Editorial

Bis Ultimo

| 08. Dezember 2020
istock.com/RobertHoetink

Liebe Leserinnen und Leser,

Geld – Staat – Infrastruktur –, das sind die Schlagwörter, die nicht nur diese Ausgabe prägen, sondern die in der Corona-Krise auch in einem völlig neuen Licht stehen. Und in der Tat, wer die »Zeit nach Corona« bemühen will, wird – bis zuletzt – um diese drei Wörter nicht herumkommen.

Einen Anfang hat – welch Sensation – Angela Merkel gemacht. Nach neun Monaten des Schweigens hat die Bundeskanzlerin ein einziges Wort zu den wirtschaftlichen Folgen von Corona gesagt – und schon fragt man aus allen Ecken, was das eine Wort wohl zu bedeuten habe. Nicht bis »Ultimo« könne man Kompensationen mit staatlichen Schulden bezahlen, so die deutsche Regierungschefin, die zu Anfang dieses Jahres versprochen hatte, sie wolle ihre Corona-Politik ganz genau erklären.

Das ist die Art und Weise, wie die politische »Führung« in Deutschland seit Jahrzehnten mit offenen Fragen umgeht. Plötzlich war Geld in rauen Mengen vorhanden, wo vorher die öffentliche Hand und insbesondere die Gemeinden um jeden Cent gerungen haben, um ihre notwendigsten Investitionsvorhaben umsetzen zu können. Aber statt genau das dem Bürger und Wähler zu erklären, hat man bei jeder Gelegenheit die Besonderheiten der Lage hervorgehoben und klargemacht, dass es unmittelbar nach Corona wieder genau so weitergehen werde wie vorher.

Besonders schädlich für die öffentliche Diskussion über den Ausweg aus der Corona-Rezession aber ist die Tatsache, dass es von den meisten Ökonomen nur schwachen Widerspruch zu den kruden Thesen über die Gefahr einer baldigen dramatischen Inflationierung in ganz Europa gibt. Weil Kritik an der EZB in bestimmten Kreisen zum guten Ton gehört, überlässt man das Feld denjenigen, die das Gespenst einer Hyperinflation an die Wand malen.

Ein Blick auf die Realität zeigt, wie weit man von dieser Gefahr entfernt ist. Im Gegenteil verfehlt die EZB seit Jahren ihr Inflationsziel von knapp unter 2%. Warum? Ganz einfach: Wenn Unternehmen nicht erwarten, in der Zukunft mehr Geschäft zu machen, dann investieren sie auch dann nicht, wenn Kredite günstig sind. Nicht umsonst fordern mehr und mehr Zentralbanker von Lagarde über Draghi bis hin zum japanischen Ex-Kollegen Iwata in aller Öffentlichkeit, dass die Fiskalpolitik der Geldpolitik endlich zur Seite schreitet. Heißt: Olaf Scholz und seine Amtskollegen sind gefordert, auf das Gaspedal zu treten.

Auch auf einem anderen Feld ist durch die Covid-19-Krise Bewegung gekommen: Sie führt vor Augen, dass eine gut funktionierende Infrastruktur des Alltagslebens, wie im Gesundheitswesen, die Basis für eine krisenfestere »Welt nach Corona« ist. Wenn also aufs Gaspedal getreten wird, wieso nicht in diesem so wichtigen Bereich?

Genau das ist die Gretchenfrage: kann dieses Gelegenheitsfenster genutzt werden, um öffentliche Versorgungssicherheit auszubauen und die wirtschaftliche Kontrolle über kritische Infrastrukturen zurück zu gewinnen? Dieses Fenster – wir erinnern uns an den Satz Merkels – könnte bei einer Politik der leeren Kassen infolge der Krisenbekämpfung sehr schnell wieder geschlossen sein.

Denn auch wenn die Covid-19-Krise die vormals lauten Rufe nach mehr Marktzugriff auf Bereiche der Daseins- und Krisenvorsorge hat leiser werden lassen. Die Begehrlichkeiten von gewinnorientierten Akteuren sind angesichts des Potentials dieser Geschäftsfelder nicht verschwunden. Das Ausmaß transnationaler Marktmacht und die Regelwerke neoliberaler Globalisierungspolitik, die bislang das Geschäft mit dem »Alltagsleben« forciert haben – sowohl in Hinblick auf großflächige Infrastrukturbereiche wie Post, Telekom und Bahn als auch auf Teile der lokalen Daseinsvorsorge wie Stadtwerke – sind beachtlich…

…und für die Demokratie zerstörerisch - denn auch und gerade sie braucht sichere und verlässliche Infrastrukturen, auf denen sie aufsetzen und agieren kann, schreiben Jens Kersten, Claudia Neu und Berthold Vogel in ihrem Buch »Politik des Zusammenhalts«. So erfolgt diese demokratische Gestaltung des sozialen Zusammenhalts nicht allein durch die Gesetzgebung und das Ehrenamt, sondern vor allem auch durch die Verwaltung – und die Bürokratie ist in der Demokratie die gemeinsame Selbstverwaltung aller Bürger.

Es ist also höchste Zeit für ein »Lob der Bürokratie«: Die Verwaltungen begleiten den sozialen Wandel der Bundesrepublik, indem sie auf der rechtsstaatlichen Freiheit, sozialen Gleichheit und gesellschaftlichen Integration aller Bürger bestehen. Verwaltungen, so schließen die Autoren, sind eine demokratische Infrastruktur, die unsere Gesellschaft zusammenhält.