Spotlight

No Way Out?

| 07. Oktober 2021
istock.com/oatjo

Liebe +Leserinnen und +Leser,

mit ein wenig gesundem Pessimismus und einer Brise täglicher Gegenwartsdiagnostik könnte man schon auf die Idee kommen, dass wenig besser wird. Dass wir den einschneidenden Fesseln der Institutionen, marktkonformer Gesetze, Sachzwänge und Investitionsbremsen unterliegen. Schließlich ist Optimismus nichts weiter als ein Mangel an Information. Oder wissen Sie genau, was es mit dem Sixpack, Fiscal Compact oder Two Pack auf sich hat?

Die Welt ist komplex und voller Interessensgegensätze, und das Wesen Mensch zeichnet sich durch Dummheit, oder eleganter ausgedrückt, durch eklatante Wissenslücken und Komplexitätsreduktion aus. Wir irren solange wir streben. Und schon aus Gründen der seelischen Selbsterhaltung müssen wir hoffen, obwohl es doch keinen Grund zur Hoffnung gibt.

Geht wirklich nicht(s) mehr? Gibt es keinen Weg in eine bessere Welt? Hatte Helmut Schmidt recht – wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen? No Way Out? Bleiben wir gefangen in der extremen Mitte, der Austerität, der europäischen Sackgasse, dem Business as usual politischer Machtarithmetik, dem opportunistischen Kalkül, den Gesetzen des göttlichen Marktes, dem Problem der Unregierbarkeit, den schonungslosen Realitäten, dem unaufhaltsamen Klimawandel, der zunehmenden Krisen, der Unzulänglichkeit des Homo sapiens?

Sind wir nicht Getriebene auf einem Meer der zahllosen Zufälle? Und bricht auch das liberale Credo, wir wären unseres Glückes Schmied, nicht tagtäglich aufs Neue wie ein Kartenhaus in sich zusammen? Wer also ist der Souverän unseres Schicksals? Hatte Hayek recht und wir sind hoffnungslose Ideologen, wenn wir glauben, wir könnten die Welt selbst gestalten?  

Was ist zum Beispiel nach der Finanzkrise geschehen? Treibt nicht die voranschreitende Evolution des Marktes, namentlich die Finanzialisierung, die Politik vor sich her? „Das heutige globale Finanzsystem und der heutige Kapitalismus (…) können ohne die permanenten (..) Interventionen der Notenbanken nicht mehr funktionieren. Stellten diese ihre Maßnahmen ein, würde das Bankensystem, das globale Finanzsystem und Wirtschaftssysteme weltweit kollabieren“, schreibt Joscha Wullweber

Ist diese Behauptung richtig, dann sind es Entwicklungen des Finanzsystems, die die Zentralbanken rund um die Welt zwingen, ihre unkonventionelle Geldpolitik fortzusetzen. Würden sie sie beenden, käme es zum Systemkollaps: No Way Out. Punkt.

Doch halt! Haben wir nicht schon immer Antworten auf Herausforderungen gefunden? Haben wir nicht irgendwann doch, nach vielen Fehlern dazu gelernt, Krisen bewältigt, Systeme reformiert und stabilisiert, Konflikte eingedämmt, Gesellschaften befriedet, Kriege eingehegt, Menschen aus der Armut befreit? Sind auch die Euro-, Corona- und Klimakrise nur weitere Herausforderungen auf dem steinigen Weg des Zivilisationsprozesses?

Das heutige Spotlight wird sich dieses Mal auf die Seite der kritischen Optimisten schlagen und sich auf die Suche nach dem Way Out begeben. Sie werden Texte finden, in denen das Glas nicht halbleer, sondern halbvoll ist. Die nach konstruktiven Lösungsvorschlägen suchen. Das will etwas heißen in einem Magazin, in dem nicht selten pessimistische Gegenwartsbeschreibungen im obigen Sinne zu finden sind.

Paul Steinhart etwa widerspricht Wullweber und argumentiert, dass der Pessimismus einer alternativlosen Geldpolitik nicht gerechtfertigt sei. Es gäbe Alternativen zu der paradoxen Zentralbankpolitik, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen.   

Roland Pauli sieht durch die Coronahilfen ein neues Feld der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung eröffnet. Was derzeit zu sehen sei, spreche nicht für die Position, die EU und vor allem die Währungsunion seien ausschließlich neoliberale Projekte. Die Vertreter des Marktradikalismus hätten gegenwärtig keine Konjunktur. In der EU seien auch andere Politikvarianten möglich als nur die neoliberale. Und selbst eine vollständige Rückkehr zu den vorherigen Restriktionen aus dem Fiskalpakt sei keineswegs so ausgemacht, wie viele Europakritiker denken. Dass große Euroländer wie Italien, Spanien und auch Frankreich nach den Corona-Programmen ein Revival der erdrosselnden Spar- und Schuldentilgungsvorschriften aus Brüssel hinnehmen werden, hält Pauli für sehr unwahrscheinlich.

An Handlungsmöglichkeiten glaubt auch Maximilian Runge und beruft sich dabei auf die Modern Monetary Theory. Das Problem sei nur, dass ganze Generationen nur wenig von diesen Möglichkeiten wüssten. Bestehende Handlungsspielräume würden allein aufgrund tradierter Dogmen nicht genutzt. Statt zu sparen, könne für Generationengerechtigkeit durch staatliche Geldschöpfung einiges getan werden.

Auch die Skizzen von Thomas Fazi für ein modernes Wirtschaftssystem, ein zukunftsfähiges Verkehrssystem von Rainer Fischbach und Stefan Kissinger oder Jörg Bibows Plädoyer für ein Europäisches Schatzamt sind zeitlose Dokumente, die für den Glauben an realistische Gestaltungsspielräume stehen.