MAKROSKOP Markups

Für eine gemeinschaftliche Wirtschaft

| 12. Dezember 2022
istock.com/SvetaZi

Wir machen Wirtschaftsjournalismus nach dem Leitbild einer sozialen Demokratie. Unsere zentralen Analysen und Vorschläge.

----------------------------------------

Vorwort

FreeBlackZero!

01 _ Für eine zeitgemäße Staatsfinanzierung

Der Teufel scheißt immer auf den dicksten Haufen.

02 _ Für leistungsfähige Kommunen

Make Gelsenkirchen schön again!

03 _ Für lebenswerte (Wohn-)Räume in ganz Deutschland

Schützt den Kapitalismus vor sich selbst!

04 _ Für eine stabile Marktwirtschaft dank guter Löhne

Wer über Produktivität nicht reden will, soll zur Rente schweigen.

05 _ Für eine Stärkung der gesetzlichen Rente

Was wertvoll ist, entscheidet die Gesellschaft, der Markt darf helfen.

06 _ Für gute öffentliche Güter und adäquat bezahltes öffentliches Personal

Treibt den Exportismus aus!

07 _ Für eine ausgeglichene Leistungsbilanz im Interesse Deutschlands

Kreislauf statt Hamsterrad!

08 _ Für eine Wirtschaft des Reusings, des Recyclings und der Reparatur

Vier Krisen, eine Lösung

09 _ Für mehr Tempo und bei der Agrarwende und der Bekämpfung von Artenschwund, Klimawandel und Übergewicht

Back to boring banking!

10 _ Für einen stabilen Finanzsektor im Dienste der Realwirtschaft

Europa, du Freude, du schöner Götterfunken, du Problemkind!

11 _ Für eine europäische Debatte zu Demokratie und Ökonomie

----------------------------------------

Vorwort

MAKROSKOP ist ein wirtschaftsjournalistisches Magazin, das sich dem Aberglauben entgegenstellt, dass die magische Kraft eines sich selbst überlassenen Marktes es schon richten werde. Dieser als Wissenschaft getarnte Glaube hat das Denken von Ökonomen und Politikern die letzten 40 Jahre geprägt. 

Wir gehen davon aus, dass ein Staat ins wirtschaftliche Geschehen eingreifen muss, damit die Märkte den Menschen dienen. Insbesondere eine richtige Ausgabenpolitik des Staates ist notwendig (und auch möglich), um Verwerfungen der kapitalistischen Dynamik zu verhindern, mindestens abzuschwächen.

Auch anderen staatlichen oder gesellschaftlichen Institutionen kommt die Aufgabe zu, dem Kapitalismus sein Gutes abzugewinnen. Im Folgenden haben wir Ihnen Beispiele für solche Institutionen und Eingriffe zusammengestellt.

MAKROSKOP stellt mit diesen Vorschlägen auch sein Anliegen vor: Wir wollen einen Wirtschaftsjournalismus betreiben, dessen Leitbild eine soziale Demokratie ist. Das Bemühen um ein richtiges Verständnis ökonomischer Prozesse ist die Basis unserer Arbeit. Unsere Analysen und Vorschläge unterscheiden sich dabei von dem meisten, was man in den die Öffentlichkeit prägenden Medien liest.

Was wir skizzieren, sind Forderungen einer grünen Sozialdemokratie, die in den letzten Jahrzehnten verloren gingen.

FreeBlackZero!

Für eine zeitgemäße Staatsfinanzierung

Von der schwäbischen Hausfrau sollen wir lernen, dass die Politik der schwarzen Null klug ist. Es gibt aber einen fundamentalen Unterschied zwischen einem privaten Haushalt in Schwaben und dem Staatshaushalt: Während die Geldmittel für Private begrenzt sind und Sparen deshalb sinnvoll ist, sind die finanziellen Mittel eines Staates in eigener Währung unbegrenzt. Sparen um der schwarzen Null willen ist deshalb gefährlicher Unfug, schadet es doch unserem Land, wie die bröckelnde Infrastruktur eindrücklich unter Beweis stellt.

Es war Angela Merkel, die die sparsame schwäbische Hausfrau zum Leitbild der Nation erklärte.

In der Tat: Schwäbinnen mussten in ihrem kargen Land mit harten Witterungsbedingungen haushalten. Sorge ich für den Winter nicht vor, werde ich verhungern müssen. Das Einlagern von Lebensmitteln war das Gebot der schweren Zeit. Die sparsame Schwäbin hilft aber nicht weiter, wenn wir vom Staat mit einem modernen Geldsystem reden. Auch wenn viele Politiker und Ökonomen etwas anderes erzählen: Geld muss vom Staat nicht in Säcken im Keller gelagert werden, damit es in der Not ausgepackt werden kann.

Nicht Geld auf Staatskonten, sondern eine funktionsfähige Wirtschaft und öffentliche Infrastruktur sind entscheidend – für die Gegenwart und erst recht für die Zukunft. Stellen Sie sich eine Wirtschaft vor, in der nichts mehr produziert wird, aber viel Geld auf privaten und staatlichen Konten liegt. Es liegt auf der Hand: Geld allein hilft genau gar nichts.

Ein Staat kann von seiner Zentralbank (für Deutschland wäre das die EZB) all das Geld bekommen, das er benötigt – durch einen simplen Computereintrag. Geld ist ein Steuerungsmittel, kein (knappes) Ding wie Gold oder Öl. Das klingt erst einmal irritierend, wissen wir alle doch aus eigener Erfahrung, dass wir unser Geld nicht beliebig vermehren können. Der Staat aber ist in einer komplett anderen Situation.

Entscheidend ist, dass ihm das Geld von seiner Zentralbank und nicht vom Ausland in einer anderen Währung zur Verfügung gestellt wird. Der Staat ist nicht auf den Goodwill der Märkte angewiesen, wenn er Geld braucht. Die Banken, die dem Staat Geld leihen, haben sich das vorher bei der Zentralbank geholt.

Sind wir also im Paradies gelandet? So einfach ist es leider nicht. Ein verantwortungsvoller Staat braucht zwar sein Konto nicht im Auge haben, sehr wohl aber muss er sich über die Produktionskapazitäten, über die ein Land verfügt, ernsthafte Gedanken machen. Ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern größer, als es das Angebot sein kann, besteht bei zusätzlichen Ausgaben das Risiko einer Inflation. Dabei muss man sich die einzelnen Wirtschaftssektoren anschauen. Wenn z.B. der Staat große Bauprojekte anstoßen oder endlich alle Schulen renovieren will, dann muss er vorher analysieren, ob es genügend Baukapazitäten gibt. Gibt es die nicht, muss er durch klare Signale an die Bauwirtschaft dafür sorgen, dass neue Kapazitäten aufgebaut werden. Seine Nachfrage nach Bauleistungen wird er in einer solchen Situation stetig, aber langsam steigern. Der Wettbewerb unter den Bauunternehmen verhindert dabei einen zu starken Preisanstieg.

Nicht das staatliche Geldvermögen, sondern die realen Ressourcen einer Volkswirtschaft setzen dem Staat Grenzen. Wenn es keinen Zement gibt, kann er nicht bauen – egal, wieviel Geld ihm die EZB gibt.

Es scheint verrückt, ist aber wahr: Steuern haben für den Staat (den Bund) keine Finanzierungsfunktion. Sie übernehmen Lenkungsfunktionen: So können sie zum Beispiel von reich zu arm umverteilen; sie können dem Markt nachfragewirksames Geld entziehen, um Inflation zu verhindern; sie können Verhalten bestrafen oder belohnen; sie können den Reichen Geld wegnehmen, um Finanzblasen zu verhindern.

Nachfolgende Generationen werden nicht durch hohe Staatsschulden belastet. Der Staat kann sich immer über seine Zentralbank Geld beschaffen. Nachfolgende Generationen werden durch schlechte Ausbildung, mangelhafte Infrastruktur und eine zerstörte Umwelt belastet.

Der Teufel scheißt immer auf den dicksten Haufen.

Für leistungsfähige Kommunen

Wenn wir überall in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen wollen (wie es das Grundgesetz vorsieht), muss die Finanzierung der Kommunen neu geregelt werden. Kommunen mit hohen Schulden sind selten Opfer ausgabewütiger Lokalpolitiker, sondern eher fehlender Struktur- und Regionalpolitik des Bundes. Und allzu oft drücken Bund und Länder den Gemeinden Aufgaben aufs Auge, ohne den Scheck mitzugeben.

Es gibt sie, die Geschichten von Bürgermeistern, die sich fragwürdige und zu teure Denkmäler setzen wollen, und auch die Geschichten vom sparsamen Stadtoberhaupt, das immer noch die Büroeinrichtung aus den 1970er Jahren nutzt und darauf stolz ist. Solche gern kolportierten Erzählungen gehen aber am Kern der Probleme von Kommunen vorbei.

Man glaubt es kaum, aber das Ruhrgebiet war in den 1950er Jahren so beliebt wie heute München. Die Region boomte und es ging allen gut, auch den Gemeinden. Dann kam das billige Öl und verdrängte die Kohle. Die Stahlindustrie wurde verstärkt der internationalen Konkurrenz ausgesetzt und lag in Folge ebenfalls darnieder.

An plötzlicher Faulheit der Ruhrpottler lag der Niedergang des Ruhrgebiets nicht. Mangelhafte Strukturpolitik des Bundes - nicht unverantwortliche Lokalpolitiker - hat zu den leeren Kassen dieser Gemeinden geführt (siehe dazu auch den Abschnitt zum „Wohnen“). Hinzu kommt, dass den Kommunen immer wieder eine ausreichende Finanzausstattung für die Aufgaben verweigert werden, die ihnen per Gesetz vorgeschrieben werden.

Die folgenden Vorschläge sollen für mehr Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen Regionen Deutschlands sorgen und den Gemeinden wieder die Luft für dringend nötige Investitionen in die kommunale Infrastruktur und Daseinsfürsorge verschaffen. Die Kommunen sind der wichtigste öffentliche Investor und sie müssen diese Rolle wieder angemessen ausfüllen können. Zurzeit machen sie Schlagzeilen, wenn endlich mal wieder eine Schultoilette renoviert wird.

Make Gelsenkirchen schön again!

Für lebenswerte (Wohn-)Räume in ganz Deutschland 

Bekannte Devisen sind: „Macht dem Bauwilligen den Weg frei.“ Oder: „Bauen, bauen, bauen!“ Doch lösen wir damit das Wohnungsproblem? Wie kommt es, dass in Deutschland gleichzeitig 600.000 Wohnungen fehlen und 2 Millionen Wohnungen leer stehen? Die unsichtbare Hand des Marktes braucht die sichtbare Hand des Staates.

Freiburg mag eine der wenigen attraktiven Schwarmstädte sein, in die Menschen in erster Linie wegen des Freizeitwertes ziehen. In der Regel entstehen Ballungszentren aber, weil sie Arbeitsplätze bieten. Das Ruhrgebiet entwickelte sich in der Mitte des letzten Jahrhunderts zur am dichtesten besiedelten Region Europas. Es waren die Arbeitsplätze der Schwerindustrie, die die Menschen anzogen.

Nun ziehen die Menschen nach München – vor allem der Jobs und nicht der Biergärten wegen. Solange München gute Arbeit bietet, werden die Menschen nach München gehen - auch wenn das Wohnen teuer, der Verkehr unerträglich und die teure Hütte eine langweilige Doppelhaushälfte am trostlosen Rand von München ist. Boomende Regionen können niemals ausreichenden Wohnraum anbieten. Gut zahlende Arbeitgeber ziehen qualifizierte Mitarbeiter an, diese ziehen wieder neue Arbeitgeber an: Ein Ende der Spirale ist nicht in Sicht. Das Wohnen bleibt teuer, wenn man nicht gegensteuert.

Was können wir tun? Den Schwarzwald und die Alpen kann man zwar nicht überall haben, aber schöne Städte und eine Strukturpolitik, die attraktive Arbeit besser übers Land verteilt, sind machbar. Das Ruhrgebiet lebte von der Kohle in der Erde, diese Standortgebundenheit gibt es heute nicht mehr. Die wichtigste Ressource sind die Menschen, und die gehen dorthin, wo es Arbeit und damit Lebensqualität gibt. In der Regel müssen die großen Unternehmen vorangehen. Große Unternehmen ziehen die vielen kleinen nach. Das ist ein langfristiger Prozess, den man nur wollen muss.

Vernünftige Strukturpolitik muss um die richtige Wohnungspolitik ergänzt werden. In Wien sind rund 50 % der Wohnungen in öffentlicher oder gemeinnütziger Trägerschaft. Diese Wohnungen bieten nicht nur günstigen Wohnraum, sondern dienen als Preisanker. Damit das so sein kann, müssen sie vielen Menschen, nicht nur den sozial Schwachen zugänglich sein. Der private Anbieter muss immer die öffentliche Konkurrenz und ihre Preise im Auge behalten und kann nur mit Qualität punkten. Mietpreisexplosionen wird es in Wien nicht geben. Solange Freiburg oder München als relativ attraktiv gelten, wird es dort eine hohe Nachfrage nach Wohnungen geben. Dies kann auch durch einen hohen Anteil öffentlichen Wohnungsbaus nicht befriedigt werden. Aber durch den Preisanker des öffentlichen Wohnungsbaus kann der Wohnraum trotz Knappheit bezahlbar bleiben.

Schützt den Kapitalismus vor sich selbst!

Für eine stabile Marktwirtschaft dank guter Löhne

Der zentrale Konflikt einer kapitalistischen Ordnung ist auch heute noch der zwischen Arbeit und Kapital: Unternehmen wollen maximale Gewinne machen, und jedes einzelne Unternehmen wird deswegen immer bemüht sein, den wichtigsten Kostenfaktor, nämlich die Löhne, niedrig zu halten. Gleichzeitig sind Unternehmen in ihrer Gesamtheit aber darauf angewiesen, dass die Menschen ihre Produkte nachfragen. Und dafür brauchen die abhängig Beschäftigten gute Löhne. Deswegen ist eine Kostensenkung durch Lohndumping statt durch Produktivitätssteigerung aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive auf Dauer zum Scheitern verurteilt.

Deutschland ging insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten nicht den Weg der guten Löhne, sondern suchte sein Heil im Ausland. Der ausländische Absatzmarkt kann eine durch niedrige Löhne geschwächte Binnennachfrage kompensieren. Dies ist natürlich keine Lösung für alle Staaten dieser Welt (es können nicht alle Staaten mehr exportieren als importieren). Und: Auch wenn es anders scheint, schadet sich Deutschland mit diesem Weg selbst (siehe Abschnitt „07 Exportismus“). Zudem hat Deutschland einfach Glück gehabt, als in der Zeit der rot-grünen Regierung Anfang des Jahrtausends die Lohndrückerei ihren Höhepunkt erreichte. Nur in einem System fester Wechselkurse, wie es der Euro ist, konnte dies funktionieren. Bei freien Wechselkursen hätte die starke Nachfrage nach DM (weil alle Welt unsere Produkte erwerben will) zu einem Anstieg des DM-Wertes geführt. Der gestiegene Wechselkurs hätte die deutschen Produkte verteuert. Der durch die niedrigen Löhne gewonnene Kostenvorteil wäre so durch den Wechselkurs zunichte gemacht worden.

Nach dem zweiten Weltkrieg war in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ökonomien die goldene Lohnregel mehr oder weniger bestimmend. Sie besagt, dass die Lohnsteigerung der abhängig Beschäftigten sich im Durchschnitt an der Produktivitätssteigerung im Land orientiert (bei zusätzlichem Inflationsausgleich). Wird der produzierte Kuchen größer, bekommen alle ein größeres Stück. Dahin müssen wir zurück.

In Deutschland gilt die Tarifautonomie, aber selbstverständlich hat politisches Handeln Einfluss auf die Lohnbildung. Das ist nicht zuletzt (negativ) durch die Hartz-IV-Gesetzgebung deutlich geworden. Die folgenden Maßnahmen liegen alle in der Hand der Politik und können dazu beitragen, dass Löhne gezahlt werden, die der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands entsprechen.

Die Versuche, adäquate Lohnabschlüsse mit dem Verweis auf die „leeren Kassen“ des Staates abzuwehren, verfangen nicht mehr, wenn man verstanden hat, wie die Finanzierung eines Staates funktioniert (siehe Abschnitt „Staatsfinanzierung“). Der Staat muss sich bei seinem Lohnangebot an der erwarteten Produktivitätsentwicklung und der angestrebten Inflation orientieren und in den nächsten Jahren nach und nach einen Ausgleich für die zu niedrige Lohnentwicklung der vergangenen Jahren zahlen.

In den letzten Jahrzehnten wurde das Instrument des Tarifvertrags geschwächt. Die Ausnahme vom Tarifvertrag wurde zur Regel. Damit sollte der angeblich besonderen Situation von einzelnen schwachen Unternehmen Rechnung getragen werden. Mit der Rückkehr zur Tradition der allgemeinverbindlichen Tarifverträge wird der Produktivitätsdruck auf Unternehmen erhöht. Frankreich, Finnland und die Niederlande können beispielsweise als Vorbild dienen. Nun zählt wieder die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens im Wettbewerb, und nicht mehr seine Fähigkeit, Löhne zu drücken. Damit Unternehmen die Löhne nach Tarifvertrag zahlen können, müssen sie „State of the Art“ produzieren. Unternehmen, die dies nicht können, werden vom Markt verschwinden. Das ist im Einzelnen schmerzhaft. Gesamtgesellschaftlich zählt aber die Produktivitätssteigerung durch den Tarifvertrag. Nur eine hohe Produktivität, also ein hoher Grad der Automatisierung, sichert den materiellen Reichtum unserer Gesellschaft.

Wer über Produktivität nicht reden will, soll zur Rente schweigen.

Für eine Stärkung der gesetzlichen Rente

Die 1957 von der CDU/CSU und der SPD in einer großen Sachkoalition gegen den Widerstand ordoliberaler Politiker wie Ludwig Erhard eingeführte per Umlage finanzierte dynamische Rente ist ein Grundstein unseres Sozialstaats, den es zu pflegen und zu stabilisieren gilt.

Dynamisch ist die Rente, weil sie der Entwicklung der Erwerbseinkommen folgt. Umlagefinanziert wird die Rente genannt, weil sie aus den Sozialabgaben der Erwerbstätigen finanziert wird, die damit zugleich einen Anspruch auf eine Rente in späteren Jahren erwerben. Damit folgte man dem ökonomischen Gesetz, wonach Renten stets aus der laufenden Wertschöpfung finanziert werden müssen, egal, ob sie von einer sozialen oder einer privaten Rentenversicherung getragen werden. Einen Geldspeicher gibt es nur im Paralleluniversum von Entenhausen.  

Dieser Sachverhalt wird auch von den meisten Befürwortern der kapitalgedeckten Rente nicht bestritten, die aus den Erträgen eines mit den Versicherungsprämien akkumulierten Anlagevermögens finanziert wird. Sie sehen den Vorteil von Ansparsystemen vor allem darin, dass sie die Rentenfinanzierung nicht nur von der Entwicklung unserer Volkswirtschaft abhängig machen, sondern die Alterungsrisiken auf dem internationalen Finanzmarkt breiter streuen können als nationale Umlagesysteme. Deshalb müsse die Umlagefinanzierung zumindest um eine internationale Kapitalanlage ergänzt werden, wenn man sie schon nicht komplett auf eine Kapitaldeckung umstellen kann oder will. Der Hauptunterschied zwischen der umlagefinanzierten und der kapitalgedeckten Rente besteht also in der Frage, wem man mehr vertraut: der Entwicklung der eigenen Volkwirtschaft oder dem internationalen Finanzmarkt.

Die Beantwortung dieser Frage sollte eigentlich angesichts der chronischen Finanzmarktkrisen leichtfallen. Dennoch wird seit 40 Jahren das Niveau der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente abgesenkt. Das allgemeine Rentenniveau lag 1978 bei 59,5 und 1990 bei 55 Prozent des durchschnittlichen beitragspflichtigen durchschnittlichen Nettolohns nach 45 Jahren Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Heute liegt es bei 48 Prozent, ein bis 2025 als „Haltelinie“ festgelegtes Niveau. Danach sinkt es, sofern diese Grenze nicht beibehalten wird, bis 2032 auf 44,9 Prozent. Die dadurch entstehende Lücke in der Alterssicherung soll durch mehr private Vorsorge gefüllt werden.

Begründet wird die Absenkung des Rentenniveaus mit der demografischen Entwicklung, die sonst zu einer unzumutbaren Belastung der nachwachsenden Generation führen und die Sozialabgaben in nicht mehr verkraftbare Höhen treiben werde. Deshalb müsse die private Vorsorge gestärkt werden. Diese Erzählung beruht auf spekulativen Modellen der demografischen Entwicklung und nicht haltbaren Behauptungen über die Vorteile von kapitalgedeckten Ansparsystemen gegenüber der Umlagefinanzierung.

Die als Kompensation für die sinkende Sozialrente gedachte Riester-Rente ist gescheitert. Auch der Vorschlag der Grünen und von etlichen Ökonomen, sie durch eine Deutschland-Rente (ein von der Bundesrepublik gemanagter Investmentfonds) zu ersetzen, ist ein Holzweg. Wie bei der Riester-Rente werden die unteren Einkommensgruppen in dieses Modell nicht einzahlen können, weil dafür ihre Arbeitseinkommen keinen Spielraum bieten. Hier müsste der Staat einspringen. Das von ihm in solche Modelle gesteckte Geld wäre in der GRV besser aufgehoben. Das zeigt das Rentensystem in Österreich. Dort zahlen alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung ein, die Durchschnittsrente liegt um 50 Prozent über dem deutschen Niveau. Der Beitragssatz ist zwar mit 22,8 Prozent um vier Prozentpunkte höher als in der deutschen GRV. Aber auf dieses Beitragsniveau käme man auch bei uns, wenn man die Beiträge und Subventionen zur Riester- oder Deutschland-Rente hinzurechnet.

Unsere Gesellschaft wird seit über 100 Jahren immer älter, gleichzeitig erhöhte sich unser Wohlstand und nahm die Arbeitszeit ab. Im Jahr 1900 kamen 12,4 Personen im erwerbsfähigen Alter auf eine Person über 64 Jahre. Fünfzig Jahre später lag diese Quote bei 6,9 und heute bei 3,6. Diese Entwicklung müsste den demografischen Apokalyptikern eigentlich ein Rätsel sein. Die aus der volkswirtschaftlichen Perspektive entscheidende Frage für die Finanzierung der Renten ist nicht die nach der Höhe des Altenquotienten, sondern die nach der Entwicklung der Produktivität der Wirtschaft und der Einkommensverteilung.

Gute Löhne bedeuten gute Renten. Und wenn wir wirklich eine signifikante Alterung unserer Gesellschaft erleben, dann werden wir wohl über eine Anhebung der Beitragssätze für die Rentenversicherung nachdenken müssen. Dies ist aber für die Erwerbstätigen verkraftbar, wenn sie dank Teilhabe an den Produktivitätsfortschritten trotz höherer Beiträge ein besseres Einkommen haben.

Was wertvoll ist, entscheidet die Gesellschaft, der Markt darf helfen!

Für gute öffentliche Güter und adäquat bezahltes öffentliches Personal

Wer zahlt schon gerne Steuern und Sozialabgaben? Wer hat sich nicht schon mal ein freies Leben ohne staatliche Bevormundung gewünscht? In schizophrener Gleichzeitigkeit sind wir froh um die Sicherheit, die ein moderner Sozialstaat uns allen gibt. Die Freiheit, die wir alle gerne wollen, gibt es für die meisten von uns nur, weil wir den im Artikel 20 des Grundgesetzes verankerten sozialen Rechtsstaat haben, der soziale Risiken absichert. Dies wird oft vergessen, deswegen gibt es diese Schizophrenie.

Seit den 1980er Jahren steht der Sozialstaat in der öffentlichen Kritik. Er sei gefräßig und ineffizient, die Bürokratie sei aufgebläht, schade der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und sei auf Dauer unbezahlbar. Das einzige Therapeutikum, das helfe, sei seine Verschlankung und die Privatisierung seiner Leistungen, damit die Unternehmen und die Erwerbstätigen wieder Freude an der Leistung hätten. Dies bringe Deutschland nach vorne.

Die Erzählung ist falsch, weil sie ausblendet, dass eine produktive Wirtschaft nicht die Leistung einzelner „Leistungsträger“ ist, sondern einer gesellschaftlichen Ordnung, zu der Werte, Normen, Traditionen, Mentalitäten, kumuliertes und tradiertes Wissen, Institutionen, aber auch Infrastruktur und sozialen Frieden gewährende Absicherung gehören. Sprich: Ohne Gesellschaft und Staat ist der einzelne nichts, zumindest verdammt wenig. Sie ist auch deshalb falsch, weil der Sozialstaat keine überflüssigen Leistungen anbietet, sondern die sozialen Risiken wie Alterung, Arbeitslosigkeit und Krankheit absichert, die nicht damit verschwinden, dass man die Absicherung privatisiert.

Der Sozialstaat gibt dem Einzelnen Sicherheit. Soziale Sicherheit ist ein Produktivfaktor der Gesellschaft und keine Förderhilfe für Faule. Gesamtwirtschaftlich entfaltet der Sozialstaat seine ökonomische Vernunft, weil er umverteilend Menschen ohne Erwerbstätigkeit mit finanziellen Mitteln ausstattet und damit auch dafür sorgt, dass jeder am allgemeinen Wohlstand teilnimmt und so die Wirtschaft stabilisiert wird. Das war den Vätern und Müttern unseres nach dem 2. Weltkrieg aufgebauten Sozialstaats bewusst, ist aber heute leider in Vergessenheit geraten.

Er ist ökonomische Vernunft, weil er die sozialen Risiken effektiver absichert als marktwirtschaftliche Lösungen und private Versicherungen. Arbeitslosigkeit ist ein von der privaten Assekuranz nicht versicherbares Risiko. Auch die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens im Alter kann der Markt nicht gewährleisten. Im Gesundheitswesen herrscht prinzipielles Marktversagen, weil es keine Konsumentensouveränität gibt und die Ausgaben ohne öffentliche Preisregulierungen ins Uferlose wachsen würden. Der Markt ist erwiesenermaßen die teurere Alternative für das Gesundheitswesen. Die Gesetzliche Krankenversicherung bietet die gleichen Leistungen um bis zu 50 Prozent günstiger an als die Private Krankenversicherung. Steigende Gesundheitsausgaben sind auch keine Überforderung der Wirtschaft, sondern ein ganz normaler Prozess. Dienstleistungsbereiche, die personalintensiv und deswegen weniger rationalisierbar sind als der Industriesektor, werden relativ zum Industrieprodukt immer teurer. Der Fernseher kostete vor vierzig Jahren einen halben durchschnittlichen Monatslohn, heute muss man für ein qualitativ deutlich hochwertigeres Produkt nur noch eine halbe Woche arbeiten – dank des technischen Fortschritts. Die sinkenden Kosten für Industrieprodukte ermöglichen uns höhere Ausgaben für Dienstleistungen, auch für Gesundheitsleistungen – und diese sind ja nicht nur teurer, sondern auch besser und umfassender geworden. Außerdem ist das Gesundheitswesen eine Jobmaschine mit einem jährlichen Zuwachs von über 100.000 Arbeitsplätzen.

Es ist die Entscheidung einer demokratisch verfassten Gesellschaft, ob sie bestimmte Aufgaben dem Staat oder dem Markt überlässt. Wer auch immer behauptet, der Markt könne die sozialen Risiken moderner Gesellschaften besser absichern als der Staat, hat die besonderen ökonomischen Eigenschaften und Funktionen des Sozialstaats nicht verstanden oder will sie nicht verstehen. Dessen Privatisierung ist ein teurer Holzweg, wie zum Beispiel das Gesundheitswesen der USA zeigt. Dort sind trotz „Obamacare“ immer noch 15 Prozent der Einwohner ohne Krankenversicherung und die Pro-Kopf-Ausgaben für das Gesundheitswesen sind um 75 Prozent höher als bei uns. 

Auch im Bildungswesen, im Wohnungsbau und in der Verkehrsinfrastruktur hat die Privatisierung verheerende Auswirkungen, wie wir leidvoll erfahren mussten.

Treibt den Exportismus aus!

Für eine ausgeglichene Leistungsbilanz im Interesse Deutschlands

Wir Deutsche sind stolz auf den Titel des Exportweltmeisters, den wir uns auch noch selbst verliehen haben. Wir exportieren deutlich mehr, als wir importieren. Kein Land kann uns das Wasser reichen. Doch dies schadet uns mehr, als es uns nützt. Für einen nachhaltigen und gerechten Wohlstand müssen wir so viele Waren ins Land holen, wie wir ausführen. Ausgerechnet China kann ein Vorbild sein.

Die sprichwörtliche German Angst muss nichts Schlechtes sein. Betrachtet man aber die sogenannte deutsche Wettbewerbsfähigkeit, dann weiß man nicht so recht, wie Realität und Gefühlslage zusammenpassen. Bald werde es nur noch chinesische Waren bei uns und anderswo geben, die billiger als unsere seien und deren Qualität zudem jährlich besser werde, so der ängstliche Deutsche. Die damit eigentümlich kontrastierende Realität ist, dass Deutschland deutlich mehr exportiert, als es importiert. Das kleine Deutschland übertrumpft dabei die Weltmacht China. So schlecht kann es um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit also nicht bestellt sein.

Wir werden dafür immer wieder von anderen Nationen kritisiert, unter anderem weil unsere Überschüsse in anderen Ländern Arbeitsplätze vernichten. Das importierte deutsche Auto nimmt dem amerikanischen Autobauer seinen Arbeitsplatz weg.

Selbst der IWF spricht inzwischen Empfehlungen gegen zu hohe deutsche Exportüberschüsse aus: Der Staat soll mehr investieren, zum Beispiel in seine Infrastruktur. Und dann könnte man noch die Löhne anheben, insbesondere im Niedriglohnsegment. Beides wird die Binnennachfrage ankurbeln. Höhere Binnennachfrage führt zum einen zu mehr Importen. Zum anderen wird es Anpassungsprozesse auslösen, da das eine oder andere deutsche Unternehmen seine Produktpalette ändern und statt für den Weltmarkt mehr für den Binnenmarkt produzieren wird.

Wir sind ein hoch produktives Land. Eine unserer Stärken sind komplexe Spezialprodukte, die weltweit nachgefragt werden. Bedenklich ist aber, dass eine Verschiebung vom Hochleistungsprodukt „Made in Germany“ zum billigen Massenprodukt für den Export zu beobachten ist. Damit laufen wir Gefahr, unsere eigentliche Tugend – die Fertigung von Qualitätsprodukten – der Herstellung billiger Waren zu opfern. Der Preisvorteil wird über niedrige Löhne gewonnen. Diesen Kampf werden wir gegen China nicht gewinnen. Höhere Löhne fördern nicht nur die Binnennachfrage, sondern sorgen auch dafür, dass der Innovationsdruck und damit der Qualitätsdruck in der Wirtschaft bestehen bleibt.

Exportüberschüsse schaden nicht nur anderen Nationen, sondern auch Deutschland, sofern sie zu Lasten einer modernen und intakten staatlichen Infrastruktur gehen. Plastisch gesprochen: Der Stahlträger, der ins Ausland verkauft wird, und die deutsche Ingenieursstunde, die ausländischen Projekten gewidmet ist, steht für die eigene marode Brücke nicht zur Verfügung. Dieser Export ist nur hinnehmbar, wenn im gleichen Umfang ausländische Dienstleistungen und Produkte importiert würden und damit „hier“ eingesetzt werden könnten.

Leidtragende der Exportüberschüsse sind in Deutschland zurzeit insbesondere die unteren Einkommensschichten. Vereinfachen wir noch einmal, um die deutsche Situation zu beschreiben: Angenommen, die Menschen ernähren sich nur von Käse und Würsten. Wenn ein Land (zum Beispiel Deutschland) Käse exportiert und das andere Würste und der Saldo von Exporten und Importen ausgeglichen ist, dann gibt es in beiden Ländern offensichtlich genug Nachfrage nach Würsten und Käse. Gucken wir jetzt auf den Exportweltmeister: Deutschland verkauft guten, aber zu günstigen Käse. Es wird deshalb sehr viel Käse exportiert – mehr als Würste importiert werden. Eigner und Arbeitnehmer der Käseindustrie haben dadurch viel Geld auf dem Konto. Die Nachfrage nach Würsten im Land aber ist mau. Wie kommt es dazu? Alle, die nicht vom Käseexport profitieren, können sich nicht mehr genug Würste leisten, weil ihr niedriger Lohn dies nicht hergibt. Ironie der Geschichte ist: Die billigen Vorprodukte des Niedriglohnsektors haben den guten Exportpreis für den Käse erst ermöglicht.

Der deutsche Exportüberschuss ist also Ausdruck einer sozialen Schieflage. Ausgerechnet China hat erkannt, dass eine starke Binnenmarktorientierung wirtschaftlich nachhaltig ist. Diesen Weg geht China seit der Finanzkrise 2008.

Kreislauf statt Hamsterrad!

Für eine Wirtschaft des Re-Usings, des Recyclings und der Reparatur

Wer hätte sich vor 20 Jahren vorstellen können, dass der Sand zum Bauen schon heute weltweit knapp ist? Auch Phosphor wird rar, Kupfer sowieso. Laut OECD wird sich der globale Materialverbrauch zwischen 2011 und 2060 verdoppeln. Es ist deshalb höchste Zeit, eine echte Kreislaufwirtschaft zu etablieren.

Bereits zu Beginn der 1990er Jahre wurde ein Weg aus dem linearen Wirtschaften aufgezeigt und das Konzept Cradle to Cradle* entwickelt – von der Wiege zur Wiege, als Bild für den Kreislauf von Rohstoffen und Materialien. Eine Voraussetzung hierfür ist, Produkte vom Ende her zu denken – sie also so zu entwickeln, dass sie entweder repariert oder die Einzelteile gut wiederverwertet werden können. Im Gegensatz zum bisher dominanten „Downcycling“ wird dabei die Qualität der Materialien über zahllose Produktlebenszyklen erhalten. Abfall ist nicht vorgesehen.

Wenn die Rohstoffe oder Bauteile eines Produkts mehr Wert haben, als die Rückgewinnung kostet, sind auch neue Geschäftsmodelle möglich. Denn dann ist ein Produkt für seinen Hersteller auch Rohstoff- und Ersatzteillager. Damit er im Besitz dieses Materials bleibt, bietet er dem Kunden den Nutzen des Produkts (zum Beispiel Wäsche waschen) als Service an und stellt ihm dazu die Waschmaschine zur Verfügung. Der Kunde bezahlt nur für die Waschgänge.

Das alles ist keine graue Theorie sondern wird in unterschiedlichen Bereichen bereits umgesetzt. Das erste Cradle to Cradle-Produkt war ein kompostierbarer Möbelbezugstoff, der auch für die Flugzeugsitze im Airbus A 380 eingesetzt wird. Von Werner & Mertz wurde zusammen mit Partnern erstmals ein komplett kreislauffähiger und recyclebarer Nachfüllbeutel für Flüssigseife entwickelt, der vor kurzem mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurde. Die Firma Bauwerk bietet Cradle to Cradle-zertifiziertes Parkett an, das bis zu vier Mal zurückgenommen, aufbereitet und wieder neu verlegt werden kann.

Der Einstieg in eine echte Kreislaufwirtschaft ist aber nicht nur aus ökologischer Sicht notwendig, sondern ein Gebot ökonomischer Vernunft. Denn Länder wie China sichern sich schon seit Jahren Zugang zu wichtigen Ressourcen. Es ist deshalb höchste Zeit, das Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.

* Cradle to Cradle ist eine international geschützte Marke

Vier Krisen, eine Lösung

Für mehr Tempo und bei der Agrarwende und der Bekämpfung von Artenschwund, Klimawandel und Übergewicht

Wir befinden uns im sechsten großen Massenaussterben der Erdgeschichte, in dessen Folge ganze Ökosysteme zusammenbrechen werden und ignorieren diese Katastrophe erdgeschichtlichen Ausmaßes weitgehend. Denn es ist schon so lange vom Artensterben die Rede, dass es uns kaum noch erschreckt, wenn die Roten Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten wieder einmal länger geworden sind. Im Mai 2019 hat der Weltbiodiversitätsrat IPBES gewarnt, dass eine Million Arten in den nächsten Jahren vom Aussterben bedroht seien. Seitdem macht der Verlust der biologischen Vielfalt endlich etwas mehr Schlagzeilen.

Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen und fragen: was gehen mich denn die anderen Arten an? Sehr viel, denn ein Artensterben dieses Ausmaßes ist auch eine existentielle Bedrohung für den Menschen.

Die Klimakrise wird das Massenaussterben weiter verstärken, weil sich die Temperaturen schneller verändern werden, als sich Pflanzen und Tiere anpassen können. Vor allem Pflanzen werden Schwierigkeiten haben, sich mit dem Klimawandel zu arrangieren.

Dazu kommen zwei weitere Krisen, die mit der Klimakrise und dem Verlust der biologischen Vielfalt zusammenhängen: der weltweite Anstieg der ernährungsbedingten Erkrankungen und das Höfesterben, das in vielen Teilen der Welt Arbeitsplätze im ländlichen Raum vernichtet.

All diese Krisen hängen miteinander zusammen und genau das bietet auch Chancen für Lösungen. Die Eat Lancet Commission on Food, Planet and Health, ein internationales Team von Ressourcenforschern und Ernährungsmedizinerinnen, hat aufgezeigt, dass sich zehn Milliarden Menschen gesund ernähren können, ohne die planetaren Grenzen zu überschreiten, wenn wir halb so viel Fleisch und Zucker und doppelt so viel Früchte, Gemüse und Hülsenfrüchte essen. Das würde weniger Tiere und also weniger Anbau von Futterpflanzen bedeuten - und damit mehr Raum für viele unterschiedlichen Pflanzen auf den Äckern schaffen. Vielfalt auf den Feldern würde zu mehr Vielfalt auf den Tellern führen. Würde man das gut miteinander verbinden, könnten eine solche Landwirtschaft eine vielfältige Landschaft mit vielen Büschen, Hecken, Bäumen, mit breiten Fruchtfolgen auf den Feldern und extensiven Weidenlandschaften hervorbringen.

Eine wirksame Agrar- und Ernährungswende wird allerdings nicht aus der Einsicht Einzelner erwachsen. Sie muss vielmehr aktiv politisch gestaltet werden - durch eine kluge Kombination aus Ordnungsrecht, Förderprogrammen und neuen partizipativen Planungsinstrumenten auf lokaler und regionaler Ebene – und vor allem einer grundlegenden Reform der in weiten Teilen kontraproduktiven EU-Agrarpolitik.

Back to boring banking!

Für einen stabilen Finanzsektor im Dienste der Realwirtschaft

Damit die Banken wieder der Realwirtschaft dienen, muss der Staat die Kontrolle über das Geldsystem zurückgewinnen. Ein wichtiges Mittel ist die Einführung eines digitalen Euros für jeden und eine damit einhergehende stärkere Trennung des Investmentbankings vom übrigen Bankengeschäft. Das Geldschöpfungsprivileg von Banken wird eingeschränkt.

Als sich die US-Regierung 2008 weigerte, Lehman Brothers zu retten, wusste sie offensichtlich nicht, was sie tat: Das weltweite Finanzsystem drohte in der Folge zu kollabieren, weil die Banken das wechselseitige Vertrauen verloren hatten und sich kein Geld mehr untereinander liehen. Der Zahlungsverkehr und das Kreditgeschäft drohten zum Erliegen zu kommen. Nur massive Interventionen der Staaten und Notenbanken dieser Welt verhinderten den Zusammenbruch. Die Rufe nach einer Regulierung des Finanzsektors waren in dieser Zeit laut. Passiert ist nichts – zumindest zu wenig. Banken wissen spätestens seit 2008, dass sie „too big to fail“ oder zu „interconnected“ sind. Sie sind systemrelevant, können also darauf setzen, dass sie rausgehauen werden, wenn sie in finanzielle Schräglage geraten. Das muss sich ändern.

Finanzkrisen wird es zwar immer geben. Wir können aber die Risiken minimieren. Banken müssen damit leben lernen, dass sie pleitegehen können – ansonsten bekommen wir ihre Hybris nicht in den Griff. Gleichzeitig müssen wir die Realwirtschaft und insbesondere Otto Normalverbraucher vor den Folgen von Bankenpleiten schützen.

Banken können durch simplen Computereintrag Geld auf einem Konto schaffen. Diese Geldschöpfung aus dem „Nichts“ ist maßgeblich verantwortlich für die Destabilisierung des Finanzmarktes. Dieses Recht muss eingeschränkt werden.

Europa, du Freude, du schöner Götterfunken, du Problemkind!

Für eine europäische Debatte zu Demokratie und Ökonomie

Wir sind alle Europäer, eigentlich Weltbürger! Die Idee „Europa“ steht für Frieden und Freiheit, für „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard), für Zusammenhalt, für Demokratie und Gerechtigkeit. Darüber brauchen wir hoffentlich nicht streiten. Doch wie sieht das institutionelle Gefäß dieser Idee aus? Rufen wir bald die Vereinigten Staaten von Europa aus? Oder gehen wir einen Schritt zurück, und unabhängige Staaten kooperieren friedlich und zum wechselseitigen Vorteil?

In Europa ist es wie im richtigen Leben: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Es gibt den glückseligen Europabegeisterten, der als Lösung für alle Probleme nur „mehr Europa“ kennt und der sich vor allem über offene Grenzen freut. Es gibt den chauvinistischen Nationalisten, dem die ganze Richtung stinkt, weil er seine eigene Nation für die größte hält und mit den anderen nichts zu tun haben will. Es gibt die Durchschnittsdeutschen, die sich freuen, dass sie bei der Reise nach Italien nicht mehr umrechnen müssen, und die sich ärgern, weil die Italiener den Deutschen angeblich das Geld wegnehmen. Es gibt die Italiener, die eine Riesenwut auf Europa haben, sich aber dann doch lieber an Europa klammern, weil sie den eigenen Politikern noch weniger trauen. Es gibt Werte-Europäer, die über die Polen die Nase rümpfen, weil sie die rechte PIS-Partei wählen. Diese Hochnasen fragen sich aber nicht, ob wirklich alle Polen nun nach rechts gerückt sind oder ob diese unappetitliche Partei vielleicht nur deswegen gewählt wird, weil allein sie das „Soziale“ auf dem Zettel hat.

Was aber steht einer Realisierung der Idee von „Europa“ im Weg? Es ist der gute alte Kapitalismus, dessen beeindruckende Dynamik viele schöne Dinge hervorbringt, der aber auch droht, den sozialen und demokratischen Zusammenhalt einer Gesellschaft zu zerstören. Wenn wir über „mehr Europa“ reden, müssen wir also darüber reden, wie wir den Kapitalismus in Europa so einhegen können, dass er den Menschen dient. Wie sieht es aus, hat der Kapitalismus schon das Dienen gelernt?

Der Europäische Gerichtshof jedenfalls ist eher ein starker Treiber einer klaren Marktorientierung Europas. Denn die Richter haben ohne demokratische Legitimation die vier Grundfreiheiten (freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital und Personenfreizügigkeit) quasi in den Verfassungsrang gehoben. Der liberalisierte Binnenmarkt mag schon mal zu billigeren Waren oder Dienstleistungen führen, setzt aber die Arbeitnehmer unter Druck: Unternehmer können immer mit der Abwanderung drohen, wenn ihnen etwas nicht passt. Und Arbeitskräfte aus ärmeren EU-Ländern übernehmen anstrengende Aufgaben zu Konditionen, zu denen kein Deutscher arbeiten würde. Sie fungieren als Lohndrücker. Wir bräuchten eine grundlegend neue Verfassung, in der die vier Grundfreiheiten auf ihre Plätze (wo immer die genau sind) verwiesen werden.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist dem demokratischen Entscheidungsprozess weitgehend entrückt.  Die EZB ist mit einer deutlich größeren Machtfülle ausgestattet, als es die Bundesbank je war. Bundeskanzler Kohl konnte schon mal drohen, das Bundesbankgesetz zu ändern, um Bundesbanker zur Vernunft zu bringen. Über dieses Mittel verfügt der einzelne europäische Staat nicht. Die Staaten sind einer selbstherrlich agierenden EZB ausgeliefert.

Tatsächlich liegen der EZB-Konstruktion und den Restriktionen der Staatsverschuldung im EURO-Raum fragwürdige ökonomische Theorien zugrunde. Für die im Maastricht-Vertrag festgelegten Obergrenzen der Staatsverschuldung gibt es keine nachvollziehbare Begründung (man wollte einfach irgendeine Grenze), und der eigentliche Skandal ist, dass die EZB den Staaten kein Geld geben darf (was sie dann doch tut – mit abenteuerlichen Begründungen). Was immer sich die Verfasser des Maastricht-Vertrages gedacht haben: Der Vertrag legt auf jeden Fall die EURO-Staaten an die kurze Geldleine. Ein klammer Staat verfügt aber zum Beispiel nicht über finanzielle Mittel für ausreichende soziale Sicherungssysteme, die die Arbeitnehmer vor unzumutbarer Unbill am Arbeitsmarkt schützen. Die Idee „Europa“, also die Einhegung des Kapitalismus, scheint nicht der Leitstern bei der Konzeptionierung der EZB gewesen zu sein.

Dass man Staaten pleitegehen lassen sollte, ist unverantwortliches Thinktankgeplapper. Und dass die Deutschen für die italienischen Schulden haften müssen, ist Unfug. Ein Staat kann immer von seiner Zentralbank herausgehauen werden – es sei denn, man kommt wie im Euroraum auf die aberwitzige Idee, dies zu verbieten. Man kann dankbar sein, dass die EZB trickreich diesen Aberwitz nicht Realität werden lässt.

Wenn man die EZB ließe, könnte sie den Staaten also immer genug Geld zur Verfügung stellen. Trotzdem oder gerade deswegen braucht man Regeln. Denn wenn alle EURO-Staaten sich beliebige Geldmengen von der EZB geben lassen könnten, haben wir ein Verteilungsproblem – nicht des Geldes, sondern der Ressourcen und der Produkte. Den Italienern (italienische Hersteller ausgenommen) zum Beispiel wird es kaum gefallen, wenn der deutsche Staat seinen Bürgern beliebige Geldmengen in die Hand drückt, damit sie die italienischen Geschäfte leer kaufen.

Über neue EURO-Regeln müssen wir nachdenken. Finden wir sie nicht, ist entweder der EURO oder die Idee von „Europa“ Geschichte. In unserem folgenden Nachdenkstück gehen wir auf die Löhne in Europa ein. Das ist auch eine Frage, die man diskutieren muss, wenn man „Europa“ will. Es gäbe derer viele mehr.