EU

Angela Merkel: "Fragile Wirtschaftslage" – und fragile Wirtschaftskenntnisse

| 09. September 2013

Das Interview, das Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Deutschlandfunk und dem Fernsehsender Phoenix am 13. August gegeben hat, ist in mancher Hinsicht aufschlussreich. So erfährt der aufmerksame Zuhörer, was die Regierungschefin über die aktuelle Wirtschaftslage jenseits von Wahlkampfreden tatsächlich denkt. Während es auf der Web-Seite der Bundesregierung optimistisch heißt, "Der Monatsbericht August des Bundesfinanzministeriums unterstreicht, dass sich die konjunkturelle Belebung der deutschen Wirtschaft auch im 2. Halbjahr 2013 fortsetzen wird", antwortet die Bundeskanzlerin, gefragt nach Unterschieden zwischen den Wahlprogrammen der Parteien: "Ich sage z.B., im Augenblick wären Steuererhöhungen jeglicher Art Gift, ... weil wir damit die sehr fragile Wirtschaftslage gefährden." Es ist gut, dass der Regierungschefin offenbar sehr wohl bewusst ist, wie sehr sich die deutsche Konjunktur auf des Messers Schneide bewegt, auch wenn sie das wohl eher unbeabsichtigt preisgegeben hat und die regierungsamtliche Rhetorik einen anderen Eindruck zu erwecken versucht.

Weniger erfreulich ist, was die Bundeskanzlerin zur Europapolitik sagt: "Deutschland ist Stabilitätsanker in Europa im Augenblick. ... Ich kann nur sagen, dass ich sehr davon überzeugt bin, dass der Weg bei der Bewältigung der europäischen Schuldenkrise richtig war, auf der einen Seite Solidarität zu zeigen, aber auf der anderen Seite auch darauf zu bestehen, dass alle Mitgliedsstaaten auch die notwendigen Reformen machen. ... Es ist dringend Eile geboten, dass Europa an seiner verbesserten Wettbewerbsfähigkeit arbeitet." Von einer Veränderung des Grundmusters deutscher Wirtschaftspolitik in Hinblick auf die Eurokrise kann also nicht die Rede sein. Zwar scheint Angela Merkel den ersten Schritt zum Verständnis der Krise in Europa geschafft zu haben, wenn sie formuliert: "Wenn sie wettbewerbsfähig sein wollen, dann müssen die Lohnstückkosten in Europa vergleichbar sein. Wenn sie in einem Land viel höher sind, hat das zur Folge, dass das Land seine Produkte nicht mehr verkaufen kann und damit die Arbeitslosigkeit steigt." Hut ab, das gehörte vor einem Jahr noch nicht so klar in den Instrumentenkasten der Rednerin. Nur was daraus folgt, das versteht die Bundeskanzlerin immer noch nicht, oder sie will es zumindest nicht öffentlich sagen. Sie schlussfolgert nämlich: "Die Reformen, die wir jetzt [in Europa; Anm.d.Verf.] verabredet haben, ... sind Reformen, die die Lohnstückkosten senken und damit die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen."

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