Der China-Schock erreicht Deutschland
Der US-Handel mit China verdrängte in den 2000er Jahren große Teile der amerikanischen Erwerbsbevölkerung. Damals blieb die deutsche Wirtschaft von einem ähnlichen China-Schock verschont. Das ändert sich seit 2020. Was Deutschland jetzt tun muss.
Nach dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 hat der Handel mit China große Teile der amerikanischen Erwerbsbevölkerung schwer getroffen. Das war gänzlich neu. In früheren Phasen der Handelsliberalisierung wurden einige Arbeitnehmer in den Import-konkurrierenden Sektoren durch ausländische Konkurrenz verdrängt, fanden dann aber in der Regel Anstellungen im exportorientierten Sektor.
Der sogenannte „China-Schock” der 2000er Jahre war jedoch völlig anders. Die Konkurrenz entfaltete sich so schnell, plötzlich und auf bestimmte Regionen konzentriert, dass die amerikanischen Fabrikarbeiter hart getroffen wurden. Einige Regionen wurden vollständig deindustrialisiert. Viele der Arbeitnehmer wechselten in den Dienstleistungssektor, wo sie deutlich weniger verdienten als zuvor, und einige wurden Sozialhilfeempfänger. Im Jahr 2016 gewann Trump die US-Wahlen nicht zuletzt aufgrund dieser handelsbedingten Arbeitsplatzverluste.
Deutschland in den 2000ern: kein China-Schock
Deutschland hingegen erlebte in den 2000er Jahren keinen ähnlichen China-Schock, obwohl der durch China ausgelöste Importwettbewerb in Deutschland genauso stark war wie in den USA. Der Anteil der chinesischen Importe an den Gesamtimporten stieg im Zeitraum 2001bis 2007 in Deutschland um 213,5 Prozent – also von 3,7 auf 7,9 Prozent (Abbildung 1). In den USA um 188 Prozent – von 8,6 auf 16,2 Prozent (Abbildung 2).
Anders als in den USA aber boomten auch die deutschen Exporte nach China. Ihr Anteil stieg um 227 Prozent – von 3,3 Prozent der Gesamtexporte im Jahr 2007 auf 7,5 Prozent im Jahr 2019. Die deutsche Werkzeugmaschinen- und Automobilindustrie trug zunehmend zur Industrialisierung der chinesischen Wirtschaft bei (Abbildung 1). In den USA stieg der Anteil der Exporte nach China an den Gesamtexporten im gleichen Zeitraum nur um magere 23,7 Prozent (Abbildung 2).
Deutschlands China-Schock von 2020
Nach 2020 hat sich der Handel Deutschlands mit China jedoch abrupt verändert. Zwischen 2020 und 2022 stiegen die Importe aus China nach offiziellen Angaben des Statistischen Bundesamtes um mehr als 60 Prozent (Abbildung 3). Ende 2023 beendete Deutschland seine nationalen Kaufprämien für batteriegetriebene Elektrofahrzeuge, die als „Umweltbonus” bekannt waren und insbesondere den Import chinesischer Elektrofahrzeuge begünstigten.
Darüber hinaus führte die Europäische Kommission 2024 Zölle auf Importe von batteriegetriebenen Elektrofahrzeugen aus China in Höhe von bis zu 45,3 Prozent ein. Brüssel verhängte außerdem Zölle auf Importe von chinesischen Baumaschinen in Höhe von 20,6 bis 66,7 Prozent. Weitere Einfuhrzölle wurden auf eine Reihe von chemischen Produkten eingeführt. Diese Maßnahmen trugen zu einem plötzlichen Rückgang der chinesischen Importe in den Jahren 2023-2024 bei.
Abbildung 1 zeigt die historische Veränderung im Handelsgefüge zwischen Deutschland und China. Innerhalb von drei Jahren – von 2019 bis 2022 – stieg der chinesische Anteil an den deutschen Importen um 30 Prozent, von 10 auf 13 Prozent. Gleichzeitig sanken die deutschen Exporte nach China, wodurch sich der Anteil der Ausfuhren nach China an den Gesamtexporten um 20 Prozent verringerte – ein historischer Wendepunkt in den Handelsströmen mit China.
Was treibt dieses Handelsmuster an? Abbildung 4 dokumentiert, dass die beiden Kernindustrien Deutschlands – Autos und Werkzeugmaschinen – einen historischen Wandel erlebt haben. In beiden Branchen ist Deutschland nicht mehr Nettoexporteur nach China. Die Autoexporte nach China brachen zwischen 2022 und 2024 dramatisch um fast 70 Prozent ein. Der harte Wettbewerb in China selbst und die chinesischen Fortschritte im Bereich der Elektrofahrzeuge veranlassten die chinesischen Verbraucher, von deutschen zu einheimischen Modellen zu wechseln.
Gleichzeitig haben sich die Autoimporte aus China zwischen 2020 und 2023 mehr als verdoppelt, bevor sie 2023-2024 nach der Einführung von Einfuhrzöllen auf Elektrofahrzeuge aus China wieder zurückgingen. Ende 2024 ist der bilaterale Handel mit Autos nach einem nach einem massiven Überschuss zum ersten Mal ausgeglichen.
Im Handel mit Maschinen wurde Deutschland bereits 2015 zum Nettoimporteur von Werkzeugmaschinen aus China. Die Maschinenimporte aus China haben sich zwischen 2020 und 2022 mehr als verdoppelt, bevor sie 2023-2024 nach der Einführung von Einfuhrzöllen zurückgingen. Die Maschinenausfuhren nach China stagnieren. Angesichts der Bedeutung der Maschinenimporte aus Deutschland für die Industrialisierung der chinesischen Wirtschaft ist diese Entwicklung dramatisch.
Mit anderen Worten: Das Blatt hat sich gewendet. Heute ist China Weltmarktführer bei Batterien und Elektrofahrzeugen (sowie Maschinen), so wie Deutschland einst bei Verbrennungsmotoren dominierend war. Chinas Größe, Erfahrung und Subventionen haben dem Land geholfen, zu lernen und seine Produktion zu steigern.
Bereits 1987 zeigte Paul Krugman, dass Subventionen den Lernprozess beschleunigen und die Produktivität subventionierter Sektoren steigern können, wodurch Wettbewerber dauerhaft benachteiligt werden. Krugmans theoretische Argumentation wurde kürzlich von Nathan Lane empirisch untermauert. Anhand von Daten der sektorspezifischen Industriestrategie Südkoreas unter Präsident Park Chung-hee stellte er fest, dass subventionierte Industrien im Durchschnitt eine um 80 Prozent höhere Wachstumsrate aufwiesen als nicht subventionierte. Dieser Wachstumsvorteil blieb auch nach Wegfall der Subventionen bestehen, was den Lerneffekt unterstreicht.
Es besteht die Gefahr, dass Deutschland zwei seiner Kernsektoren an die chinesische Konkurrenz verliert. Die EU wird ihre Importzölle beibehalten müssen, um Lernprozesse im Zuge des Übergangs zu Elektrofahrzeugen und Batterietechnologie zu erleichtern. Ebenso sollte die Europäische Kommission aber auch chinesische Investitionen in Europa fördern.
Europa sollte den Marktzugang von Joint Ventures abhängig machen
Deutschland und die EU sollten die schmerzhafte Deindustrialisierung der USA in den 2000er Jahren vermeiden. Der China-Schock wird für Deutschland schlimmer ausfallen als der, den die USA in den 2000er Jahren erlitten haben. Die Autoindustrie und der Maschinenbau sind zwei der Kernsektoren der deutschen Wirtschaft, übernehmen den größten Teil der Forschung und Entwicklung und spielen eine wichtige Rolle für zukünftige Technologien und Innovationen. In den USA traf der China-Schock nur kostengünstige Branchen wie Möbel, Textilien und Bekleidung.
Um das zu verhindern, muss Deutschland Chinas Industriepolitik umkehren, indem es den Zugang zum europäischen Markt von der Gründung von Joint Ventures mit europäischen Unternehmen abhängig macht. Zu diesem Zweck sollte die Europäische Kommission eine Partnerschaft mit China aushandeln: Sie gewährt China Zugang zum europäischen Markt, im Gegenzug verpflichtet sich China, in Europa zu investieren und Joint Ventures mit europäischen Unternehmen zu gründen.
Genau das gleiche machte China in den letzten 20 bis 30 Jahren: Es verlangte von ausländischen Investoren die Gründung von Joint Ventures als Voraussetzung für den Zugang zum großen chinesischen Markt. Durch die Zusammenarbeit mit chinesischen Herstellern von Elektrofahrzeugen und Batterien könnten deutsche Automobilhersteller das technische Know-how im Bereich Elektrofahrzeuge und Batterien erwerben, um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben.
Die Europäische Kommission hat diese Politik im Jahr 2024 übernommen und 2025 den „Industrieaktionsplan für den europäischen Automobilsektor” eingeführt.
Frühe Herausforderungen und Misserfolge europäischer Unternehmen, die Batterien ohne ausländischen Partner herstellen, machen eine Partnerschaft mit China umso nötiger. Zwei wichtige Beispiele sind die Batteriehersteller Northvolt und ACC (der Airbus der Batterien), ein Joint Venture zwischen Mercedes, Stellantis und Total Energies.
In beiden Fällen bestand das Kernproblem darin, die Produktion zu skalieren. In der Startphase verzeichneten europäische Batteriehersteller eine Ausschussquote von fast 90 Prozent. Sie durchlaufen eine „Tal der Tränen“-Phase, bis die Batterien rentabel werden. Bis das geschieht, könnten sie bereits vom Markt verdrängt sein. Durch Partnerschaften mit chinesischen Elektrofahrzeug- und Batterieherstellern könnten europäische Unternehmen die Startphase überspringen und direkt in die Gewinnzone gelangen.
Damit dies funktioniert, müssen Joint-Venture-Verträge mit chinesischen Unternehmen sorgfältig ausgearbeitet werden, um sicherzustellen, dass chinesische Investitionen einen Technologietransfer nach Europa bewirken. Die Gefahr besteht darin, dass Joint Ventures ohne Lerneffekte in der Montageaktivität stecken bleiben. Die Europäische Kommission sollte eine 50/50-Beteiligung zwischen europäischen und chinesischen Partnern fordern und von China verlangen, dass es 25 bis 30 Prozent seiner Fachkräfte in diese Joint Ventures entsendet, um die europäischen Partner zu schulen. Um widerstandsfähige vorgelagerte Kapazitäten aufzubauen, sind auch lokale europäische Input-Anforderungen wünschenswert.
Eine übersetzte Fassung des in englischer Sprache erschienen Texts: The China shock hits Germany | CEPR