Aufgelesen

Faschismus als Reaktion auf marktliberales Chaos

| 01. September 2016

Polanyi hat in seinem Klassiker "The Great Transformation" zeitlose Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen dogmatischem Wirtschaftsliberalismus und autoritären politischen Reaktionen auf denselben beleuchtet. Im Zuge der Polarisierung der sozialen und politischen Krise in Europa scheint das Werk wieder brandaktuell.

„Die Entbehrungen der durch die Deflation arbeitslos gewordenen; die Notlage der öffentlich Bediensteten, die ohne Federlesens entlassen wurden, ja sogar der Verzicht auf nationale Rechte und der Verlust verfassungsmäßiger Freiheiten wurde als angemessener Preis für die Erfüllung der Forderung nach einem ausgeglichenen Budget und einer gesunden Währung betrachtet, jenen vorrangigen Grundsätzen des Wirtschaftsliberalismus.“

Dieses Zitat ist keine zeitgenössische Kritik an der Administration der Eurokrise, sondern entstammt dem Werk „The Great Transformation“ (1944/2014, S. 197) des interdisziplinär aufgestellten Wirtschaftshistorikers und Sozialwissenschaftlers Karl Polanyi. Die angeführten Prioritäten des Wirtschaftsliberalismus seien deshalb von so eminenter Wichtigkeit, weil die Finanzwelt, das Nervensystem der liberalen Marktwirtschaft, stabilen Rahmenbedingungen den höchsten Stellenwert einräumt. Ein ausgeglichener Haushalt und eine stabile Währung seien das Kredo des Bankiers (vgl. S. 269). Polanyi ist weit davon entfernt wie Rudolf Hilferding das Finanzkapital als Triebkraft imperialistischer Konkurrenz zu begreifen. Die Hochfinanz agierte pragmatisch, ein Krieg zwischen den Großmächten wäre geschäftsschädigend gewesen. „(…) Geschäfts- und Finanzwelt waren in der Tat für viele Kolonialkriege verantwortlich, aber auch für die Tatsache, dass ein allgemeiner Krieg vermieden wurde.“ (S. 36). Der 100-jährige Frieden von 1815-1914 sei ein Resultat der Pax Britannica, diese wurde von der Londoner City meistens durch Interventionen im internationalen Finanzwesen aufrechterhalten (vgl. S. 24-36).

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