USA

Tech-Bros gegen MAGAs

| 07. Januar 2025
IMAGO / ZUMA Press Wire

Donald Trumps neue techno-libertäre Koalition von Milliardären nimmt seine traditionelle Basis ins Visier. Streitpunkt ist die Fachkräfteeinwanderung.

Ausgerechnet in der Einwanderungspolitik brach zwischen den Jahren im Trump-Lager ein heftiger Kampf zwischen den „Tech-Bros“ und den MAGA-Leuten aus. Es geht um die H-1B-Arbeitsvisa für qualifizierte Arbeitskräfte, also die Anwerbung von Arbeitnehmern zur Besetzung von Stellen, für die amerikanische Bewerber fehlen.

Den Anstoß zur Debatte gab die Dezember-Entscheidung Trumps, einen indisch-stämmigen Unternehmer zu seinem KI-Beauftragten zu ernennen. Darauf reagierte Laura Loomer, eine bekannte MAGA-Aktivistin mit über 1 Mio X-Followern, mit kritischen Tweets, in denen sie u.a. indische Immigranten als „Invasoren aus der Dritten Welt“ bezeichnete. Elon Musk konterte, die Vorstellung von einem zu verteilenden Kuchen feststehender Größe, um den sich Immigranten und Amerikaner stritten, sei ein ökonomischer Fehlschluss, in Wirklichkeit sei das Job-Potential unbegrenzt. MAGA-Anhänger, die gegen Einwanderung und die Tech-Community wetterten, seien „verachtenswerte Idioten“. Solche „Rassisten“ bedeuteten den Untergang der Republikanischen Partei, wenn sie nicht ausgeschlossen würden.

Vivek Ramaswamy, der zusammen mit Musk die neue Abteilung für Regierungseffizienz (Department of Government Efficiency – DOGE) leiten soll, twitterte: „Eine Kultur, die die Prom Queen über den Mathe-Olympiasieger oder den Sportler über denjenigen stellt, der die Abschiedsrede hält, wird nicht die besten Ingenieure hervorbringen.“ Er forderte einen ‚Sputnik-Moment‘ im Stil der 1950er Jahre: „anstatt uns in der Opferrolle zu suhlen und alternative Einstellungspraktiken herbeizuwünschen (oder zu verordnen),“ müssten die Amerikaner wieder „Nerdigkeit“ über Konformität stellen.

Die Antworten der MAGAS auf diese Äußerungen (die sich nicht viel von Hillary Clintons abfälligen Bemerkungen zu den "deplorables" unterschieden) erfolgten prompt: „Die Woodstock-Generation schaffte es, die Luft- und Raumfahrt zu entwickeln, die Generation davor flog zum Mond, Amerika ging es gut,“ antwortete der rechtsgerichtete Mike Cernovich. Michael Seifert, der CEO des Online-Marktplatzes Public Square, zu dessen Vorstand auch Donald Trump Jr. gehört, erklärte am Freitag in den sozialen Medien, das H-1B-Programm zerstöre „das Leben amerikanischer Arbeitnehmer.“ Steve Bannon beklagte die mangelnde Unterstützung für die schwarze und hispanische Gemeinschaft durch Big Tech und beschuldigte Musk und Ramaswamy, „amerikanische Arbeiter, Familien und Kultur“ anzugreifen.

Es blieb aber nicht bei einem eher emotionalen Schlagabtausch. In Windeseile brachte die Diskussion in den sozialen Medien Fakten zutage, die die harte Kritik an der Vergabepraxis für die H-1B-Visa stützen, wenn nicht sogar die an dem Programm selbst.

So sieht das Gesetz zum Beispiel eine Obergrenze für die Vergabe der Visa vor. Sowohl die Prüfung, ob tatsächlich keine einheimischen Bewerber zur Verfügung stehen, als auch die Einhaltung der Obergrenze werden jedoch äußerst lasch gehandhabt. Das Programm ist so beliebt bei den großen Arbeitgebern, dass in den letzten Jahren regelmäßig ungefähr zehnmal so viele H-1B-Visa vergeben wurden als gesetzlich vorgesehen (mehr als 800.000 gegenüber dem Limit von 85.000), wie Robert Sterling nachwies. Nach einer ersten Analyse der vergebenen Jobs, der Arbeitgeber und der gezahlten Löhne kommt er zum Schluss:

„Nur ein flüchtiger Blick auf die Daten zeigt, dass es sich nicht um ein Programm für die besten 0,1 Prozent der Talente handelt, wie behauptet wurde. Es ist einfach eine Möglichkeit, Hunderttausende von IT- und Finanzdienstleistungsfachleuten mit relativ niedrigen Löhnen einzustellen.“

Bei vielen dieser Jobs sieht Sterling keinen Grund, warum sie nicht auch durch einheimische Bewerber hätten besetzt werden können.

Auch auf eine Studie des Economic Policy Institut aus dem Jahr 2021, die eine gründliche Reform des Verfahrens anmahnt, wurde nun wieder hingewiesen: Demnach wurden offenbar tausende von qualifizierten Migranten mit H-1B-Visa, die als Leiharbeiter bei bekannten Unternehmen wie Disney, FedEx, Google und anderen arbeiteten, um mindestens 95 Millionen Dollar unterbezahlt. Die fraglichen Arbeitnehmer waren bei HCL Technologies beschäftigt, einem in Indien ansässigen IT-Personalvermittlungsunternehmen, das im Jahr 2020 einen Umsatz von 11 Milliarden Dollar erzielte. HCL profitierte von der Vermittlung von Arbeitnehmern mit befristeten H-1B-Arbeitsvisa an viele Spitzenunternehmen.

Das H-1B-Gesetz schreibt zwar vor, dass Arbeitgeber ihren H-1B-Beschäftigten nicht weniger Lohn zahlen als ihren vergleichbar beschäftigten US-Arbeitnehmern. Im Rahmen einer Whistleblower-Klage gegen das Unternehmen habe sich jedoch gezeigt, dass die groß angelegte illegale Unterbezahlung von H-1B-Arbeitnehmern ein wesentlicher Bestandteil der Wettbewerbsstrategie des Unternehmens war. Solche Missbräuche unter H-1B-Arbeitgebern sind mutmaßlich weit verbreitet. Denn das Arbeitsministerium (DOL) unterstütze das missbräuchliche Outsourcing-Geschäftsmodell, indem es die Einstellung von Leiharbeitern anders behandele als die Einstellung von Direktarbeitern, heißt es in der Studie. Dieses Schlupfloch ermögliche es Firmen wie HCL und den großen Technologieunternehmen, die gesetzlichen Bestimmungen zu umgehen. So subventioniere das DOL faktisch die Verlagerung hochbezahlter US-Arbeitsplätze in der Informationstechnologie, die einst, auch für schwarze Arbeitnehmer, als Weg in die Mittelklasse dienten.

An die Parole „Programmieren Lernen!“ als die Lösung für diejenigen, deren Arbeitsplätze in andere Länder outgesourct wurden, erinnerte auch der Journalist Thomas Neuburger. Es gäbe starke statistische Hinweise darauf, dass in den letzten Jahren ausgerechnet vor allem im Software-Bereich amerikanische Arbeitnehmer im großen Stil entlassen wurden, um für die günstigeren H-1B Fachkräfte aus dem Ausland Platz zu machen. Er kommt nach seiner Datenanalyse deswegen zu einem noch schärferen Schluss als Robert Sterling:

„Es ist ganz einfach. High-Tech-Firmen (…) holen ausländische H-1B-Arbeitskräfte ins Land, um 1) Abhängige Arbeitskräfte zu schaffen – Menschen, die nur in den USA leben können, wenn sie in der Gunst ihres Arbeitgebers stehen –, und 2) Amerikaner davon abzuhalten, zu viel zu verdienen. (...) Nimm das, gut bezahlter amerikanischer Arbeiter. Na klar: ‚Programmieren Lernen!‘. Wir leben unter Raubtieren (...)“

Donald Trump stellte sich vorerst auf die Seite der Tech-Bros: Er beschäftige selbst viele H-1B-Visa-Inhaber und habe immer an H-1B geglaubt. Es sei ein großartiges Programm. Pikanterweise hatte er 2016 versprochen, das Programm zu beenden, und war deswegen als Ausländerfeind und Rassist unter starken Beschuss der Demokraten geraten und auch in Europa stark kritisiert worden. Damals verkündete er, über H-1B-Visa würden „befristete ausländische Arbeitskräfte (…) aus dem Ausland importiert (…) mit dem ausdrücklichen Ziel, amerikanische Arbeitnehmer zu niedrigeren Löhnen zu ersetzen.“ Obwohl während seiner ersten Amtszeit die Regeln für zulässige Arbeitsplätze und Löhne verschärft wurden, blieb das Programm dennoch weitgehend intakt.

Der damalige Streit veranlasste jedoch im Jahr darauf den Mathematiker und Ökonomen Eric Weinstein, eine von ihm Ende der 1990er Jahre erstellte Studie beim Institute for New Economic Thinking zu re-publizieren. Damals vermutete er, dass es eine Untersuchung geben müsse, die den Anstoß zu dem 1990 verabschiedeten Einwanderungsgesetz gegeben habe. Weinstein ist nach eigenen Angaben fündig geworden. Es habe sich herausgestellt, dass qualifizierte Ökonomen wider besseres Wissen damals nur von einem aus demografischen Gründen zu befürchtenden Fachkräftemangel sprachen, obwohl sie die mögliche Wirkung auf das Lohnniveau genau kannten.

Demnach überzeugten die amerikanische Industrie und Big Science Washington, eine Reihe von Maßnahmen mit dem Ziel zu ergreifen, amerikanische Arbeitgeber davor zu bewahren, den vollen US-Marktpreis für hochqualifizierte Arbeitskräfte zahlen zu müssen. Sie hofften darauf, das US-Forschungssystem mit arbeitgeberfreundlichen Visen zu überschwemmen. Gleichzeitig baute man Brücken nach Asien und insbesondere China, um hochrangige Wissenschaftler, Technologen und Pädagogen von den technologischen, beschäftigungspolitischen und geschäftlichen Möglichkeiten der asiatischen (und insbesondere chinesischen) Expansion profitieren zu lassen. Dies wiederum, so das Kalkül, würde den US-Forschungseinrichtungen Zugang zu Produkten der asiatischen Bildungssysteme verschaffen, in denen Drill, Auswendiglernen, Gehorsam und prüfungsorientierter Wettbewerb im Vordergrund stehen. Gleichzeitig würden sie von den US-Modellen entlastet werden, die vergleichsweise mehr Kreativität, Hinterfragen, Unabhängigkeit und Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten betonen.

Am 30. Dezember sah sich Musk dazu veranlasst, die Debatte zu entschärfen, indem er auf Robert Sterling antwortete:

„Dies lässt sich leicht beheben, indem man das Mindestgehalt deutlich erhöht und jährliche Kosten für die Aufrechterhaltung des H-1B-Visums hinzufügt, wodurch die Einstellung von Mitarbeitern aus dem Ausland wesentlich teurer wird als die aus dem Inland. Ich habe ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass das Programm nicht funktioniert und einer umfassenden Reform bedarf.“

Vermutlich ist die Diskussion damit nicht beendet. Zu groß sind die Interessengegensätze innerhalb des ungewöhnlichen Bündnisses zwischen High Tech und MAGA. Wird sich Trump in der Einwanderungsdebatte tatsächlich mit den Arbeitgebern anlegen? Schließlich könnte er sich auch immense logistische Probleme und hohen Kosten sparen, wenn er anstelle der geplanten Rückführung Millionen illegaler Einwanderer drastisch deren Möglichkeiten einschränken würde, einen Arbeitsplatz zu finden oder einen in den USA gültigen Führerschein zu erwerben.

Der nach eigener Bekundung als Demokrat aufgewachsene politische Analyst Lambert Strether, unter anderem bekannt geworden durch seine treffende Kurz-Charakterisierung des Neoliberalismus Because Money. Go die!, kann sich die Anerkennung darüber nicht verkneifen, dass „viele MAGA-Anhänger tatsächlich sehr gut über Politik, Geschichte und Daten Bescheid wussten und ihr Wissen effektiv gegen Musk und seine Tech-Bros einsetzten.“ Es sei gegenwärtig schwer vorstellbar, dass unter den Demokraten in der Öffentlichkeit eine wütende politische Debatte stattfinde, bei der der Führung nur wenig Respekt entgegengebracht werde. Er habe den Eindruck, der Vorwurf der Demokraten, Trumps Anhänger seien autoritätshörig, eine Projektion sei. Und niemals habe er damit gerechnet, dass er sich einmal auf den Republikaner Will Donahue berufen würde, der auf X schrieb:

„When Bernie is more MAGA than the tech bros we’ve got a problem. I realize companies want cheap foreign labor but investing into technical education for Americans is the actual America first policy I’m not sure why this is controversial.“

Aber Donahue hat sicher auch im Leben nicht damit gerechnet, einmal Bernie Sanders zustimmen zu müssen.