Donald Trump der Bedeutungsschöpfer
Über Wittgenstein, Platon, Saussure – und was Donald Trump mit Sprache zu tun hat.
Im letzten Satz seines berühmten Tractatus logico-philosophicus schrieb der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein:
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Damit meinte er: Unsere Wirklichkeit ist auf das beschränkt, was wir mit Sprache ausdrücken können. Alles, was sich nicht in Worte fassen lässt, bleibt uns unzugänglich.
Platon und die Idee vom „Wahren an sich“
Stellen wir uns nun vor, Wittgenstein hätte den antiken Philosophen Platon getroffen. Er hätte ihm wohl gesagt:
„Hättest du doch geschwiegen.“
Denn Platon glaubte, dass es eine unsichtbare Welt der vollkommenen Ideen gibt – etwa „das Schöne an sich“ oder „das Gerechte an sich“. Die Dinge, die wir sehen, sind für ihn nur Schatten dieser vollkommenen Urbilder.
Wittgenstein hätte ihn darauf hingewiesen:
„Wie willst du wissen, was ‚das Schöne an sich‘ ist, wenn du es nie direkt sehen kannst?“
Sprache, hätte Wittgenstein gesagt, sei selbst nur ein Schatten. Wir können mit ihr nie das „Wesen der Dinge“ beschreiben – höchstens über sie reden.
Vom Denken zum Reden
Wittgenstein zog daraus eine praktische Konsequenz: Statt über Dinge zu grübeln, über die man gar nicht sinnvoll sprechen kann, sollte man sich darauf konzentrieren, wie Sprache funktioniert. Er ermutigte dazu, mit Sprache zu spielen – also sie zu gebrauchen, zu sprechen, zu handeln. Worte bekommen ihre Bedeutung nämlich durch ihren Gebrauch. Oder, wie er schrieb:
„Das Sprachspiel ist etwas Unvorhersehbares. Es steht da – wie unser Leben.“
Sprache ist also kein festes System, sondern etwas Lebendiges, Unberechenbares – genau wie das Leben selbst.
Saussure: Worte als Ereignisse
Einige Jahrzehnte vor Wittgenstein dachte auch der Schweizer Sprachforscher Ferdinand de Saussure über Sprache nach. Er wollte die Menschen von der Vorstellung befreien, dass Wörter eine feste, ewige Bedeutung hätten – so wie Platon es geglaubt hatte.
Für Saussure war klar: Wörter und Bedeutungen sind Erfindungen des menschlichen Geistes. Wir bringen sie in die Welt, wenn wir sprechen. Jedes Mal, wenn jemand ein Wort sagt, entsteht Bedeutung neu – wie ein Ereignis, das einfach geschieht.
Er nannte das ein „Bedeutungsereignis“. So ein Ereignis lässt sich nicht planen und nicht vorhersagen. Man könnte sich das vorstellen wie viele Scheiben, auf denen jedes Gespräch, jedes Wort ein eigenes Ereignis ist. Diese Scheiben liegen nebeneinander – aber sie sind nicht logisch miteinander verbunden. Zwischen ihnen gibt es keine festen Linien, nur Sprünge.
Ein Meister des Sprachspiels: Donald Trump
Wer heute mit Sprache so umgeht, wie Saussure es beschrieben hat – spontan, unberechenbar, mit immer neuen Wortschöpfungen – ist, man glaubt es kaum, Donald Trump. Trump spielt mit Wörtern, erfindet neue Begriffe, verdreht alte Bedeutungen – und tut das mit größter Selbstverständlichkeit.
Normalerweise dauert es, bis sich neue Wörter oder Bedeutungen in einer Gesellschaft durchsetzen. Sprache verändert sich langsam. Doch Trump überspringt diesen gesellschaftlichen Prozess einfach. Er setzt sofort durch, was er sagt – weil seine Anhänger ihm blind folgen.
So bekommt seine Sprache sofort Macht: Sie schafft Wirklichkeit, ohne dass sie geprüft oder hinterfragt wird.
Die Lücke zwischen Sprechen und Verstehen
Saussure hat auch erklärt, warum Sprache so missverständlich bleibt: Wenn jemand spricht, verbindet er mit seinen Worten eigene Vorstellungen und Gefühle. Die Zuhörer aber verstehen diese Worte durch ihre eigenen Erfahrungen.
So entsteht zwischen Sprecher und Hörer ein unvermeidbarer Spalt – ein kleiner Riss im Verstehen. Selbst wenn wir nachfragen und versuchen, uns genau zu erklären, bleibt immer ein Rest von Unsicherheit.
Sprache ist also nie vollkommen eindeutig. In jedem Gespräch entsteht neues Missverständnis – und damit zugleich neue Bedeutung.
Worte, Macht und Handeln
Warum aber ist das überhaupt wichtig? Weil Worte nicht leer sind. Sie können handeln vorbereiten.
Donald Trump versteht das instinktiv: Wenn er spricht, schafft er damit die Grundlage für sein politisches Handeln. Er hat die Macht, seine Worte in die Tat umzusetzen – politisch, wirtschaftlich, medial. Deshalb kann er es sich leisten, ständig neue Bedeutungen zu erfinden. Für ihn ist kein Wort „leeres Gerede“ – jedes Wort ist Werkzeug.
Sprache als Spiegel des Lebens
Fassen wir zusammen: Platon glaubte, dass die wahre Wirklichkeit jenseits unserer Sprache liegt. Wittgenstein meinte: Wirklich ist nur, was wir sagen können – also das, was in Sprache Ausdruck findet. Saussure sah Sprache als lebendiges System von Ereignissen, das ständig neue Bedeutungen hervorbringt.
Und Trump? – Er zeigt, wie diese Ideen im Alltag Macht entfalten: Wer Sprache beherrscht, kann die Wahrnehmung der Welt verändern.
Oder, mit Wittgenstein gesprochen:
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“
Sprache ist also kein harmloses Werkzeug – sie ist die Bühne, auf der unsere Wirklichkeit entsteht. Und vielleicht auch der Ort, an dem sie sich verändern lässt.