Makroskop
Deep-Tech-Reise durch China

Im Maschinenraum der Zukunft

Von Rui Ma
| 06. November 2025
@midjourney

Eine Reise durch Chinas Deep-Tech-Ökosystem – und warum dort die Zukunft nicht von Ideen, sondern von Strukturen abhängt.

Als ich meine fünftägige Deep-Tech-Reise für Investoren nach China plante – von Peking über Shanghai und Hefei bis nach Shenzhen –, erwartete ich, mit Beobachtungen auf Unternehmensebene zurückzukehren: Wer hat den technologischen Vorsprung? Welche Start-ups wirken realistisch? Wo entstehen die spannendsten Entwicklungen? Wir trafen uns mit führenden Risikokapitalgebern, besichtigten EV-Fabriken und eine Testbasis für fliegende Taxis, spazierten durch die Hallen der China International Industry Fair und der Shenzhen Logistics Expo und besuchten Unternehmen, die sich mit allem Möglichen beschäftigen, von Quantencomputern über Gehirn-Computer-Schnittstellen bis hin zu humanoider Robotik.  

Doch das, was mich am meisten beeindruckte, war kein einzelnes Produkt, keine glänzende Fabrikhalle, kein Durchbruch in der KI. Es war die Struktur, die all das miteinander verband – ein Ökosystem, das kohärenter, pragmatischer und infrastrukturorientierter ist, als ich es je erlebt hatte.

Tiefgreifende Infrastruktur und die Regierung als Plattform

Vor zehn Jahren war die chinesische Innovationspolitik noch ein Flickenteppich: große Visionen, wenig System. Das hat sich geändert. Städte und Bezirke haben gelernt, ihre Kräfte zu bündeln – jeder konzentriert sich auf einige strategische Branchen und baut dafür die passende Infrastruktur.

In Shanghai sahen wir das besonders deutlich. Im Bezirk Minhang, einst ein stiller und von Landwirtschaft geprägter Vorort, wächst heute ein komplettes Ökosystem für Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI). Rund um das Shanghai Brain Science Center entsteht ein Industriepark, der Forschung, Start-ups, Ärzte und Versicherungsanbieter an einem Ort zusammenführt. Es handelt sich nicht um eine lose Ansammlung von Start-ups, alles ist koordiniert, dient einem bestimmten Zweck und wurde innerhalb festgelegter Grenzen entwickelt.

Die Behörden dort agieren weniger wie Beamte, mehr wie Produktmanager. Sie bringen Gründer mit großen Unternehmen zusammen, organisieren Pilotprojekte, lösen Bürokratieprobleme. Ein Gründer scherzt: „Unser stärkster Wettbewerber ist manchmal die Regierung – weil sie so gut versteht, was wir brauchen.“

Statt in Dutzende Frühphasen-Start-ups zu investieren, setzen die Bezirke auf Infrastruktur: gemeinsame Labore, spezialisierte Datenzentren, Testflächen. Kapital fließt erst, wenn Technologien marktreif werden. Spekulationen im Stil von Risikokapital gibt es so gut wie gar nicht. „Die Regierung spekuliert nicht“, sagt uns ein Deep-Tech-Investor lachend. Anstatt Gelder auf Hunderte von Unternehmen zu verteilen und zu hoffen, dass eines davon erfolgreich ist, wählen die Bezirke einen Weg, bauen das Gerüst auf, erlassen günstige Richtlinien und lassen dann die Marktkräfte übernehmen.

Dieser Ansatz ist nicht überall gleich. Während staatliche Inkubatoren für KI-Software lieber marktorientiert arbeiten, braucht der eVTOL-Sektor – also fliegende Taxis – intensive staatliche Unterstützung, um etwa Testflugbasen genehmigen zu lassen oder die Luftraumvorschriften zu verwalten. In Hefei etwa entstehen Testflugbasen und ein ganzer EV-Industriepark – eine gewaltige Koordinierungsaufgabe, bei der die Rolle der Regierung unverzichtbar ist.

Das Wetter hinderte uns daran, den eVTOL-Testflug zu machen, also begnügte ich mich stattdessen mit einem Foto.

Das Ergebnis: keine Einheitslösung, sondern eine wachsende Vielfalt regionaler Modelle. Einige Unternehmer erzählten Horrorgeschichten darüber, dass sie zu viel Aufmerksamkeit erhielten und wertvolle Zeit damit verbrachten, Delegationen zu empfangen oder Papierkram auszufüllen. Aber die Lernkurve ist steil, die lokalen Verwaltungen werden immer besser in einem Wettbewerb um Effizienz, Talentförderung und Standortattraktivität. Die Bezirke konkurrieren miteinander, um Unternehmen anzulocken, Prozesse zu verbessern und bewährte Verfahren auszutauschen. Chinas Innovationslandschaft erinnert dadurch immer stärker an das Silicon Valley – nur dass hier nicht Wagniskapitalgeber, sondern Bezirksregierungen um die besten Gründer konkurrieren.

Der Architekt der Innovation ist die Finanzwirtschaft

China hat eines der am wenigsten „finanzialisierten“ Innovationssysteme der Welt – und das prägt alles. Ohne hochliquide Aktienmärkte wie in den USA, ohne ein Äquivalent zum S&P 500, fehlt der Nährboden für langfristige Risikofreude. Das ist Fluch und Segen zugleich.

Für Unternehmer bedeutet diese Realität weniger Finanzierungsrunden und kürzere Laufzeiten. Sie können nicht davon ausgehen, dass sie in zwölf Monaten eine weitere Kapitalerhöhung zu einer deutlich höheren Bewertung erhalten, also bauen sie anders auf – sie legen Wert auf frühe Einnahmen, schlanke Kostenstrukturen und schnelle Amortisation. Für Investoren beginnt der Aufbau des Portfolios vom Exit rückwärts. Ein Risikokapitalgeber erzählt, das er rund 30 Prozent seiner Zeit damit verbringe, zu prüfen, wo und wie ein Unternehmen überhaupt an die Börse gehen könne – noch bevor er investiere.

Das liegt daran, dass chinesische Kapitalmärkte stark politisch gesteuert sind. Im Gegensatz zu den hochliquiden, auf Offenlegung ausgerichteten Märkten der Vereinigten Staaten öffnen und schließen die chinesischen Börsen in Shanghai, Shenzhen und mittlerweile sogar Hongkong je nach sektoralen Prioritäten. Die Politik bestimmt nicht nur den Zeitpunkt, sondern auch, welche Branchen bevorzugt werden. Und da geopolitische Spannungen die Möglichkeiten im Ausland einschränken, sind chinesische Risikokapitalgeber stärker auf die heimischen Märkte angewiesen.

Je nachdem, wo man sich im Ökosystem befindet, kann dieses Design das Leben entweder sehr einfach oder sehr schwer machen – und genau das ist der Punkt: Es handelt sich um eine bewusste Entscheidung mit realen Konsequenzen. Unternehmer tragen die Kosten der begrenzten Finanzialisierung durch niedrigere Bewertungen und weniger Liquiditätspfade, während Investoren jedes Geschäft mit einem klaren Ausstiegsszenario im Hinterkopf strukturieren müssen. Nur wenige können es sich leisten, langfristige Forschung ohne einen klaren Weg zur Kommerzialisierung zu finanzieren.

Ein Beispiel: Ein Quantencomputing-Start-up, das wir treffen, beschränkt sich auf eine einzelne Berechnungsart – photonische Logik bei Raumtemperatur. Der Bau einer universellen Maschine wäre zu kapitalintensiv für den chinesischen Markt. Also konzentriert sich das Unternehmen auf das, was realistisch finanzierbar ist.

Diese Logik zieht sich durch fast alle Branchen. Chinesische Unternehmer entwickeln, was sich absehbar monetarisieren lässt. Das Ergebnis ist ein Innovationssystem, das weniger von Spekulation als von Machbarkeit getrieben wird. Das System belohnt das, was sich monetarisieren lässt, und diese Disziplin prägt alles – vom Produktdesign über den Umfang der Forschung und Entwicklung bis hin zur Personalbeschaffung.

Das ist ein Grund, warum chinesische Deep-Tech-Unternehmen so stark auf kurzfristige Praktikabilität ausgerichtet sind. Die Einschränkung ist finanzieller, nicht kultureller Natur – und sie erklärt weit mehr als jede Theorie über das nationale Temperament.

Die langfristigen, hochriskanten Projekte – Raumfahrt, Kernfusion, Verteidigung – liegen derweil in der Hand staatlicher Institute. Diese Zweiteilung zwischen marktorientiertem Pragmatismus und staatlichem „Moonshot“-Ansatz prägt Chinas technologische DNA: privatwirtschaftliche Effizienz im Hier und Jetzt, strategische Geduld auf nationaler Ebene.

Unerwartete Transparenz

Ich hatte nicht erwartet, auf dieser Reise so viel Offenheit zu erleben. Fast jedes Unternehmen empfing uns in einem „Zhanting“ – einem Ausstellungsraum, der gleichermaßen Labor, Bühne und Kommunikationszentrum ist. Dort erklärten Gründer, was sie tun, zeigten Prototypen und legten Roadmaps offen.

Die „Zhanting“ existieren aus einem bestimmten Grund: Viele Unternehmen empfangen einen stetigen Strom von Delegationen – Kunden, Bezirksbeamte, potenzielle Partner – und bei so vielen Besuchern muss die Kommunikation systematisch erfolgen.

Bei einem Unternehmen für humanoide Robotik war Transparenz wörtlich zu nehmen. In einer Ecke hatte das Team einen Roboter vollständig zerlegt: Jeder Servomotor, jeder Aktuator und jede Leiterplatte lag auf Tischen, beschriftet und sichtbar. Der Referent, ein leitender Ingenieur, sagt dazu: „Jeder nutzt dieselbe Lieferkette, und die Preisgestaltung ist transparent. Das ist nicht unser Vorteil. Unser Vorteil liegt in dem, was wir selbst gebaut haben.“

Das Unternehmen für humanoide Robotik hatte seinen Roboter für die Ausstellung vollständig zerlegt – dies ist der Arm.

Und tatsächlich hat man durch Transparenz wenig zu verlieren. Ein Unternehmer aus der Batterietechnologie erklärt nüchtern, dass technologische Vorsprünge selten länger als 18 Monate halten. Als ich ihn frage, ob das auf Spionage zurückzuführen sei, lacht er. „Nein“, sagte er, „die Konkurrenz wird es ohnehin herausfinden.“ Diese Meinung habe ich schon oft gehört. In diesem Umfeld verschafft Technologie allein keinen dauerhaften Vorteil. Der Vorsprung entsteht durch die kontinuierliche Entwicklung neuer Technologien und deren Einbettung in eine kohärente Geschäftsstrategie, die mit Timing und Disziplin umgesetzt wird. Man muss nicht alles offenlegen – aber die beste Verteidigung ist nicht Geheimhaltung. Es ist die Dynamik.

Chinas Hardware-Flywheel

Der Zusammenhang zwischen Kapitalstruktur und technologischer Ausrichtung wird im Bereich der Hardware am deutlichsten. Chinesische Hardwarefirmen profitieren von etwas, das ihren Software-Konkurrenten oft fehlt: einem riesigen lokalen Kundenstamm. Diese gewaltige Binnennachfrage bedeutet, dass sie auch ohne globale Präsenz eine gewisse Größe erreichen können.

Auf der Shenzhen Logistics Fair veranschaulichen zwei Unternehmen für autonome Fahrzeuge diese Dynamik. Beide haben über 10.000 fahrerlose Logistikfahrzeuge verkauft, die für den Transport in Lagerhäusern und in der Industrie eingesetzt werden. Eines der Unternehmen, Neolix, gab an, dass seine Lieferungen gegenüber dem Vorjahr um das Zehnfache gestiegen seien. Diese Zahlen liegen weit über den vergleichbaren Zahlen aus den USA. Allein im August verzeichnete die Stadt Shenzhen, die autonome Lieferungen als wichtige kommunale Initiative betrachtet, fast eine Million davon.

Die Hardware floriert, weil alle Faktoren stimmen: das Kapital, um mit der Produktion zu beginnen, die Lieferkette, um sie zu skalieren, und der Binnenmarkt, um die Produktion aufzunehmen. Selbst Mittelklassehotels setzen mittlerweile routinemäßig Serviceroboter ein, und neue Gewerbeflächen werden rund um intelligente Geräte konzipiert.

Im Gegensatz dazu stehen chinesische Softwarefirmen vor einer strukturellen Herausforderung: der geringen Zahlungsbereitschaft. Sowohl Verbraucher als auch Unternehmen erwarten, dass Software billig oder kostenlos ist, und viele SaaS-Produkte haben Schwierigkeiten, tragfähige Geschäftsmodelle im Inland zu finden.

Die Schlussfolgerung ist klar: Chinas Innovationskraft konzentriert sich aus wirtschaftlicher Notwendigkeit auf Hardware. Das Ökosystem unterstützt dies – von Fabriken über die Finanzierung bis hin zu den Kunden.

Ausleihen, anpassen, verbessern

Ein Mythos, den unsere Reise widerlegte: dass Chinas Innovation vor allem auf Imitation beruht. Es ist leicht, Zweckmäßigkeit mit Abhängigkeit zu verwechseln. Bei dem von uns besuchten Unternehmen für humanoide Robotik trugen einige Teile europäisch klingende Namen, was jedoch nicht bedeutete, dass das Unternehmen auf ausländisches geistiges Eigentum angewiesen war.

Die Realität ist weitaus pragmatischer: Die meisten chinesischen Unternehmen beginnen mit den Komponenten, die am besten funktionieren – manchmal importiert –, bis einheimische Lieferanten einen bewährten Markt entdecken und einsteigen. Wenn sie das tun, lernen sie schnell und überholen oft die etablierten Unternehmen in Kosten und Qualität. Es geht nicht darum, aufzuholen, sondern darum, auf dem aufzubauen, was funktioniert.

Nur wenige Gründer machen sich Gedanken darüber, woher ihre Teile stammen, obwohl sich dies angesichts geopolitischer Unsicherheiten sicherlich ändern könnte. Aber die heimische Lieferkette ist dynamisch, gut ausgebaut und leicht verfügbar. Der Versuch, jede Komponente selbst zu entwickeln, würde sie verlangsamen, während die Konkurrenz davonzieht. Was zählt, ist Geschwindigkeit. Die Verwendung europäischer Hardware oder von Open-Source-Code ist keine Schwäche, sondern Effizienz.

Außenstehende übersehen diese Nuance oft. Sie sehen importierte Komponenten und schließen daraus auf Abhängigkeit. Wir sahen das Gegenteil – ein System, das auf Praktikabilität optimiert ist und alle Werkzeuge nutzt, die derzeit die besten Ergebnisse liefern. Es geht nicht darum, wo die Technologie ihren Ursprung hat, sondern wie schnell sie aufgenommen, angepasst und weiterentwickelt wird.

Chips, Kosten und Konsequenzen

In einem Unternehmen, das große KI-Rechenzentren betreibt, hören wir etwas, das in vielen Firmen Anklang findet: Fast alle arbeiten sowohl mit ausländischen als auch mit inländischen Chip-Lösungen. Der Grund dafür ist wirtschaftlicher Natur: Viele Start-ups sind zu knapp bei Kasse, um sich ausländische Rechenleistung leisten zu können. „Sie können sich NVIDIA nicht leisten, selbst wenn sie wollten“, sagt ein leitender KI-Manager. Sanktionen haben das Angebot eingeschränkt, aber allein schon die Preise machen inländische Chips zu einer praktischen Notwendigkeit.

Ein Start-up für autonomes Fahren beispielsweise verwendet inländische Chips für Kunden, die nicht die fortschrittlichsten Funktionen benötigen, sondern Wert auf niedrigere Kosten legten. Das KI-Rechenzentrumsteam berichtet, dass es monatelang daran gearbeitet habe, die Lebensdauer älterer ausländischer Chips zu verlängern und gleichzeitig heterogene Cluster aus inländischen Chips zu entwickeln – verschiedene Prozessoren, die kombiniert wurden, um die Effizienz eines einzelnen, leistungsstärkeren ausländischen Systems zu erreichen.

Die Woche veränderte nicht so sehr meine Ansichten selbst, sondern verlieh ihnen vielmehr Tiefe. Am auffälligsten war, wie Chinas Deep-Tech-Ökosystem durch ein Gleichgewicht zwischen Einschränkungen und Beschleunigung geprägt ist. Finanzielle Grenzen halten die Ambitionen realistisch, während die Infrastruktur der Regierung Reibungsverluste verringert – sie legt die Gleise, damit die Gründer schneller vorankommen können. Es ist kein Bild von perfekter Effizienz, sondern von Dynamik – eine Landschaft, in der die Struktur darauf ausgelegt ist, Geschwindigkeit zu kanalisieren, anstatt sie zu bremsen.

Der beste Weg, dieses Ökosystem zu verstehen, ist immer noch, es zu erleben – eine EV-Fabrik zu besichtigen, neben einem Humanoiden zu stehen und ihm die Hand zu schütteln oder eine Fahrt in einem fliegenden Taxi zu unternehmen. Man sieht, wie zumindest eine Version der Zukunft gestaltet wird.

Rui Ma ist Mitherausgeberin von Tech Buzz China. Die Beobachtungen stammen aus ihrer Deep-Tech-Reise 2025 durch Peking, Shanghai, Hefei und Shenzhen. Die ursprüngliche Fassung dieses Berichts erschien in englischer Sprache auf ihrem Substack-Kanal. Auf X ist sie hier zu finden.