Corona und das Erbe unbewältigter Krisen
In der Pandemie erkennen manche eine wirtschaftspolitische Trendwende. Doch die Einschätzung trügt. Vielmehr fügen sich die Maßnahmen nahtlos in den Umgang mit früheren Krisen. Der Neoliberalismus scheint daraus stets gestärkt hervorzugehen.
Die Corona-Pandemie hält die Welt in Atem. Jetzt, ein halbes Jahr nach den ersten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, zeichnen sich unterschiedliche Auswirkungen auf Gesellschaft, Ökonomie und Politik ab. Nicht nur die Nationalstaaten reagieren verschieden, wie teils drastisch schwankende Fallzahlen bei Neuerkrankungen und Todeszahlen zeigen. Auch innerhalb der Staaten variieren Betroffenheit und Folgewirkungen. Manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ihre Arbeit ins Home-Office verlagern und erleben die Beschränkung als Befreiung – z.B. vom täglichen Pendelweg. Andere müssen weiter in die Betriebe, mitunter ohne Abstandsregel, oder als Paketzusteller das verstärkte Aufkommen von Online-Bestellungen bewältigen. Die Corona-Pandemie führt einmal mehr soziale Ungleichheit vor Augen.
Zugleich scheint die Pandemie Verwirrung zu stiften. Plötzlich verhängt der Staat Ausgehverbote und schränkt in für liberale Demokratien ungewohnter Weise Bürger- und Freiheitsrechte ein. Daneben stützt er mit horrenden Beträgen Unternehmen und Beschäftigte und ignoriert dabei die lange als unantastbar geltende ››Schuldenbremse‹‹. Auf europäischer Ebene vereinbaren die Staats- und Regierungschefs umfassende Hilfsmaßnahmen und Konjunkturprogramme, die die Bruchlinien der Gemeinschaft, die nach der Euro- oder der Migrationskrise aufgetreten sind, vergessen lassen. Inwieweit diese Maßnahmen zu einem grundsätzlichen politischen Wandel beitragen, ist offen. Gibt es eine Abweichung von lange gehegten politischen Prämissen? Und was sagt das über den Umgang mit fortdauernden Krisen aus?
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