Klimaschutzabkommen oder den European-Green-Deal auf das Ziel der Dekarbonisierung eingeschworen. Nicht, dass diese Maßnahmen und Strategien den Herausforderungen des Klimawandels gerecht würden – im Gegenteil. So stellt der Wirtschaftssoziologe Jens Beckert in seinem Buch „Verkaufte Zukunft“ nüchtern dar, warum der Kampf gegen den Klimawandel aufgrund der institutionellen und kulturellen Limitierungen der kapitalistischen Moderne zu scheitern droht.

Wenngleich also die grundsätzliche Herangehensweise unzureichend ist, lässt sich gleichzeitig nicht verleugnen, dass viele Unternehmen im letzten Jahrzehnt in nachhaltige Technologien investiert sowie Lieferketten und Produktionsprozesse umgestellt haben. Diese Investitionen schaffen Pfadabhängigkeiten – also ökonomische und technologische Strukturen, die auf die Schnelle nur schwer reversibel sind. Ein kurzer Blick auf drei wesentliche ökonomische Sektoren gibt Antwort auf die Frage, wie substanziell der Backlash wirklich ist.

Die größte Emissionsquelle von CO₂ ist der Energiesektor. Laut dem aktuellen Energiewende-Monitoring des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sind die Gestehungskosten für Strom aus Wind und Sonne mittlerweile dauerhaft niedriger als für fossile Energieträger. Selbst bei sinkenden CO₂ -Preisen oder schwankender politischer Unterstützung bleibt dieser Kostenvorteil bestehen. Der Business-Case ist also klar auf Seiten der Erneuerbaren und zeigt Wirkung: 2024 wurden in Deutschland so viele Windräder genehmigt wie noch nie. Die Solarenergie hat mit 16 Gigawatt (GW) die Zielmarke von 13 übertroffen, wobei ab 2026 jährlich 22 GW dazukommen sollen. Laut Frauenhofer Institut stellten die Erneuerbaren letztes Jahr mit rund 63 Prozent einen Rekordanteil an der Nettostromerzeugung dar.

Auch global geht der Trend in diese Richtung. Eine von der in London ansässigen Energy & Climate Intelligence Unit (ECIU) veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der globale Anteil erneuerbarer Energien seit 2015 mit 41 Prozent deutlich schneller gewachsen ist als von vielen Instituten prognostiziert. Dabei kommt China eine entscheidende Rolle zu: In der ersten Jahreshälfte installierte allein die Volksrepublik 256 Gigawatt Solarenergie, was der gesamten Solarkapazität in Deutschland entspricht. Seit Xi Jinping 2022 den Stopp aller Investitionen in fossile Energieträger verkündete, sind die chinesischen Direktinvestitionen in erneuerbare Energien auf über 222 Milliarden US-Dollar gestiegen. China baut den „Elektrostaat“ (Adam Tooze) und exportiert dieses Modell in die Schwellenländer dieser Welt. So stiegen die afrikanischen Importe von chinesischen Solarmodulen in den letzten 12 Monaten um 60 Prozent auf 15 GW – damit nahm auch die globale Marktmacht erneuerbarer Energien zu.

Der zweite Bereich – und vor allem für die deutsche Wirtschaft besonders wichtig – ist der Verkehrssektor. Die Automobilindustrie steht vor einer tiefgreifenden Transformation, die sowohl technologische als auch strukturelle Umbrüche mit sich bringt. Anstatt einer Industriepolitik aus einem Guss und technologischen Festlegung auf Elektromobilität, sorgt die Bundesregierung mit ihrem Zick-Zack-Kurs und dem Mantra der Technologieoffenheit vor allem für Unsicherheit. Eine Tatsache, welche sich die neoklassische Ökonomie nur schwer eingesteht: Marktwirtschaft benötigt Planung.

Offenbar scheint auch hier die Industrie weiter zu sein als die Politik: So möchte die europäische Autoindustrie bis 2030 mehr als 250 Milliarden Euro in Elektromobilität investieren. „Es gibt keine Alternative auf dem Weg zu null Emissionen“ sagte Mercedes-Chef Källenius kürzlich auf der IAA. Zwar unterstützen die großen Hersteller in Deutschland allesamt den Ausstieg aus dem Verbrenner-Aus auf EU-Ebene. Jedoch steht dahinter in erster Linie eine gehörige Portion Eigeninteresse. Die Margen bei Elektroautos sind aufgrund hoher Entwicklungskosten und geringerer Nachfrage (noch) niedriger als beim Verbrenner, weshalb die Gewinne so lange wie möglich mitgenommen werden. Doch diese kurzfristige Kalkulation kann langfristig ein Fehler sein, denn auch in diesem Sektor gibt China als größter Absatzmarkt schon seit einigen Jahren den Takt vor.

Und drittens gehen auch vom Finanzsektor ambivalente Signale aus. Noch kurz vor dem offiziellen Einzug Donald Trumps in das Weiße Haus am 20. Januar dieses Jahrs verließ mit BlackRock der größte Vermögensverwalter der Welt die Initiative Net Zero Asset Managers (NZAM). Kurz darauf stellte BlackRock die Gespräche mit Unternehmen über ESG-Themen vorerst ein. Eine Entwicklung, die auf den Finanzmärkten schon länger im Gange ist. So verzeichnen laut einer Analyse der Ratingagentur Morningstar nachhaltige US-Fonds das elfte Quartal in Folge Netto-Abflüsse – dieses Jahr 6,5 Milliarden US-Dollar im ersten und 5,7 Milliarden US-Dollar im zweiten Quartal. Dahinter steckt laut Morningstar unter anderem der „Anti-ESG-Backlash“ der Trump Regierung.

Doch das scheint eher ein US-amerikanisches Phänomen zu sein. So verzeichnet das globale nachhaltige Fondsuniversum weiterhin konstante Nettozuflüsse, maßgeblich vorangetrieben durch europäische Investoren. Wenngleich sich die Summen auf einem niedrigeren Niveau als die Jahre zuvor bewegen, wäre es auch hier zu vorschnell, von einem Ende „grüner“ Finanzprodukte zu sprechen. Gleiches gilt für die ESG-Richtlinien: Während die USA deregulieren und mit ihren rein wirtschaftlichen Interessen die heimischen ESG-Initiativen ausbremsen, hält die EU weiterhin an Kriterien zur nachhaltigen Unternehmensführung fest, wenngleich diese zwischenzeitlich aufgeweicht werden.

„Zeitenwende“ für die Klimawende?

Hinzu kommen die geopolitischen Spannungen und die deutsche „Zeitenwende“, in deren Zuge sich die öffentliche Debatte um Nachhaltigkeit bemerkenswert verschoben hat. Plötzlich werden erneuerbare Energien nicht mehr nur als Beitrag zum Klimaschutz, sondern als strategische Ressource unter dem Label der Energieunabhängigkeit „als Fundament für ein sicheres und souveränes Europa“ verhandelt (Bundesverband der Energie- und Klimaschutzagenturen). Bio-Unternehmer aus der Lebensmittelindustrie berichten, dass sie ihr Produkt nicht mehr ausschließlich mit dem Argument der Nachhaltigkeit, sondern mit Qualität, Gesundheit und Frische vermarkten – ohne dabei ihre Produktion klima- oder umweltschädlicher zu gestalten.

Ähnliches lässt sich bei den großen Landwirtschaftsverbänden feststellen: Wo bis vor kurzem über lokale und regionale Wertschöpfungsketten als Beitrag zur ökologischen Wende gesprochen wurde, stehen auch hier vermehrt „Ernährungssouveränität und Sicherheit in Europa“ (Deutscher Bauernverband) im Mittelpunkt. Sogar der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) schreibt: „Bio schafft Ernährungssicherheit, weil es die natürlichen Lebensgrundlagen intakt hält. Und Bio sorgt geostrategisch für Ernährungssouveränität.“  

Diese Diskursverschiebung muss nicht zwangsläufig ein Rückschritt sein. Zwar ändert sich die politische Begründung: Wenn Windräder nicht mehr als „Klimaschutzinstrumente“, sondern als „Infrastruktur der nationalen Sicherheit“ betrachtet werden, zeugt das schlichtweg von einer opportunistischen Anbiederung an den Zeitgeist. Falls dies am Ende zu einem höheren Anteil erneuerbarer Energie führt, sind die durchaus problematischen Gründe dafür rein ökonomisch betrachtet sekundär. In letzter Konsequenz kann diese Veränderung auch finanzielle Vorteile bieten. Investitionen in Dekarbonisierung, lokale Energieproduktion oder zirkuläre Wertschöpfung können sich über die partielle Aussetzung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben finanzieren lassen. Das kann dazu führen, dass weiterhin Klimapolitik betrieben wird, ohne sie als solche zu deklarieren.

Was bleibt?

Alles in allem lässt sich die These von einem substanziellen Backlash nur schwer aufrechterhalten. Vielmehr muss geografisch und branchenspezifisch differenziert werden. Außerdem besteht eine Diskrepanz zwischen politischer Rhetorik und den tatsächlichen ökonomischen Prozessen.  Zu erwarten ist allerdings – und daran bleibt kein Zweifel – eine weitere Verlangsamung der sozial-ökologischen Transformation.

Jedoch trägt paradoxerweise derzeit ausgerechnet die nüchterne ökonomische Rationalität dazu bei, den Transformationsprozess zu stabilisieren. Nicht weil die Unternehmen plötzlich besonders klimabewusst sind. Vielmehr wurden in den letzten Jahren Pfadabhängigkeiten geschaffen, die eine grundlegende Rückabwicklung aus purem ökonomischem Eigennutz quasi ausschließen. Offenbar schützt letzterer derzeit mehr vor dem Backlash, als viele progressive politische Programme es tun.