Verlor Deutschland nach der deutschen Wiedervereinigung an internationaler Wettbewerbsfähigkeit?
Der Einbruch der deutschen Leistungsbilanz nach der deutschen Wiedervereinigung und das ein Jahrzehnt lang anhaltende Defizit, das diese Bilanz anschließend aufwies (vgl. Abbildung 1), hat die Vorstellung begründet, Deutschland habe im Zuge der Wiedervereinigung an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Denn ein Land, das sich im Ausland netto verschuldet, verkauft dorthin offenbar weniger Güter, als es von dort bezieht, ist also an den internationalen Märkten nicht so erfolgreich wie andere. Das muss an der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit liegen, jedenfalls dann, wenn der Saldo längere Zeit im negativen Bereich verharrt. Sollte man meinen. Aber stimmt das im Fall Deutschlands wirklich? Und warum sollte diese historische Betrachtung einen Beitrag auf flassbeck-economics wert sein, wo sich doch alles mittlerweile in Wohlgefallen aufgelöst und das Defizit in einen satten Überschuss verwandelt hat?
Nun, die Betrachtung der historischen Fakten lohnt sich allemal, wenn aus ihnen Schlussfolgerungen gezogen oder gar wirtschaftspolitische Empfehlungen entwickelt werden. Und dass das im Fall des deutschen Leistungsbilanzdefizits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre getan worden ist und heute in der Rückschau immer noch getan wird, steht außer Frage. Die Vorstellung vom Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit lieferte nämlich in Verbindung mit den hohen Arbeitslosenzahlen die Begründung für die deutsche Lohnmoderation und die Agenda 2010. Die Mehrzahl der deutschen Ökonomen, sehr pointiert der Sachverständigenrat, die Deutsche Bundesbank, die Europäische Zentralbank (EZB) bis hin zur EU-Kommission (von den deutschen Regierungen unter Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel ganz zu schweigen) haben alle betont und tun das bis heute, dass Deutschland keine andere Wahl hatte, sich über Lohnmoderation und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes aus der hohen Arbeitslosigkeit sozusagen herauszuarbeiten.
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