Kommentar

Trumps Amtsantritt: Die zweite Zeitenwende

| 22. Januar 2025
IMAGO / MediaPunch

Trump und Putin denken in den gleichen Kategorien. Sie haben die Macht, sich über die Regeln hinwegzusetzen und sie tun es. Dass die USA das nun selbst gegenüber den eigenen Verbündeten so handhaben, markiert eine zweite Zeitenwende.

Am 27. Februar 2022, drei Tage nach Putins Angriff auf die Ukraine, hat Bundeskanzler Scholz die „Zeitenwende-Rede“ gehalten:

„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. (…) Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts (…). Er zertrümmert die europäische Sicherheitsordnung, wie sie seit der Schlussakte von Helsinki fast ein halbes Jahrhundert Bestand hatte.“

Putin handelt nach der Maxime von Clausewitz: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Anders als Putin hat Trump – zumindest bisher – keine militärischen Mittel eingesetzt, um seine Ansprüche durchzusetzen. Noch setzt er nur Drohung und Erpressung ein. Aber auch damit dreht er die Uhren zurück in die Zeit, als die Großmächte sich nahmen, was sie wollten. Mehr noch: Anders als im 19. Jahrhundert gibt es heute ein Völkerrecht, das das willkürliche Verschieben von Grenzen verbietet. Es interessiert ihn nicht.

Trump und Putin denken in den gleichen Kategorien. Sie haben die Macht, sich über die Regeln hinwegzusetzen und sie tun es. Dass die USA als westliche Führungsmacht das nun selbst gegenüber den eigenen Verbündeten so handhaben, markiert ebenso wie Putins Krieg, trotz aller Unterschiede, ebenfalls eine Zeitenwende. Die vielzitierten „westlichen Werte“ sind Geschichte, sie haben auch propagandistisch ausgedient. Die Rede von Scholz geht dann weiter mit diesem Satz über Putin: „Er stellt sich auch ins Abseits der gesamten internationalen Staatengemeinschaft.“

Das hört man bisher mit Blick auf Trump nicht. Für Orban, Meloni und andere tut Trump das auch nicht, ihnen gehört Grönland nicht. Auch von „Zeitenwende“ im transatlantischen Verhältnis wird nur verhalten gesprochen, obwohl nicht wenige Trumps Vorgehen genau so bewerten. Die Regierungen der Welt, vor allem die Verbündeten der USA, wissen noch nicht, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollen.

Mit Trump ist der völkerrechtsignorante amerikanische Exzeptionalismus aus seiner bisherigen Einhegungen ausgebrochen. Er legitimiert sich nicht mehr mit einer zivilisatorischen Mission, sondern nur noch mit bloßem Machtwillen, und er ist bündniskannibalistisch geworden: die Hegemonialmacht nimmt keine Rücksichten mehr auf die eigenen Verbündeten. Nach dem dritten, völkerrechtswidrigen Golfkrieg und der Bush-Doktrin hatte Jürgen Habermas schon 2003 in einen FAZ-Beitrag festgestellt: „Machen wir uns nichts vor: Die normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern.“ Aber man hat sich damals, bei uns, eurozentristisch, etwas vorgemacht, es traf ja ein Land fern von uns.

In den Medien drehen sich die Diskussionen aktuell vor allem darum, inwieweit man Trump entgegenkommen sollte, zum Beispiel bei den Rüstungsausgaben. Trump fordert 5 Prozent Anteil am BIP, das „könne sich jeder leisten“. Der grüne Kanzlerkandidat Habeck hat 3,5 Prozent angeboten. Warum, weiß niemand, es geht zu wie auf dem Basar. Im Jahr 2023 wären 5 Prozent Anteil Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt 209 Milliarden Euro gewesen, oder 46 Prozent des Bundeshaushalts. 3,5 Prozent wären 146 Milliarden Euro gewesen, oder 32 Prozent des Bundeshaushalts.

Aber vielleicht hat Trump bei seiner Forderung das richtige Stichwort mitgeliefert, vielleicht steckt im Gefühl, was „wir uns leisten können“, die verdrängte eigentliche Frage: Was bedeutet das für die europäischen Wohlfahrtsstaaten und was will man künftig eigentlich mit so viel Ressourcen verteidigen – Wohnungsmangel, Pflegenotstand, kaputte Infrastrukturen und in Deutschland vielleicht noch die Autoindustrie?

Wenn sich der demokratische Diskurs im Austausch von Feldherrenperspektiven erschöpft, ist auch die deliberative Demokratie am Ende. Dann bestimmen wirklich Trump, Putin, Xi, Musk & Co. darüber, wie wir leben wollen, oder besser gesagt, leben werden.

Der Artikel beruht auf einem Beitrag des Autors bei den Scienceblogs.