EU

An das Bundesverfassungsgericht: Es gibt kein richtiges Recht innerhalb einer falschen ökonomischen Diagnose

| 13. Juni 2013

Wenn ein Rettungssanitäter einen Rettungswagen steuert und dabei Geschwindigkeitsvorschriften missachtet, wird man ihn deswegen weder anzeigen noch gar verurteilen, ohne nach dem Grund seines überhöhten Fahrtempos zu fragen. Handelt der Fahrer so, weil er zu einem Unfallort mit Bewusstlosen gerufen worden ist, und verhält er sich auf der Fahrt so verantwortungsbewusst wie möglich, d.h. gefährdet er keine Dritten, wird die Verletzung der Verkehrsvorschriften nicht nur hingenommen, sondern sogar als notwendig angesehen. Denn es geht um das in diesem Fall gegenüber allgemeinen Verkehrsvorschriften schwerer wiegende wohlverstandene Interesse der Bewusstlosen, möglichst rasch Hilfe zu bekommen. Werden Dritte gefährdet, wird immer noch eine Abwägung der Umstände vorgenommen werden, bevor der Sanitäter angeklagt oder gar als schuldig bezeichnet würde. Außerdem wäre die Frage zu klären, ob die gefährdeten Dritten den Rettungswagen nicht etwa behindert haben, z.B. trotz Martinshorn nicht rechtzeitig an den Rand der Fahrbahn ausgewichen sind und insofern eine Mitschuld tragen. Kurzum, immer muss man sich ein umfassendes Bild der konkreten Situation machen, bevor man sie beurteilen kann. Nur den Verstoß gegen ein Gesetz festzustellen, reicht zur Urteilsfindung nicht aus.

Eine Zentralbank, die erklärt dazu bereit zu sein, Staatsanleihen zu kaufen, obwohl ihr das formaljuristisch nicht erlaubt ist, kommt einem wie der besagte Rettungssanitäter vor. Soll ein Gericht darüber urteilen, muss es sich offenbar ein genaues Bild davon machen, was im Einzelnen im Ablauf der Ereignisse passiert ist, und es muss prüfen, ob es Alternativen zu diesem Gesetzesverstoß (oder der Ankündigung dieses Verstoßes) gegeben hätte. Wie macht ein Gericht das? Fragt es Zeugen? Stellt es eigene Beobachtungen an? Die Dinge, die in der Europäischen Währungsunion seit 1999 geschehen sind, sind ja in tausenden von Statistiken und Berichten gut dokumentiert. Deutet das Gericht den Ablauf der komplexen Ereignisse dann in eigenständiger Weise? Aber auf welcher theoretischen Basis beruht die Deutung der Beobachtungen des Gerichts? Man kann komplexe ökonomische Abläufe von fünfzehn Jahren nicht einfach nachvollziehen wie einen Unfall an der Ecke. Erst recht nicht, wenn der angeklagte "Sanitäter", die Europäische Zentralbank (EZB), womöglich selbst zur Krise beigetragen hat, wie wir schon in vielen Beiträgen erläutert haben. Dann wird es noch verzwickter.

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