Zentralbank Kapitalismus
Lieber +Leserinnen und +Leser,
die Erzeuger- und Verbraucherpreise sind auch im August weiter gestiegen – und in Deutschland grassiert die Inflationsangst. Besonderen Nachdruck verleiht man diesen Ängsten, wenn man einen renommierten Experten zu Wort kommen lässt, der sie bestätigt. In der „Wirtschaftswoche“ ist das Nouriel Roubini, der vor einem „anhaltenden inflationären und schließlich stagflationären Prozess“ warnt: Die gegenwärtig extrem lockere Geld- und Fiskalpolitik könne in Kombination mit negativen Angebotsschocks zu einer Stagflation wie in den 1970er Jahren führen, sprich zu einer mit hoher Inflation einhergehenden Rezession.
Verschärft werde die Situation noch dadurch, dass die Zentralbanken ihre Unabhängigkeit verloren hätten. Zur Verhinderung einer Schuldenkrise hätten sie die massiven Haushaltsdefizite monetarisieren müssen und befänden sich bei stark gestiegenen öffentlichen und privaten Schulden in einer Schuldenfalle: Wenn die Inflation in den kommenden Jahren ansteige, stünden die Zentralbanken damit vor einem Dilemma: Stellten sie schrittweise ihre unkonventionellen Maßnahmen ein und erhöhten die Leitzinsen, um der Inflation entgegenzuwirken, riskierten sie eine schwere Schuldenkrise und eine tiefgreifende Rezession auszulösen. Führten sie dagegen ihre lockere Geldpolitik fort, seien eine zweistellige Inflation und – bei den nächsten negativen Angebotsschocks – eine massive Stagflation die möglichen Folgen.
Für unsere Autoren eine Phantomdebatte, die die entscheidenden Fragen unberührt lässt. Mit welcher Rechtfertigung etwa kann eine Zentralbank in einer Demokratie unabhängig sein? Zentralbanken gestalten mit ihrer Geldpolitik fundamental die Gesellschaften mit. Da sie grundlegendste Aspekte wie die Arbeitslosigkeit, das Wachstum und die Umverteilung beeinflussen, muss ein politischer Diskurs darüber erfolgen, welche Art von Geldpolitik mit den vorherrschenden Präferenzen, Vorstellungen und Werten vereinbar ist, schreibt Patrick Kaczmarczyk.
Roubini warte mit einem Sammelsurium auf, das keinerlei Erkenntnisgewinn bringe, findet Günther Grunert. Und warum angesichts steil gestiegener öffentlicher und privater Schulden eine nachfrageinduzierte Inflation drohen soll, erschließe sich nicht.
Das Problem ist nicht die Inflation, sondern die derzeitige Dynamik im Finanzsystem, argumentiert auch Joscha Wullweber. Um die höchst unkonventionellen Instrumente der Zentralbanken zu verstehen, muss eine völlig neue Staat-Markt-Konstellation in den Blick genommen werden. Im Zentrum eines sich stark veränderten globalen Finanzsystems befindet sich heute ein Schattenbankensystem, in welchem die Kreditvergabe außerhalb des regulären Bankensystems weitgehend unreguliert stattfindet und inhärent instabil ist. Sobald Krisendynamiken in Gang gesetzt werden, ist es selbstständig nicht in der Lage, sich wieder zu stabilisieren.
Und die klassische Notenbankpolitik greift im Schattenbankensystem nicht. Zentralbanken müssen nun im Schattenbankensystem selbst aktiv werden, um die Stabilität des gesamten Finanzsystems zu gewährleisten. Mehr noch, Zinssätze im regulären Bankensystem werden nicht mehr über die klassische Leitzinspolitik gesteuert, sondern über das Schattenbankensystem. Die klassische Leitzinspolitik hingegen ist für unbestimmte Zeit ausgesetzt, so Wullweber.
Mit anderen Worten: FED und EZB würden zwar gerne ihre Anleiheaufkaufprogramme zurückfahren, können es aber nicht. Im neuen Staat-Markt-Nexus, der seit der globalen Finanzkrise existiert, dient das Quantitative Easing-Programm (QE) schlicht der Stabilisierung des Gesamtsystems. Sein Ende würde direkt zu einer Krise im Finanzsystem führen und damit auch die produktive Wirtschaft schwächen. Willkommen im Zentralbankkapitalismus!
Aus ähnlichen Gründen spricht Paul Steinhardt vom „Mythos Geldpolitik“, dem auch Keynesianer anheimfallen, die glauben, dass das Zinsniveau auf geldpolitische Entscheidungen von Zentralbanken zurückzuführen sei und letztere demnach mit dem Zins die Wirtschaftsentwicklung steuern könnten.
Hier kommt ein Dissens zwischen „Standard-Keynesianern“ und Post-Keynesianern zum Ausdruck, den MAKROSKOP immer wieder begleitet: Während für Standard-Keynesianer die Geldpolitik – zumindest in „normalen“ Zeiten – Vorrang genießt und der Fiskalpolitik nur eine beschränkte Wirksamkeit zuerkannt wird, sehen Post-Keynesianer in der Tradition Abba Lerners die Fiskalpolitik als the only game in town. Doch genau der sind durch Verträge wie dem sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt die Hände gebunden.
Hier beißt sich die Katze in den Schwanz bzw. schließt sich der Kreis zu Wullweber: Solange keine stärkere Regulierung des Schattenbankensystems stattfindet, sich das Vermögen der obersten 1 Prozent weiter rasant vermehrt und die Regierungen keine groß dimensionierte Fiskalpolitik durchführen, um die produktive Wirtschaft aufzupäppeln, bleibt den Zentralbanken gar nichts anderes übrig, als ein demokratisch nicht legitimiertes QE-Programm weiterzuführen, dass die Vermögenspreisinflation und damit die Ungleichheit weiter vorantreibt.