Proxies
Im Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA sind wir als verdeckte Kriegsteilnehmer „Proxy“. Ein eigener Nutzen daraus ist fraglich, die Risiken immens. Das zeigt schon die Geschichte dieser Kriege.
Stellvertreterkriege nehmen zuweilen unerwartete Wendungen. So einigten sich gegen Ende des Vietnamkrieges die USA und China darauf, dass dem kambodschanischen Prinzen Sihanouk in China Asyl gewährt wurde und Kambodscha an die Roten Khmer fiel. China griff Vietnam bald nach dem US-Rückzug an. Der Krieg, der mit dem japanischen Angriff 1940 begann, dann gegen den französischen Kolonialherren und schließlich gegen die USA und den von ihnen unterstützten Putschisten gefochten wurde, verlängerte sich abermals dadurch, dass die Vietnamesen, nachdem der chinesische Einmarsch zurückgeschlagen wurde, ihrerseits in Kambodscha den Genozid beendeten, der dort innerhalb der Bevölkerung von zuvor acht Millionen zwei Millionen Menschenleben forderte, bis ins Jahr 1979 auf eine Dauer von vier Dekaden. Dieser vietnamesische Angriff allerdings wurde von der deutschen Bundesregierung im Einklang mit den USA verurteilt.
Der irakische Diktator Saddam Hussein führte ab 1980 einen Stellvertreterkrieg für die USA gegen den Iran. Die USA unterstützten ihn dabei mit Seestreitkräften, versenkten nicht nur iranische Schiffe sondern schossen auch ein iranisches Passagierflugzeug mit 290 Insassen ab, die meisten Mekka-Pilger, darunter 66 Kinder. Das theokratische Regime des Iran ließ Horden von Kindersoldaten über irakische Minenfelder treiben, um diese so für nachrückende Truppen erwachsener Soldaten zu räumen, die das irakische Militär wiederum mittels Giftgas tötete. Nach dem Friedensschluss 1988 fragte Saddam Hussein artig bei der US-amerikanischen Botschafterin an, ob er sich als Belohnung für vorangegangene Mühen Kuweit greifen dürfe, wogegen sie keine Einwände vorbrachte.
Den ersten Irakkrieg führten die USA und das Vereinigte Königreich noch mit dem Plazet des UN-Sicherheitsrates, zu einem Zeitpunkt allerdings, als der Irak alle UN-Auflagen erfüllt hatte und seine Truppen auf dem Rückzug aus Kuweit waren. Deutschland beteiligte sich nicht mit Soldaten sondern mit seinem Scheckbuch an diesem Krieg, den es Großteils bezahlte.
Mit dem zweiten Irakkrieg verstießen die USA und eine „Koalition der Willigen“ gegen die Vetos Deutschlands, das gerade als nicht ständiges UN-Ratsmitglied hospitierte, Frankreichs, Russlands und Chinas. In deutscher höchstrichterlicher Rechtsauffassung ist der zweite Irakkrieg ein Massenmord. Diese Auffassung ist wenig bekannt, doch ließ sich der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld freies Geleit durch die Bundesregierung zusichern, als er nach Ablauf seiner diplomatischen Immunität Gast der Münchner Sicherheitskonferenz war.[1]
Kosovo – Die Blaupause der kommenden Kriege
Die Blaupause sowohl für den Irakkrieg, den Syrienkrieg wie nun auch für den Ukrainekrieg lieferte der Kosovokrieg. Ältere erinnern sich noch gut, mit welcher Verve es Joschka Fischer gelang, sein Publikum davon zu überzeugen, dass Serbien zum dritten Mal im zwanzigstem Jahrhundert von Deutschland anzugreifen sei, nunmehr nach 1914 und 1941 im Jahre 1999. Heute beschreibt die Grünenpolitikerin Antje Vollmer, wie bedrückt Gerhard Schröder und Joschka Fischer, SPD-Bundeskanzler und grüner Außenminister, aus Washington zurückkehrten, wo ihnen US-Präsident Bill Clinton den ersten Krieg nach 1945 oktroyierte, der ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates erfolgte. Selbst der Koreakrieg war vom Sicherheitsrat abgesegnet, wenngleich kolportiert wurde, dass, um den russischen UN-Botschafter von der Abstimmung fernzuhalten, zunächst einmal ein künstlicher Verkehrsstau inszeniert und der Herr, als er schließlich zu Fuß gehen wollte, schlicht festgehalten wurde.
Die bekannte Clinton-Doktrin lautet „Wenn möglich mit den UN, wenn notwendig ohne sie“. Was notwendig ist bestimmt der US-Präsident. Schon mit dem Kosovokrieg und nachhaltig mit dem zweitem Irakkrieg endete die Nachkriegsordnung, die in den Nürnberger Nazi-Kriegsverbrecherprozessen 1945/46 festgelegt wurde. Angriffskriege gelten dem Westen nunmehr als legitimes politisches Mittel.
Demaskiert wurde die erste kriegsführende Regierung nach 1945 bereits vom Brigadegeneral Heinz Loquai, seinerzeit ein OSZE-Beobachter im Kosovo, mit dem Buch „Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg“. Gefälschte Kriegsgründe fanden sich später auch für den Irakkrieg, die wiederum von dem Offizier der US-Marines Scott Ritter, der einer der UN-Waffeninspekteure im Irak war, noch vor Kriegsbeginn aufgedeckt wurden: „Krieg gegen den Irak – was die Bush-Regierung verschweigt“. Der Kosovokrieg wurde als humanitäre Nothilfe bezeichnet. Die deutsche Öffentlichkeit stand noch unter dem Eindruck des Massakers von Srebrenica, wo vier Jahre zuvor 8.000 muslimische Jungen und Männer von der „Miliz Republika Srpska“ ermordet wurden.
Um den aktuellen Ukraine-Krieg zu verhindern, flog Olaf Scholz am 15. Februar 2022 nach Moskau und sagte in einem mehrstündigem Gespräch am langem Tisch dem russischem Präsidenten zu, dafür zu sorgen, dass das Minsker Abkommen umgesetzt werde. Garantiemächte für Minsk sind neben Russland auch Frankreich und Deutschland, deren Präsident beziehungsweise Kanzler mittlerweile dafür kritisiert werden, überhaupt noch mit Putin zu telefonieren. Ideengeber war Frank-Walter Steinmeier, letzterer mittlerweile der Gott-sei-bei-uns in ukrainischer Politikwahrnehmung.
Zwei Tage später flog Annalena Baerbock nach Kiew, und stand anschließend neben ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba, den sie mittlerweile als ihren Freund bezeichnet, vor der Presse. Kubela erklärte, dass er niemals mit Separatistenführern reden werde, also nie und nimmer das tun werde, was Scholz Putin eben noch versprach. Die Außenministerin widersprach dem nicht. Naiv ist gewiss ebenfalls die Annahme, dass der Krieg andernfalls nicht stattfände.
Die „Oligarchische Revolution“
Ein Blick zurück: Ein junger Volkswirt der Weltbank beriet die Comecon-Staaten auf den Weg in den Kapitalismus. Seine damaligen Rezepte wurden später von Naomi Klein als „Schocktherapie“ betitelt, aber mittlerweile sieht Jeffrey Sachs seine Arbeit in der Rückschau kritisch. Heute ist er Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network und des Earth Institute der Columbia University in New York.
In Russland herrschte unter Präsident Boris Jelzin blanke Not. Gehälter und Renten wurden über Monate hinweg nicht gezahlt, Rentner, die sich kein Feuerholz leisten konnten, erfroren. Viele hungerten. Schattenwirtschaft, Kriminalität und Prostitution unter Straßenkindern grassierten. Jelzin ließ 1993 das erste frei gewählte russische Parlament von Panzern beschießen, 187 Tote nach offizieller Lesart. Mit diesem Gewaltakt war der Grundstein für die Jelzin´sche Kleptokratie gelegt, die Übernahme Russlands Wirtschaft durch Oligarchen, die oft der russischen „Mafiya“ nahestanden, und für ein autokratisches Regime, das der folgende Präsident Wladimir Putin nach kurzer Interimspräsidentschaft von Dmitri Medwedew bis heute fortführt.
Sachs akquirierte zu jener Zeit im Auftrag der Weltbank Kredite für Ex-Comecon-Staaten und war entsetzt, als es ihm nicht gelang für Russland auch nur einen Cent aufzutreiben. Alle anderen Länder durften sich auf Kreditbasis erfolgreich sanieren, Russland schlitterte in die Rubelkrise mit einer Inflationsrate von 2.500 Prozent.
Im September 2001 erntete Putin stehende Ovationen im Bundestag. Liest Mensch die Rede heute, stockt der Atem. Putin wirbt genau zwei Wochen nach Nine Eleven, den Terroranschlägen auf das World Trade Center, auf gepflegtem Deutsch für den Krieg in der autonomen Republik Tschetschenien der Russischen Föderation und spricht von Moskauer Mietshäusern, die analog zum World Trade Center von Tschetschenen angegriffen worden seien. Kurz darauf floh der Agent seines Geheimdienstes FSB Alexander Litwinenko nach London und behauptete, diese Wohnhäuser seien vom FSB gesprengt worden, um einen Kriegsgrund zu inszenieren. Litwinenko wurde ermordet, indem ihm radioaktives Polonium verabreicht wurde, das aus einem russischem Kernkraftwerk stammte. Angela Merkel, die damals noch auf der Oppositionsbank saß, beurteilte ad hoc und ohne dieses Vorwissen Putins Rede kühl als typische Rede eines russischen Geheimdienstlers.
Putins Widersacher in der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, ursprünglich Schauspieler und Fernsehproduzent, stellte zunächst satirisch einen Präsidenten dar, bevor er sich selbst zur Wahl stellte und gewählt wurde. Sein TV-Business ist im Vereinigtem Königreich registriert und laut Forbes ist er vielfacher Dollarmillionär.
Selenskyjs Mentor Ihor Kolomoisky, dem Besitzer des populärsten Fernsehsenders 1+1, gehörte außerdem die größte Bank der Ukraine, die er laut Vorwürfen der Vorgängerregierung mittels Asset Stripping über Strohmänner um fünf Milliarden Dollar erleichtert haben soll. Die Bank wurde mit Steuergeldern gerettet und verstaatlicht. Kolomoisky, gegen den die Schweiz, die USA und die Ukraine ermitteln, ist heute vor Auslieferung sicher außer Landes. Just, als im Herbst 2021 von Selenskyj ein Gesetz zur Bekämpfung der Oligarchen vorgeschlagen wurde, enthüllte das Leak der „Pandora Papers“, dass Selenskyj selber Offshore-Firmen unterhält, die auf Umwegen von Kolomoisky finanziert waren.
Die postsowjetische Ukraine entwickelte sich schlechter als andere Transformationsländer, was wohl in ihren korrupten Strukturen begründet ist. Bereits die Heldin der „Orangenen Revolution“ 2004, Julija Tymoschenko, die als blonde Schönheit mit traditioneller slawischer Zopffrisur zum Medienstar aufstieg, wurde zuvor als Chefin des Energiekonzerns EESU zur Dollarmillionärin – dank dubioser Gaslieferverträge mit der russischen Gazprom und der Protektion durch Pawlo Lasarenko, einem Ministerpräsidenten unter der langjährigen Präsidentschaft Leonid Kutschmas. Lasarenko musste in die USA flüchten, wo er wegen Korruption und Erpressung zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Julija Tymoschenko hatte schließlich zwei Amtszeiten als Ministerpräsidentin unter der Präsidentschaft von Wiktor Jutschenko, der von einem politischem Attentat mit Dioxin durch Chlorakne gezeichnet ist.
Viktor Janukowytsch wurde 2010 zum Präsidenten gewählt, bei seiner zweiten Kandidatur, dieses Mal auch gegen die neue Kandidatin Tymotschenko und nicht nur gegen den Präsidenten Jutschenko. Julia Tymotschenko ermöglichte – das nationalistische Lager mit ihrer Kandidatur spaltend – die Wahl Janukowytsch´. Janukowytsch bat bei einer EU-Tagung im Baltikum um weitere Kredithilfen und erntete Hohn und Spott der deutschen Presse, die hämisch fragte, ob die Ukraine sich gar dafür bezahlen lassen wolle, dass sie in die EU dürfe. Ursächlich waren Schulden bei Russland aufgrund ausstehender Gasrechnungen.
Ein Angebot Russlands, das ukrainische Pipeline-Netz zu übernehmen, war ausgeschlagen worden. Es folgte das russische Angebot einer Stundung und zusätzlicher Kredite bei einem Eintritt in die Eurasische Wirtschaftsunion, die wiederum den Präsidenten der Europäischen Union José Manuel Barroso auf den Plan riefen: niemals dürfe ein Land, das der Eurasischen Wirtschaftsunion angehöre, gleichzeitig Mitglied der EU sein. Auch EU-Länder ließen nun Kreditangebote unterbreiten, die wohl hinter den russischen zurück blieben. Janukowytsch wählte die für sein Land (und womöglich für ihn?) lukrativere Option.
„Fuck the EU“
Wie schon während der Orangenen Revolution wurde nun wieder auf dem zentralem Platz Kiews, dem Maidan, protestiert. Diesmal anstatt drei Wochen den gesamten Winter vom November 2013 bis zum Februar 2014. Zu den EU-Befürwortern, die keine reale Chance auf einen baldigen EU-Beitritt hatten, gesellten sich ukrainische Nationalisten des „Rechten Sektors“, Neonazis, die Stepan Bandera verehren. Bandera war ukrainischer Statthalter der Nazis während der Besetzung, dann kurzzeitig privilegierter KZ-Sonderinsasse, und kämpfte mit seiner Miliz OUN noch bis fast Mitte der fünfziger Jahre gegen die Sowjetarmee. Bekannt wurden er und seine Miliz als Massenmörder an zehntausenden Juden und ethnischen Polen in der Westukraine. Der in Deutschland populäre ukrainische Botschafter Andreij Melnyk, dem wie zuvor schon Putin im Bundestag stehende Ovationen galten, ehrte Bandera mit einer Kranzniederlegung an dessen Grab in München.
Auf spektakuläre Weise bekannt wurde auch die US-amerikanische Diplomatin Victoria Nuland, damals wie heute Assistant Secretary of State. In einem vom ukrainischem Geheimdienst abgehörtem und veröffentlichtem Telefonat mit dem US-Botschafter in Kiew entwarf sie einen Putsch, aus dem Arsenij Jazenjuk als neuer Präsident hervorgehen sollte und erwiderte angesichts der Bedenken ihres Botschafters: „Fuck the EU!“
Beim Staatsstreich am 18. Februar 2014 wurden auf dem Maidan Menschen von Scharfschützen erschossen, heute gelten sie als Märtyrer: „Die Himmlischen Hundert“. Unter diesen Erschossenen waren sechzehn Personen Polizisten und weitere vier Sicherheitskräfte. Viktor Janukowytsch floh.
Arsenij Jazenjuk, der neue und von Nuland erwünschte Präsident, wollte in der zweisprachigen Ukraine das Russische als Amtssprache verbieten. Dies entfachte erneut Proteste, die nun von der Miliz des nationalistischen Rechten Sektors, dem Asow-Regiment, bekämpft wurden. Jazenjuk kopierte mit dem Sprachenverbot Stalin, der Ukrainisch verbot und Ukrainisch sprechende verfolgen ließ.
In Odessa verbrannten dann am 2. Mai mehr als vierzig Menschen. Prorussische Demonstranten waren vor Angriffen in ein Haus einer Gewerkschaft geflohen, das daraufhin von Nationalisten angezündet und belagert wurde. Mit diesem Verbrechen begann der Bürgerkrieg in der Ostukraine.
Victoria Nuland, deren familiäre Wurzeln über mehrere Generationen hinweg in die Ukraine zurückreichen und die Russisch spricht, wurde als Ukraine-Beauftragte durch Präsident Joe Biden reaktiviert. Sie gehört mit ihrem Mann, dem Altphilologen Robert Kagan, zu den NeoCons rund um den Militärpolitiker und zeitweiligen Weltbankpräsidenten Paul Wolfowitz. Nuland arbeitete für George Bush Senior, Bill Clinton, George Bush Junior und Barack Obama. Für die US-Außenpolitik scheint es unerheblich, ob Demokraten oder Republikaner regieren, der Apparat bleibt der gleiche, und die Zielsetzungen beider Parteien waren kaum jemals unterscheidbar.
Über diesen Zirkel schreibt Jeffrey Sachs:
„Der Krieg in der Ukraine ist der Höhepunkt eines 30-jährigen Projekts der amerikanischen neokonservativen Bewegung (NeoCons). In der Regierung Biden sitzen dieselben Neokonservativen, die sich für die Kriege der USA in Serbien (1999), Afghanistan (2001), Irak (2003), Syrien (2011) und Libyen (2011) starkgemacht und die den Einmarsch Russlands in die Ukraine erst provoziert haben.“
Sachs´ Sorge gilt der Gefahr, dass der militärisch/industrielle Komplex und ein größenwahnsinniger Präsident (damals noch Trump) den finalen Weltkrieg anzetteln. Rund die Hälfte der Bürger hält aufgrund der unversöhnlichen Spaltung in Trump-treue Republikaner und liberale Demokraten einen Bürgerkrieg in den USA für möglich, wie eine Umfrage des Bürgerrechtsverbands Southern Poverty Law zeigte. Junge US-Amerikaner beider politischer Lager befürworten mit je über 40 Prozent Zustimmung die Ermordung von Abgeordneten, die sie für schädlich erachten. Der Dissens betrifft die Abwahl Trumps, Schusswaffen, Abtreibungen, Klimawandel, Homosexualität, Migranten, Rassismus und die Pandemie. Gleichzeitig forciert der Supreme Court mit einer Reihe von Konservativen veranlasster illiberaler Urteile die gesellschaftliche Spaltung. Die USA sind nicht länger der sichere Grund, auf den Europäer bauen können.
Der aktuelle Krieg offenbart hierzulande eine überkommene exkulpierende Sichtweise auf Russland im Zweiten Weltkrieg und die Verharmlosung deutscher Verbrechen, auch jener der Wehrmacht, die über die Generationen weiter gereicht wurden. Vergleiche Putins mit Hitler verbieten sich. Das Ausblutenlassen zweier Armeen ist keine Lösung, auch wenn der Eindruck entsteht, dass vielen Zynikern im Westen der Abnutzungskrieg, der Russlands Potential schwächt, willkommen ist.
Die USA verfolgen ähnliche Politiken gegenüber der EU wie gegenüber ihrem Hinterhof Südamerika. Fuck the EU! – Victoria Nulands abgehörter Ausruf, kann als Agenda gesehen werden für ein imperiales divide et impera – teile und herrsche. Ein Spaltkeil war bereits 2003 die Teilung Europas in jene Koalition der Willigen, die mit den USA in den Irakkrieg zogen, und die restlichen Staaten, die den Sicherheitsratsvetos Frankreichs und Deutschlands Folge leisteten und sich verweigerten.
Wer den Wind sät
Sanktionen und andere verdeckte Maßnahmen machen einen Krieg auf niedriger Schwelle akzeptabler. Nur so konnte sich US-Außenministerin Madeleine Albright dazu hinreißen lassen, auf die Frage, ob der Tod einer halber Million Kinder im Irak zwischen beiden Irakkriegen aufgrund der internationalen Sanktionen als Preis für die Verteidigung westlicher Werte nicht zu hoch sei, diesen als angemessen zu bezeichnen.
Pardon wurde nie gewährt, mit dem Engagement in Syrien stattdessen eine Destabilisierung der europäischen Gesellschaften durch Krieg, Terror und Flüchtlinge billigend in Kauf genommen. Den Weg in den Syrienkrieg, der Europa und den Nahen Osten bis heute in Atem hält, und die Bewaffnung von Islamisten dort durch die USA, die damit ähnlich agierten wie Goethes Zauberlehrling, beschreibt der Arabist Michael Lüders im Buch „Wer den Wind sät“.
Ein klandestiner Wirtschaftskrieg ist seit langem in Gange. Er betrifft die EU. Die Bevölkerung der EU beläuft sich auf 512 Millionen, die der USA hingegen auf 324 Millionen Menschen mit einem pro Kopf höherem Bruttoinlandsprodukt. Mit der Aufnahme ärmerer europäischer Länder schafft die EU sich ein Nachfrage und Wachstumspotential.
Bidens Programm der Inflationsbekämpfung dient nebenbei der Abwerbung europäischer Unternehmen. Es werden nicht nur Subventionen ausgereicht, viele Faktorkosten, vor allem aber Energie, sind billiger im Land des hire-and-fire. Für E-Autos sollte es ursprünglich nur eine Umweltprämie geben, falls diese in den USA gefertigt waren. Die Flüssiggasexporte aus umweltschädlichem Fracking gleichen das notorische US-Handelsdefizit aus, und schon ist von einer Deindustrialisierung in der EU die Rede. Die Terms of Trade verschieben sich zugunsten der USA – die Schere öffnet sich nun gar zur anderen Seite hin.
Neben dem Wettbewerber China, der immer öfter als potenzieller Kriegsgegner im finalem Weltkrieg gesehen wird, ist Europa, zu dem schlussendlich ja Russland auch geografisch gehört, ein Angstgegner der USA. Und hier vor allem Deutschland. Die Sanktionen, die den NATO-Partner aufgegeben wurden, sind im diesem Zusammenhang zu betrachten. Transatlantiker widersprechen nicht. Vorrangiges Ziel auch von Baerbock ist es, Russland zu „ruinieren“. Nur, seit Sanktionsbeginn steigt der Rubelkurs unbändig.
Die Guthaben der russischen Zentralbank sind eingefroren, wie es zuvor bereits dem Iran, Venezuela und Afghanistan widerfuhr. Der Vorgang wird völkerrechtlich wie auch die Waffenlieferungen und die Ausbildung von Soldaten als kriegerische Akte verstanden. Das „Nicaragua-Urteil“ des IGH von 1986 ist eindeutig. Die Generalbundesanwaltschaft, hier Monika Harms, begründete mit ihm 2001 die Rechtmäßigkeit des deutschen Afghanistaneinsatzes: die Taliban hätten die Ausbildung von Paramilitärs auf ihrem Territorium geduldet (lediglich!) und wurden bereits damit zum Kombattanten gegen die USA.
Die russische Zentralbank, die innerhalb Russlands weiter Rubel emittiert, kann derzeit im Ausland, in dem nur eine begrenzte Menge Rubel im Umlauf ist, weder welche platzieren noch abziehen. Letzteres müssen die Staaten tun, die auf Rohstoffimporte wie Gas angewiesen sind (– das auch derzeit noch über die Ukraine per Pipeline geliefert wird). Sie besitzen bei den wenigen russischen Banken, die nur hierfür überhaupt noch lizenziert sind, Fremdwährungskonten, auf die sie Euro oder Dollar einzahlen und die diesen Banken dazu dienen, Auslands-Rubel aufzukaufen. Da gleichzeitig Russen der Gebrauch ihrer Konten im Ausland verunmöglicht wurde, Rubel dem Westen so nicht weiter zufließen, steigt der Rubelkurs. Das wissen westliche Investoren, die ökonomisch etwas beleckter sind als Baerbock, und kaufen Rubel-Futures.
Westliche Waren kauft Russland in Nachbarländern wie Kasachstan oder Usbekistan. Auch der für Russland gefährliche Braindrain hoch qualifizierter Auswanderer ist erschwert. Russen können kaum mehr ins Ausland, wo sie nicht auf Kreditkarten zugreifen dürfen, und selbst die Möglichkeit, über Airbnb vorab eine billige Bleibe irgendwo im Westen zu finden, existiert nicht länger. Kapitalflucht wird vor allem durch die Sanktionen verhindert – wie auch durch die russische Zentralbank, von ihr nur im weit geringerem Umfang. Russlands Oligarchen kaufen keine westlichen Aktien mehr, was Ihnen vom Westen verboten ist, und geben kein Geld an der Riviera aus. Ihre Yachten sind beschlagnahmt und russische Privatjets verloren alle Landerechte – was sollten sie dort noch?
Und der Renault-Nissan-Mitsubishi Konzern verkaufte sein russisches Investment von 2,2 Millionen Euro, Anteile am Gemeinschaftsunternehmen und die Renault-Fabrik in Togliatti, für einen symbolischen Rubel mit Rückkaufrecht, was wohl böswillig auch Enteignung genannt werden könnte. Die Stadt Moskau übernahm ein Renault-Werk in der Nähe Moskaus und lässt einen modernen wettbewerbsstarken Lizenzbau aus China fertigen. Das Volkswagenwerk in Kaluga steht derweil still.
Zu Beginn des Ukrainekrieges und nochmals angesichts der Teil-Mobilmachung protestierten in Sankt Petersburg und anderswo viele tausende Russen. Das ist passé, hauptsächlich aufgrund brutaler staatlicher Repression. Aber auch die Sanktionen, die vor allem die einfachen Menschen treffen, einen das Volk. Durch ausfallende Importe entstanden Preisdruck und Mängel, Arbeitslosigkeit aufgrund des Wegzugs westlicher Firmen und von Exportausfällen.
Doch das Sanktionsregime führte auch in eine weltweite Inflation. Die Rohstoffpreise stiegen, zunächst vor allem solche auf Energieträger und so mittelbar auf Stahl und vieles anderes. Die erwartete Nahrungsmittelkrise, die durch ein von UN-Generalsekretär António Guterres erlangtes Abkommen mit Russland hoffentlich abgewandt wird, trieb den Weizenpreis, weil Spekulanten auf Termin kauften. Hinzu traten die Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed, die zu einem Problem für Schwellenländer werden, die zu variablen Zinsen im teurer werdendem Dollar verschuldet sind. Ihnen werden zudem durch die Sanktionen bedingte Kosten aufgebürdet. Insofern erinnern die linken Bidenomics in ihrem Effekt an die rechten Reaganomics in den Achtzigern, die zur Lateinamerika-Krise führten.
Die Abwicklung der Globalisierung steht für viele Akteure auf dem Plan. Im Vordergrund steht die Minderung eigener Verwundbarkeit, die durch den Zusammenbruch von Lieferketten in der Pandemie aufgezeigt wurde. Von außen betrachtet wirkt das Vorgehen wie eine Kriegsvorbereitung – dies auch angesichts der Ressentiments gegenüber China, die Wirtschaftsminister Robert Habeck mit der Verweigerung der Erlaubnis chinesischer Direktinvestitionen unterstreicht.
Wir sind Proxy
Im Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA, englisch „proxy-war“, sind wir als verdeckte Kriegsteilnehmer Proxy. Ein eigener Nutzen daraus ist fraglich, die Risiken immens. Ein etwaiger großer Landkrieg mit chinesischer Beteiligung, der die in den USA von NeoCons geleugnete Klimakatastrophe sofort in apokalyptische Ausmaße pusht, würde in Eurasien ausgetragen werden.
Russland begründet den Krieg mit der Rechtfertigung, die die USA für den illegitimen Vietnamkrieg nutzten, zuzüglich der Behauptung, es gelte einen Genozid im Donbass zu verhindern wie 1999 im Kosovo, als dort deutsche Flieger aufgrund einer Lüge bombten. China wiederum sieht sich vom Westen in die Ecke gedrängt, auch und umso mehr, da chinesische Firmen die Sanktionen fürchten, die sie auf den Exportmärkten ins Abseits stellen könnten.
Jüngst auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos: In einer Videoschalte behauptete Selenskyj, er wisse nicht, ob Putin noch lebe, durch ein Double ersetzt sei und was und wie er mit ihm verhandeln könne. Selenskyj muss geholfen werden. Es darf nicht länger sakrosankt sein, über den Kopf der Ukraine hinweg zu einem Ergebnis zu gelangen, das in unser aller überragendem Interesse liegt.
Sowohl Russland wie China sind Vielvölkerstaaten, deren Auseinanderbrechen zu einem neuen 40jährigem Krieg im 21. Jahrhundert führen kann, diesmal in Zentralasien statt wie im 20. Jahrhundert in Südostasien.
Solange Deutschland Waffen liefert, mit denen Menschen in der Ukraine verteidigt und auch getötet werden, hat es die Pflicht auch Einfluss auf Friedensbemühungen zu nehmen.
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