Was Währungshierarchien für den globalen Süden bedeuten
Internationale Währungshierarchien führen im globalen Süden zu Abhängigkeit, Wechselkursschwankungen und Krisen. Warum das so ist und wie sich das vielleicht vermeiden ließe.
Mit dem äthiopischen Birr auf Weltmarkt Geschäfte machen? Das wird eher schwierig. Eine kleine, illiquide Währung ist für internationale Händler unsicher und unattraktiv. Mit der eigenen Währung kommen Länder des globalen Südens nicht weit, praktisch braucht es hier Dollar oder zumindest Euro.
Doch nicht nur für den Welthandel sind Devisen relevant für die Länder des Südens. Auch für die Stabilisierung von Wechselkursen sind Währungsimporte wichtig, denn bei flexiblen Wechselkursen und freier Kapitalmobilität sind kleine Währungen schnell von großen Kursschwankungen und akuten Krisen betroffen.
Um Kapitalströme zu stabilisieren und die Länder des globalen Südens attraktiv für Investoren und Spekulanten zu machen, rät der Mainstream unter anderem zu Deregulierung und hohen Zinsangeboten. Zu Stabilität geführt hat das nicht. Doch es gibt Alternativen.
Bancor oder Dollar?
1944, Bretton Woods, USA. Die Welt steht vor einer weitreichenden Reform des Weltwährungssystems. 44 Länder kamen in dem Ort in New Hampshire zusammen, um darüber zu beraten, wie ein stabiles internationales Wirtschaftssystem geschaffen werden könnte. Dafür dominierten auf der Konferenz zwei konkurrierende Vorschläge: einer des britischen Ökonomen John Maynard Keynes, einer des US-Amerikaners Harry Dexter White.
Die Idee von Keynes sah vor, eine neue Verrechnungseinheit – eine Art virtuelle Währung – zu schaffen: den Bancor. Jegliche nationale Währung sollte fest an den Bancor gekoppelt sein, während der Bancor selbst durch Gold gedeckt sein würde. Das sollte Hegemonien vorbeugen und wirtschaftliche Stabilität herstellen.
Um einen potenziellen Run auf den Bancor zu verhindern, wäre das Gold nicht auszahlbar gewesen. Teil des Plans war zudem die Einrichtung einer so genannten Clearingstelle, bei der jedes Land eine gewisse Bancor-Ausgleichsreserve gehabt hätte.
Ein wichtiger Punkt des Konzepts: Um internationale Ungleichheiten und Krisen zu vermeiden, sollte jedes Land eine ausgeglichene Leistungsbilanz aufweisen. Überschüsse wie Defizite wären mit Sanktionen belegt worden. Werkzeuge dafür wären verpflichtende Wechselkursanpassungen, Kapitalverkehrskontrollen, Pfändungen der Bancor- und somit Goldreserven sowie erzwungene internationale Kreditvergabe. Durchsetzen konnte sich dieses System nicht.
Das später unter dem Namen Bretton Woods bekannte Modell von Harry Dexter White setzte auf den US-Dollar als Ankerwährung, an den alle anderen Währungen mit einem festen Wechselkurs gekoppelt wurden. Der Dollar selbst war über die FED formal durch Gold gedeckt und zu jeder Zeit einwechselbar. Um die festen Wechselkurse gegenüber dem Dollar halten zu können, brauchte es nun trotz Kapitalverkehrskontrollen große nationale Dollarreserven für die teilnehmenden Länder.
Auch wenn das Bretton-Woods-System durch feste Wechselkurse zu einer Stabilisierung des internationalen Handels- und Kapitalverkehrs beitrug, rutschte es schließlich in die Krise. Durch teils große Bilanzunterschiede, die starke Wechselkursanpassungen nötig machten, geriet das System unter Druck und die weltweit steigenden Dollarreserven führten zu Zweifel an der Golddeckung. 1973 begruben die Vertragsstaaten das System dann endgültig.
Freier Markt und Währungshierarchie
Einhergehend mit dem Erstarken des Neoliberalismus etablierte sich statt des Bancors in Folge von Bretton Woods jedoch ein anderes Modell: flexible Wechselkurse und freie Kapitalmobilität sowie deregulierte Finanzmärkte – teils erzwungen durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) im Gegenzug für Notkredite für akut bedrohte Länder des globalen Südens. Ab jetzt sollte es der Markt regeln.
Schon Keynes stellte mit seinem Werk The Treatise of Money eine Hierarchie der globalen Währungen fest. Zentral für den Rang in dieser Hierarchie ist dabei die Liquidität der Währung – je sicherer, flexibler und leichter verfügbar, desto besser. Für eine Währung bedeutet das, dass sie weltweit oder in relevanten Märkten als Zahlungsmittel akzeptiert werden und ihr Wert relativ stabil bleiben muss.
Unangefochten an der Spitze der internationalen Verwendung und somit der Liquidität steht bisher der US-Dollar. Mit einigem Abstand folgen darauf der Euro, der japanische Yen sowie das britische Pfund. Währungen der meisten Länder des globalen Südens sind im Welthandel nahezu bedeutungslos. Das ergibt sich unter anderem aus einer Analyse der Ökonomen Bruno de Conti und Daniela Magalhães Prates.
Länder mit einer illiquiden Währung sind für das Kapital somit unattraktiver. Das ist ein Problem, denn dieses anzuziehen ist im aktuellen System aus verschiedenen Gründen relevant: zum einen kann mit Devisen ein Leistungsbilanzdefizit beziehungsweise grundsätzlich in liquider Währung gehandelte Importe finanziert werden. Zum anderen sind sie notwendig, um starke Wechselkursschwankungen stabilisieren zu können. Ausländische Investitionen können zudem ein Wachstumstreiber sein – siehe China.
Um die Illiquidität der südlichen Währung zu kompensieren, so die Mainstream-Theorie, müssten die Länder dem Kapital andere Vorzüge anbieten und etwa ihre Märkte deregulieren oder durch höhere nationale Zinssätze die Renditen für Kapitalinvestments erhöhen. Wenn der Zinssatz in einem (kleinen) Land des globalen Südens also ausreichend höher ist als in den USA oder der Eurozone, kommt das Kapital trotz geringerer Liquidität, so der Ansatz. Doch ist das eine gute Strategie?
Abhängigkeit, Volatilität und Krise
Welchen Einfluss die Währungshierarchien bei flexiblen Wechselkursen und freier Kapitalmobilität konkret auf Länder des globalen Südens haben können, haben Luiz Fernando de Paula und Kolleginnen analysiert. Zu nennen sind hier etwa stark volatile Wechselkurse, wiederkehrende Krisen sowie ein eingeschränkter wirtschaftspolitischer Handlungsspielraum.
Besonders in Boomzeiten, wenn die Risikobereitschaft steigt, fließen große Kapitalströme in die Länder des Südens, um die hohen Renditen abzugreifen. Auf der anderen Seite ist das Kapital als scheues Reh auch schnell wieder weg. Erhöht die FED beispielsweise die Zinsen, verlässt Bambi das Land durch die offenen Tore gerne schnell. Die südliche Zentralbank müsste die Zinsen nun noch höher ziehen, um gegenzusteuern, so zumindest die Meinung der Mainstream-Ökonomen.
Die großen und kurzfristig wechselhaften Kapitalströme haben dabei einen merkbaren Einfluss auf die Wechselkurse der oft schwachen Währungen der Länder des Südens. Anders als bei einer globalen Währung wie dem Dollar, der wie ein großer Tanker von moderatem Wellengang nicht gleich aus der Bahn gerissen wird, reagieren kleine Südwährungen hier deutlich sensibler. Die Folge sind teils stark schwankende Wechselkurse und das Risiko permanenter Krisen.
Für wirtschaftliche Stabilität, Preisstabilität und Wettbewerbsfähigkeit ist das langfristig gesehen Gift. Mit schwankenden Wechselkursen ist es schwer möglich, eine wettbewerbsfähige Exportwirtschaft aufzubauen. Und auch für die inländischen Güterpreise sind schwankende Importpreise nicht förderlich. Umso gefährlicher ist das, wenn ein Land für das alltägliche Leben stark von Importen abhängig ist.
Durch ihre niedrige Position in der Währungshierarchie sind die Südländer bei flexiblen Wechselkursen und freier Kapitalmobilität Spielball der Wirtschaftspolitik der großen nördlichen Volkswirtschaften. Ändert die FED etwa ihre Zinsen, muss die Politik im Süden sich zwangsläufig anpassen. Eine auf eigene Bedürfnisse zugeschnittene Wirtschaftspolitik ist so nur schwer möglich.
Einer keynesianischen Logik folgend, ist es eher ratsam, den nationalen Zins auf einem niedrigeren Niveau zu belassen, um hiesige Investitionen nicht abzuwürgen. Vor allem mit Blick auf die häufig niedrige Diversifizierung der Volkswirtschaften des globalen Südens sind inländische Investitionen umso wichtiger – auch um die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren. Eine Hochzinspolitik aufgrund der volatilen Wechselkurse läuft diesem Ziel entgegen.
Pragmatisch Gegenmaßnahmen
Was nun also können Länder des globalen Südens tun, um die Abhängigkeiten von Währungshierarchien zu reduzieren sowie mehr makroökonomische Stabilität und Autonomie zu erlangen, solange ein Bancor nicht in Reichweite ist? Ein naheliegender Schritt: die Liquidität der nationalen Währung erhöhen – in den meisten Fällen aber wohl unrealistisch. Aus ihrer Analyse haben Luiz Fernando de Paula und Kolleginnen daher verschiedene Maßnahmen extrahiert.
Eines der Hauptziele, so die Autoren, müsse die Erzielung eines stabilen wettbewerbsfähigen Wechselkurses sein. Da sich feste Wechselkursregime in Südländern in der Vergangenheit als spekulationsgefährdet herausgestellt haben – durch große Kapitalbewegungen wurden Kursänderungen herbeigeführt, die die Zentralbank dann erwartungsgemäß wieder ausglich – sei hier eher ein flexibles, aber kontrolliertes Wechselkursregime geraten.
Grundsätzlich würden die Wechselkurse zwar frei floaten, bei zu großen Ausschlägen (vor allem nach oben) würde die heimische Zentralbank jedoch durch Währungsan- und -verkäufe gegensteuern. Da dies hohe Devisenreserven erfordert, kann die Akkumulation dieser als komplementäre Strategie gesehen werden. Dies ist etwa möglich durch die Förderung von Exporten, die Attraktion von ausländischen Investitionen oder Tourismus sowie (zinslose) internationale Transfers.
Darüber hinaus sei langfristig eine Diversifizierung der Wirtschaft sowie eine mindestens ausgeglichene Handelsbilanz für die devisenabhängigen und krisenanfälligen Länder vonnöten. Daten des Internationalen Währungsfonds zeigen, dass viele Länder des globalen Südens unter Leistungsbilanzdefiziten und teilweise hoher Verschuldung in Fremdwährung leiden.
Anstatt sich auf hohe Zinsen zu versteiften, raten die Autoren dem Globalen Süden vor allem zu Kapitalverkehrskontrollen. Zur Preisstabilisierung solle zudem – wenn die Finanzen es dann hergeben – statt der Zinssteuerung eher eine antizyklische Fiskalpolitik verfolgt werden. Aus keynesianischer Sicht ist das nicht nur effektiver, es verhindert hier auch große Kapitalströme und Wechselkursschwankungen.
Ein Beispiel für eine solche Strategie ist Vietnam. Seit den 1980er-Jahren verfolgt das Land eine kontrollierte Öffnung mit moderaten Kapitalverkehrskontrollen und kontrollierter Wechselkurspolitik. Durch gezielte Wirtschaftsdiversifikation, unter anderem über lokale Handelsabkommen und ausländischen Direktinvestitionen, hat Vietnam sich vom Agrarstaat zu einem wichtigen Produktionsstandort entwickelt, seine Handelsbilanz deutlich verbessert, Devisenreserven aufgebaut und wirtschaftliche Stabilität erreicht.