EU

Die offene Flanke im europäischen Rechtsschutz

| 05. Januar 2017
Foto von Sora Shimazaki von Pexels

Es ist nicht alles gut, was aus den USA kommt. Aber manches schon. In den USA haben VW-Käufer wegen des Abgasskandals rasch und unbürokratisch jeweils US$ 5.000,00 oder mehr an Schadenersatz erhalten (hier). In Europa zeigt VW bislang keine Vergleichsbereitschaft und setzt darauf, dass die betroffenen Fahrzeuge nach der Umrüstung dem technischen Stand entsprechen würden.

Neben unterschiedlichen Abgasvorschriften in Europa und den USA scheint der Grund für diese „Zurückhaltung“ des VW-Konzerns einfach in dem in Europa fehlenden Druckmittel zu liegen: In den USA sieht sich ein Konzern bei Nichteinigung schnell mit massiven Sammelklagen konfrontiert, in Europa spekuliert er vielleicht darauf, dass nicht allzu viele Kläger Ansprüche erheben werden. Zwar darf man als Konzern auch in Europa seine Kunden nicht belügen; aber es bleibt weitgehend folgenlos, wenn man es doch tut, werden doch nur die wenigsten Kunden Klage erheben. Entscheidend sind also – wie so oft – die Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung. So gesehen sollten wir uns hier als prozessrechtliche Entwicklungsländer begreifen, deren Prozessordnungen noch aus einer Zeit lange vor der industriellen Massenproduktion/-dienstleistung stammen, die nämlich zwangsläufig zu ebenso massenhaften Ersatzansprüchen führt, falls einmal etwas schief läuft.

Was in Europa lediglich gefordert wird, ist in den USA gelebte Realität: die zivilrechtliche Sammel- oder Gruppenklage („class action“) zur kollektiven Rechtsdurchsetzung. Mit diesem einfachen Instrument wird eine ganze Gruppe von Geschädigten zusammengefasst, die sich auf gleiche Rechts- und Tatsachenfragen stützen, wobei in den USA der Einzelne nicht vollständig seine individuelle Betroffenheit, sondern lediglich seine Zugehörigkeit zur Gruppe („class“) nachweisen muss. Die Rechts- und Tatsachenfragen werden für alle Gruppenmitglieder bindend geklärt; selbst mangelnde Kenntnis des Einzelnen von der Anhängigkeit eines Prozesses schadet nicht (hier). Auf diese Weise ist es geschädigten Verbrauchern möglich, auch relativ geringfügige Rechtsansprüche durchzusetzen, deren Geltendmachung sonst, auf individuellem Klageweg, z.B. aufgrund des Prozesskostenrisikos oder aufgrund des sonstigen Aufwands oftmals nicht machbar wäre. Beispielsweise kostet alleine das Sachverständigengutachten in einem unserer aktuellen Anlegerverfahren weit mehr als € 1 Million – völlig untragbar für einen Einzelkläger, selbst mit Rechtsschutzversicherung!

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