Corona-Krise

Der Staat muss sich verschulden, nicht die Unternehmen

| 30. März 2020
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Mit Überbrückungskrediten will der Staat der Wirtschaft durch die Corona-Krise lavieren. Doch er bürdet damit den Unternehmen eine untragbare und auch ungerechte Schuldenlast auf.

Weil wir Abstand halten müssen und weil die Regierung Läden, Restaurants oder Fitnesszentren geschlossen hat, konsumieren wir aktuell etwa 25 Prozent weniger als gewohnt. In einer – hypothetischen - flexibel organisierten Wirtschaft wäre das kein Problem: Es würden einfach alle 25 Prozent weniger verbrauchen, 25 Prozent weniger arbeiten und auch 25 Prozent weniger verdienen. Wenn der Spuk vorüber ist, würden alle wieder mehr konsumieren und arbeiten.

In der Realität – die wir wiederum schematisch darstellen – geschieht nun aber dies: 75 Prozent aller Unternehmen (und deren Mitarbeiter) arbeiten und verdienen wie bisher. Ihre Mitarbeiter und Chefs konsumieren aber 25 Prozent weniger und sparen dank der Krise viel Geld. Dieses fehlt den anderen 25 Prozent der Unternehmen. Sie können weder die Löhne noch die übrigen Fixkosten für Miete, Amortisation etc. zahlen. Damit diese Firmen nicht Pleite gehen und ihre Mitarbeiter nicht verhungern, muss jemand für das nötige Geld sorgen. Das nötige Geld ist genau das, was die glückliche Mehrheit spart.

Theoretisch könnte man das Problem so lösen, dass die 75 Prozent das gesparte Viertel ihrer Einkommen dem arbeitslos gewordenen Viertel überweist und damit 75 Prozent von dessen früherem Einkommen finanziert.

Doch weil diese Lösung nicht praktikabel ist, muss der Staat einspringen. Das hat er auch gemacht, und zwar – zumindest in der Schweiz und in Deutschland – nach folgendem Muster: Die Löhne werden (in unterschiedlichem Ausmaß) über die Arbeitslosenkassen vom Staat a-fonds-perdu übernommen. Also ohne Rückzahlungspflicht. Zur Deckung der übrigen Kosten stellt der Staat über die Banken leicht abrufbare Kredite zur Verfügung.

In der Schweiz sehen die Konditionen wie folgt aus: Beträge von maximal 500.000 Franken oder 10 Prozent des Umsatzes werden vom Bund zu 100 Prozent garantiert, aber die Bank muss vorab prüfen, ob das Unternehmen „grundsätzlich solvent“ ist. Der Zinssatz beträgt 0 Prozent. Bei größeren Krediten trägt die Bank 15 Prozent des Ausfallrisikos und kassiert für diese Kredittranche etwa 2 Prozent Zins. Der Umfang des Programms wurde vorerst auf 20 Milliarden Franken beschränkt, doch Finanzminister Ueli Maurer ließ durchblicken, dass es je nach Bedarf auch mehr kosten darf.

Es droht eine Pleitewelle – und ein Immobiliencrash

Sehen wir uns auf der Grundlage der Statistik der „Buchhaltungsergebnisse schweizerischer Unternehmen “ einmal an, was das für einen durchschnittlichen Gastronomiebetrieb bedeutet: Die Fixkosten inklusive Finanzaufwand, Abschreibungen und vor allem Miete machen rund 30 Prozent des Umsatzes aus. Der Überbrückungskredit von maximal 10 Prozent des Umsatzes reicht also nur etwa für vier Monate. Nach diesen vier Monaten hat sich die Verschuldung um 10 Prozent des Umsatzes erhöht, was bedeutet, dass 60 Prozent des ohnehin knappen Eigenkapitals weg ist.

Das sind Durchschnittswerte. Die Hälfte der Betriebe ist schlechter dran. Bei Unternehmen im Kultur und Unterhaltungsbereich (NOGA) würde der Kredit nicht einmal für zwei Monate reichen. Falls das Programm verlängert würde – wäre das ganze Eigenkapital nach 8 Monaten aufgebraucht.

Bei dieser Ausgangslage stellt sich für viele Unternehmer die Frage, ob er nicht lieber gleich Konkurs anmelden und so den Schaden begrenzen soll. Und für die Banken müssten streng genommen zum Schluss kommen, dass solche Betriebe nicht „solvent“ sind, und sie ihnen deshalb keinen Überbrückungskredit gewähren dürfen. Und da bei einem Konkurs vermutlich längst nicht alle Forderungen beglichen werden können, droht eine Pleitewelle – und ein Immobiliencrash.

Vom Standpunkt der Opfersymmetrie aus ist ohnehin nicht einzusehen, warum Angestellte und Unternehmer unterschiedlich behandelt werden. Von den Arbeitsnehmern erwartet man auch nicht, dass sie die Arbeitslosengelder später wieder abstottern. Das Geld, das sie während der Arbeitslosigkeit für ihren Lebensunterhalt ausgeben, ist definitiv weg. Dasselbe gilt aber auch für die Fixkosten, mit denen die Unternehmer den „Lebensunterhalt“ ihrer Firma bestreiten und die Arbeitsplätze erhalten. Auch dieses Geld ist definitiv weg beziehungsweise wird von den (Nicht-)Konsumenten gehortet.

Nun kann man argumentieren, dass die Unternehmer eher über finanzielle Reserven verfügen als Arbeitnehmer. Zudem macht die Miete in der Regel den Löwenanteil an den Fixkosten aus. Übernimmt der Staat sämtliche Fixkosten à-fonds-per du, zahlt er damit oft auch völlig überrissene Mieten mit. Vermittelt er hingegen bloß einen – knapp bemessenen – Überbrückungskredit, muss sich der Unternehmer gut überlegen, ob dieser auch für die Miete reicht.

In der Tat setzt sich – in der Schweiz – allmählich die Meinung durch, dass Vermieter das Corona-Risiko (dass das Mietobjekt nicht mehr zum vereinbarten Zweck verwendet werden kann oder darf) zumindest mittragen müssen.

Der Entscheid, die Unternehmer anders zu behandeln als die Arbeitnehmer, mag also erwünschte verteilungspolitische Nebenwirkungen haben. Doch die konjunkturpolitischen Nachteile überwiegen klar. Erstens trifft die Corona-Krise vor allem kleine und mittlere Betriebe mit kleinen Gewinnmargen und dünnen Kapitaldecken, die sich eine weitere Verschuldung eigentlich gar nicht leisten können. Aber gerade diese Unternehmen müssen nach der Krise der Wirtschaft wieder neuen Schub geben.

Auch der Druck auf die Vermieter und Immobilienbesitzer hat mehr Nach-als Vorteile. In der Schweiz sind die Mieterträge eine wichtige Stütze der Pensionskassen. Gehen sie stark zurück, könnte das viele Kassen in Schieflage bringen und das Vertrauen in das Vorsorgesystem erschüttern, mit der Folge, dass die Konsumnachfrage noch mehr zurückgeht. Vor allem aber droht ein unkontrollierbarer Zusammenbruch des eh völlig überhitzten Immobilienmarkts.

Auch das Verursacherprinzip spricht gegen Überbrückungskredite. Wenn mir der Staat den Betrieb schließt, soll er auch für die entstehenden Kosten aufkommen. Zumindest die von der Schließung direkt betroffenen Firmen haben einen moralischen, wenn nicht gar rechtlichen Anspruch auf Entschädigung. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen der direkten und der indirekten Betroffenheit (etwa Weinhändlers, der 90 Prozent seines Umsatzes mit Gaststätten macht) schwierig. Und aus Gründen der Opfersymmetrie wäre er ungerecht, die einen voll und à-fonds-perdu zu entschädigen und den anderen Schulden aufzubürden.

Die Corona-Krise hat die Verteilungsfrage neu gestellt und akzentuiert

Doch kann sich die Staatskasse eine volle Entschädigung überhaupt leisten? Der Thinktank Avenir-Suisse schätzt den Bedarf Kurzarbeitsentschädigung auf 7 Milliarden und den an Liquiditätskrediten auf 5 Milliarden Franken pro Monat. Selbst wenn die Krise 6 Monate dauern würde, wären das bloß 72 Milliarden Franken oder etwa 10 Prozent des BIP. Kein Vergleich zu dem, was eine Depression kosten würde. So wie es heute aussieht, könnte der Bund das Geld sogar mit einem Negativzins von etwa 0,5 Prozent finanzieren, und so noch jährlich noch 360 Millionen dazu verdienen.

Klar: Je großzügiger und konjunkturpolitisch effizienter die Hilfe ausfällt, desto mehr Profiteure wird es geben. Darüber wird man reden müssen. Die Corona-Krise hat die Verteilungsfrage ohnehin völlig neu gestellt und akzentuiert. Warum wird unser Reinigungs- und Pflegepersonal viel schlechter bezahlt als etwa Börsenmakler? Warum sind die Mieten so hoch, dass sie sich viele Arbeitnehmer schon vor der Kurzarbeit kaum leisten konnten, und dass sie vielen Kleinunternehmen schon vor der Krise an den Rand der Ruins brachten?

Solche Fragen zu stellen, hieß bisher, die Weisheit des Marktes anzuzweifeln. Inzwischen empfinden es selbst viele Neoliberalen schon als wohltuend, dass der Staat ganz massiv in die Wirtschaft eingreift. Das wirft ein ganz neues Licht auf die verteilungspolitische Diskussion.