Arbeitsmarkt

Die „Ausbildungsgarantie“, die keine ist

| 04. Februar 2025
IMAGO / photothek

In ihrem Koalitionsvertrag versprach die geplatzte Ampelregierung eine „Ausbildungsgarantie“. Doch davon ist nichts zu sehen. In der Rezession dürfte sich die Krise der Ausbildungsversorgung sogar noch verschärfen.

Bevor die Ampelkoalition im Herbst 2024 platze, hatte sie für die Berufsbildung Großes versprochen: die Ausbildungsgarantie. Im Koalitionsvertag heißt es: „Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb.“ Doch was ist aus diesem Versprechen geworden?

Allerlei gute Nachrichten verkündete die Bundesagentur für Arbeit hat Ende Oktober 2024 in ihrer Ausbildungsmarktbilanz für 2023/24. „Wie in den letzten Jahren waren auch im Beratungsjahr 2023/24 mehr Ausbildungsstellen gemeldet als Bewerberinnen und Bewerber,“ so die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles. Demnach standen 519.000 bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern gemeldeten Berufsausbildungsstellen 432.000 gemeldete Bewerberinnen und Bewerber gegenüber, was auf den ersten Blick gut, bei näherer Betrachtung aber nicht so gut aussieht.

Mehr Ausbildungsstellen als Bewerber?

Zunächst zur Bewerberseite: Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat allein für 2024 464.730 Absolventen mit Haupt- und Realschulabschluss aus allgemeinbildenden Schulen prognostiziert. Demgegenüber hat die Bundesagentur für Arbeit im selben Jahr lediglich 160.225 Neubewerber aus allgemeinbildenden Schulen gezählt, worin neben Haupt- und Realschulabsolventen auch Jugendliche mit Hoch- und Fachhochschulreife enthalten sind. (Die restlichen 151.007 waren Altbewerber und 120.320 kamen aus berufsbildenden Schulen, Hochschulen oder sonstigen Schulen, was zusammen die zuvor genannten 432.000 Bewerber bei der BA ergibt).

Heißt: Stellt man die Absolventen mit erstem und mittlerem Schulabschluss“ der KMK den Neubewerbern der Bundesagentur gegenüber, erhält man eine Differenz von über 300.000 Jugendlichen, die nicht als gemeldete Bewerber bei der Bundesagentur für Arbeit auftauchen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass davon sich insbesondere Realschülerinnen für eine schulische Ausbildung in Gesundheits- oder Erziehungsberufen entschieden haben, verbleiben immer noch ca. 200.000 Jugendliche, die nicht in der Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur erscheinen. Entweder, weil sie sich direkt um einen Ausbildungsplatz bemüht haben, oder weil sie von der Bundesagentur für ungeeignet befunden worden sind.

Dazu muss man wissen, dass die Arbeitsagenturen Jugendliche, die sich bei ihnen beruflich beraten lassen wollen, zunächst als „Ratsuchende“ erfassen. Die Zahl der Ratsuchenden wurde bis 2006 noch veröffentlicht, danach nicht mehr. Die Ratsuchenden werden vom medizinischen und psychologischen Dienst auf ihre Eignung überprüft und erst dann, wenn sie dies erfolgreich überstehen, als „gemeldete Bewerber“ geführt.   

Addiert man die etwa 200.000 nicht gemeldeten Bewerber zu den über 400.000 gemeldeten Bewerbern hinzu, so erhält man eine Summe von über 600.000 gemeldeten und nicht gemeldeten Bewerber für eine Berufsausbildungsstelle. Leider gibt es keine genaueren Zahlen. Der Berufsbildungsbereich ist durch eine Vielzahl von Statistiken gekennzeichnet, durch die selbst echte Experten kaum durchblicken, was sicherlich auch beabsichtigt ist.

Die Schulstatistik enthält (durch Verknüpfung der Absolventen der allgemeinbildenden Schulen mit den Anfängern der berufsbildenden Schulen) die besten Zahlen, diese werden aber nicht amtlich genutzt.

Nun zur Ausbildungsstellenseite: Einerseits dürfte Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen niedriger ausfallen. Denn von den 519.399 gemeldeten Ausbildungsstellen wurden 114.000 storniert und 19.000 aus „sonstigen“ Gründen abgemeldet, womit nur noch etwa 386.000 Ausbildungsstellen verbleiben. Andererseits werden aber nur 77 Prozent der Ausbildungsplätze von den Betrieben bei den Arbeitsagenturen gemeldet. Man müsste zu den verbliebenen 386.000 Ausbildungsstellen also noch 33 Prozent (oder 116.000) hinzurechnen, womit man auf 502.000 Ausbildungsstellen kommt.

Demnach stehen etwa 600.000 Bewerbern nur 502.000 Ausbildungsstellen gegenüber, was auf einen angespannten Ausbildungsmarkt für die Jugendlichen hindeutet. Im Folgenden wird aber der Einfachheit halber weiterhin mit den von der BA genannten Bewerber- und Ausbildungsstellenzahlen argumentiert. 

Mehr unbesetzte Stellen als „Unversorgte“?

Die zweite scheinbar gute Nachricht der BA lautet, es hätte mehr unbesetzte Stellen als unversorgte Bewerber gegeben. „Am Ende des Beratungsjahres waren am 30. September 2024 noch 69.000 unbesetzte Ausbildungsstellen zu vermitteln.“ Und weiter: „Gleichzeitig waren 31.000 Bewerberinnen und Bewerber noch unversorgt“, was lediglich 7 Prozent der Bewerber seien.

Dagegen muss man sagen: Seit Jahren wird mit dem Wort „unversorgt“ die Öffentlichkeit getäuscht, weil man im Umkehrschluss denkt, dass alle „Versorgte“ erfolgreich einen Ausbildungsplatz erhalten hätten. Dem ist aber mitnichten so. Die BA zählt zu „versorgt“ viele Jugendliche, die gar keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, so zum Beispiel Jugendliche in den berüchtigten Warteschleifen oder Jugendliche, die jobben. Insgesamt sind 233.409 Jugendliche ausbildungslos gebliebenen. Ihnen standen nur 69.000 unbesetzte Stellen gegenüber.

Mit der Bezeichnung „Unversorgte“ werden selbst angebliche „Experten“ in die Irre geführt. Auf einer „Bilanz-Pressekonferenz“ in Hamburg erklärten die „Ausbildungsakteure des Hamburger Ausbildungsmarktes“ – Arbeitsagentur, Bildungsbehörde, Unternehmerverband sowie Kammern bis hin zum DGB: Ende September 2024 seien von den 7.038 bei der Arbeitsagentur gemeldeten Bewerberinnen und Bewerbern 1.024 „noch ohne Lehrstelle“ geblieben. Das wären gerade einmal 14,5 Prozent aller Bewerber. Überprüft man diese Zahl in der Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit, so entpuppen sich diese 1.024 Ausbildungslosen aber als die „Unversorgten“. Man kann dort auch nachlesen und nachrechnen, dass in Hamburg nur 41 Prozent der Bewerber in eine Ausbildung eingemündet sind (eine Zahl, die der Öffentlichkeit in der Pressemitteilung vorenthalten wird), mithin 59 Prozent ausbildungslos geblieben sind.

Herbst 2024: 54 Prozent Ausbildungslose

Mit derartigen Erfolgsmeldungen wie „mehr Ausbildungsstellen als Bewerber“ oder den „Unversorgten“ wird von der entscheidenden Zahl der Ausbildungsbilanz abgelenkt: der tatsächlich in eine Ausbildung eingemündeten Bewerber. Diese Zahl wird in der Pressemitteilung der „Ausbildungsakteure des Hamburger Ausbildungsmarktes“ gar nicht und in der Presseinformation der BA eher beiläufig weit hinten erwähnt: „Bis Ende September 2024 haben 198.000 Bewerberinnen und Bewerber eine Berufsausbildung begonnen, 3.000 weniger als im Vorjahr. Das entspricht einem Anteil von 46 Prozent.“ 54 Prozent (oder 233.409 Jugendliche) sind ausbildungslos geblieben. Dies sind genauso viele wie zu Beginn der Ampel-Koalition im Jahr 2021. Die Ausbildungsgarantie hat also nichts geändert an der Ausbildungslosigkeit.

Besonders hart hat die Ausbildungslosigkeit folgende Gruppen getroffen:

  • 62 Prozent der Altbewerber (wobei gut ein Drittel aller Bewerber sich schon einmal in den Vorjahren beworben hatte),
  • 67 Prozent der 20 Jahre und älteren Bewerber (wobei 34 Prozent der Bewerber 20 Jahre oder älter waren),
  • 65 Prozent der Bewerber ohne deutsche Staatsbürgerschaft (wobei 22 Prozent aller Bewerber Ausländer waren),
  • 65 Prozent der Absolventen aus berufsbildenden Schulen (wobei fast 40 Prozent aller Bewerber von berufsbildenden Schulen kamen, wo sie zumeist die diversen Warteschleifen durchlaufen haben dürften) sowie
  • 67 Prozent der Bewerber aus Berlin, 64 Prozent der Bewerber aus Bremen und jeweils 61 Prozent der Bewerber aus dem Saarland und Schleswig-Holstein.

Ursachen der gescheiterten Ausbildungsgarantie

Zusammengefasst: Die Ausbildungssituation hat sich unter der Ampelkoalition keineswegs verbessert. Schon gar nicht haben „alle“ Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten. Die Ampel ist also auch hier gescheitert und hat ihr Versprechen der Ausbildungsgarantie nicht eingehalten. Wie konnte es dazu kommen?

Dazu muss man sich anschauen, wie die Ampel die Ausbildungsgarantie erreichen wollte. Im Wesentlichen standen drei Maßnahmen im Vordergrund: Berufsorientierung, Jugendberufsagenturen und außerbetriebliche Ausbildungsangebote. 

Berufsorientierung

Die Berufsorientierung ist ein alter Hut und fällt nach Grundgesetz als Teil des Unterrichts an Schulen unter die Länderkompetenz. Sie wird seit den Nuller-Jahren vorangetrieben. Die Auffassung dahinter: Mangelnde Orientierung und keinesfalls das „hochgelobte duale System der deutschen Berufsbildung“ sei das Problem.

Dass Schüler nunmehr ab dem 8. Schuljahr Bewerbungen schreiben, Bewerbungstrainings und Betriebspraktika absolvieren müssen, muss nicht falsch sein, schafft aber keinen einzigen Ausbildungsplatz. Vorteilhaft ist die Berufsorientierung vor allem für die Politik und das bestehende Ausbildungssystem, weil die Berufsorientierung suggeriert, dass es die Schuld der Jugendlichen sei, wenn sie keinen Ausbildungsplatz finden. Zumal von der Berufsorientierung auch eine umfangreiche Beratungsindustrie mit zahlreichen Bullshit-Jobs profitiert.

Jugendberufsagenturen

Jugendberufsagenturen wurden flächendeckend erstmals unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz in Hamburg ab 2012 eingeführt. Anlässlich der Eröffnung der letzten Jugendberufsagentur in Hamburg im Dezember 2013 sagte Scholz: „Stützen konnten wir uns zum Beispiel auf das Hamburger Hauptschulmodell, das vor mehr als zehn Jahren als Pilotprojekt begonnen wurde, unter maßgeblicher Hilfestellung zweier Sponsoren, und seitdem wertvolle Arbeit geleistet hat.“ Die beiden Sponsoren waren der damalige Vorstandsvorsitzende der Hapag Lloyd, Bernd Wrede, sowie Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group und vom SPD-Senat mit der Ehrenbürgerwürde gewürdigt.

Im „Hamburger Hauptschulmodell“ sollten durch Berufsorientierung und Zusammenarbeit (vor allem dem Austausch von Schülerdaten) von Schule, Berufsberatung und Betrieben mehr Jugendliche mit Hauptschulabschluss in eine Ausbildung gebracht werden. Das Modell ist mit vielen Steuergeldern gefördert worden, die den Sponsoren die Möglichkeit gaben, als Wohltäter aufzutreten. Dies allerdings ohne messbaren Erfolg für die Jugendlichen, wie die Evaluation der Lawaetz-Stiftung im Jahr 2007 ergab. Unter anderem seien vermeintliche Vermittlungserfolge in eine Ausbildung laut „Experten“ nicht dem Hamburger Hauptschulmodell zurechenbar gewesen.

Noch gravierender ist, dass die Ausbildungsquote von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss nach Angaben der Schulbehörde zwischen 2001/02 bis 2009/10 von 19 auf 16 Prozent gefallen ist. Von daher kann man die Behauptung von Olaf Scholz auf dem Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Hamburger Hauptschulmodells Ende 2011, das Hamburger Hauptschulmodell hätte „auch wegen seines zählbaren Erfolgs“ Anerkennung gefunden, nur als bewusste Täuschung bezeichnen.

Bei den Jugendberufsagenturen in Hamburg – und dann später bundesweit – wurde der Datenaustausch mit den abgebenden Schulen übernommen. Als zweites wichtiges Merkmal und großes Highlight für Bürokraten kam die Zusammenarbeit mehrerer Behörden unter einem Dach hinzu. Die Jugendlichen sollen dadurch Beratung „aus einer Hand“ erhalten. Allerdings: Ende 2013 entstammten von den 356 Mitarbeitern 38 Prozent der Arbeitsagentur und 54 Prozent dem Jobcenter, aber nur 4 Prozent vom jeweiligen Bezirksamt und 4 Prozent von der Schulbehörde. 92 Prozent der Mitarbeiter wurden also von dem früheren Arbeitsamt abgestellt, also der Institution, die im Zuge der Agenda 2010 erst in zwei unterschiedliche Behörden zerschlagen worden ist.

Die Jugendberufsagenturen in Hamburg haben seit ihrem Bestehen in Hamburg nichts an der schlechten Ausbildungsversorgung der Hamburger Jugend geändert. Das zeigen allein die beiden folgenden Zahlen: Während im Berufsberatungsjahr 2011/12 genau 44 Prozent der Bewerber bei der Arbeitsagentur Hamburg einen Ausbildungsplatz bekommen haben, waren es im Berufsberatungsjahr 2023/24 nur noch 41 Prozent.

Ähnlich ist die Entwicklung auf Bundesebene verlaufen: Dort gab es im Sommer 2021 genau 353 Jugendberufsagenturen in 87 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte. Die Einmündungsquote hat sich von 51 Prozent in 2011/12 auf 49 Prozent in 2020/21 und nur noch 46 Prozent in 2023/24 verschlechtert.

Man kann mithin sagen: Jugendberufsagenturen nützen nichts, weil sie keine Ausbildungsplätze schaffen. Sie bringen lediglich Arbeitsplätze in der Beratungsindustrie. Sie schaden aber insofern, als das Geld besser ausgegeben wäre, zum Beispiel für außerbetriebliche Ausbildung.

Außerbetriebliche Ausbildungsstellen

Bei der außerbetrieblichen Ausbildung werden die Jugendlichen einer Einrichtung bzw. in einem Betrieb ausgebildet, in dem es nicht um die Herstellung eines Produkts, sondern um die Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf geht. Finanziert wir die Ausbildung zumeist von der öffentlichen Hand.

Außerbetriebliche Ausbildungsangebote sind eine der wirksamsten Maßnahme gegen die grassierende Ausbildungslosigkeit. Sie wären insofern eine besonders geeignete Maßnahme, um die Ausbildungsgarantie bzw. die „Ausbildung für alle Jugendlichen“ zu verwirklichen.

Aber schon im Koalitionsvertrag wurde diese Ausbildungsgarantie wieder eingeschränkt: „In Regionen mit erheblicher Unterversorgung an Ausbildungsplätzen initiieren wir bedarfsgerecht außerbetriebliche Ausbildungsangebote in enger Absprache mit den Sozialpartnern“, heißt es dort. Mit anderen Worten: Die Ausbildungsgarantie soll nur in Regionen mit „erheblicher Unterversorgung an Ausbildungsplätzen“ gelten. Laut einer Weisung der Bundesagentur für Arbeit liegt eine Unterversorgung erst dann vor, wenn auf 100 gemeldete betriebliche Berufsausbildungsstellen mehr als 110 gemeldete Bewerber kommen. Das trifft lediglich auf 32 der insgesamt 150 Agenturbezirke zu. Aber selbst für diese 32 Arbeitsagenturbezirke müssen noch weitere Bedingungen erfüllt sein: Die Jugendlichen müssen „hinreichende Bewerbungsbemühungen“ nachweisen und die Sozialpartner, also auch die Arbeitgeber, müssen zustimmen. Das ist in nur 22 (= 15 Prozent) Arbeitsamtsbezirken geschehen.

Was dann noch von der Ausbildungsgarantie übrigbleibt, zeigen folgende Zahlen: 2024 wurden 17.079 außerbetriebliche Ausbildungsplätze gefördert. Das sind 3,3 Prozent der 519.399 gemeldeten Berufsausbildungsstellen. Vor dem Ampelstart im Jahr 2021 lag die Zahl mit 14.447 außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen etwas niedriger (bzw. 2,8 Prozent von 522.867 Berufsausbildungsstellen). Die Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze hat zwar um 2.632 zugenommen, gleichzeitig ist aber die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze um 6.100 zurückgegangen, wodurch es insgesamt 3.468 weniger gemeldete Ausbildungsplätze gibt. Die an sich gute Maßnahme der Ausbildungsgarantie ist so klein dimensioniert worden, dass sie weder die Nichtausbildungstendenz umkehren, geschweige denn irgendetwas bewirken konnte.

Das österreichische Vorbild

Die Berufsausbildung in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten gibt es auf Länderebene bereits seit den 1980er Jahren. Die Idee der Ausbildungsgarantie auf Bundesebene geht auf ein österreichisches Vorbild zurück. Dazu hatte sich Ende des letzten Jahrzehnts eine eigenartige Koalition aus der Bertelsmann Stiftung und dem Deutschen Gewerkschaftsbund zusammengefunden. Der DGB urteilte damals: „Der Ausbildungsmarkt befindet sich aktuell im Sinkflug.“ Und weiter: „Notwendig ist eine Ausbildungsgarantie nach dem Vorbild Österreichs“. Die Bertelsmann Stiftung gestand ein: „Wo aber der Markt bislang schon versagt hat, muss der Staat dafür Sorge tragen, dass alle Jugendlichen die Chance auf einen qualifizierten Berufsabschluss erhalten und notfalls für zusätzliche Ausbildungsplätze sorgen.“ 

Die österreichische Ausbildungsgarantie zeichnet sich dadurch aus, dass alle, die keine Lehrstelle finden, einen zehnwöchigen Kurs zur Berufsvorbereitung absolvieren. In dieser Zeit versucht die österreichische Arbeitsagentur intensiv, an Unternehmen zu vermitteln. Gelingt das nicht, folgt eine sogenannte überbetriebliche Ausbildung in einer Bildungseinrichtung. Parallel wird stetig weiter versucht, in eine reguläre Ausbildung zu vermitteln. Aber auch Jugendliche, die ihre komplette Ausbildung in einer Bildungseinrichtung absolvieren, erhalten am Ende einen Abschluss.

Von dieser Form der Ausbildungsgarantie, die pro Person und Jahr etwa 72.000 Euro kostet, können die über 230.000 in 2024 ausbildungslos gebliebenen Jugendlichen in Deutschland nur träumen.

Alles bleibt beim Alten

Die drei wichtigsten Maßnahmen zur Gewährleistung der Ausbildungsgarantie mussten scheitern. Die Berufsorientierung fällt in die Länderkompetenz und schafft keine zusätzlichen Ausbildungsplätze. Gleiches gilt für die Jugendberufsagenturen. Keiner würde auf die Idee kommen, die Wohnungsnot mit Wohnungsvermittlungsagenturen zu bekämpfen. Die dritte Maßnahme, die außerbetriebliche Ausbildung, ist so spärlich dosiert worden, dass sie nicht einmal den Rückgang an Ausbildungsplätzen aufhalten konnte.

Doch daraus wurden offenbar keine Konsequenzen gezogen. Die SPD hat beispielsweise in ihrem neuen Wahlprogrammentwurf schon wieder die Ausbildungsgarantie versprochen. Sie will noch „frühere Berufsorientierung“ und die „erfolgreiche Arbeit der Jugendberufsagenturen (...) weiter stärken“.

Es bleibt alles beim Alten. Da die Berufsausbildung in Deutschland aufgrund ihrer einzelbetrieblichen Finanzierung stark von der konjunkturellen Entwicklung abhängig ist, die deutsche Wirtschaft aber in der Rezession steckt, dürfte sich die Krise der Ausbildungsversorgung sogar noch weiter verschärfen. Dennoch gehen fast alle Vertreter aus Politik, Verbänden, Medien bis hin zu den Wissenschaften davon aus, dass der allseits beklagte Fachkräftemangel einen Druck auf die Betriebe zu mehr Ausbildungsanstrengungen induzieren würde.

Das Gegenteil ist der Fall. Der Qualifikationsbedarf ist – neben den Kosten und Erträgen der Ausbildung, den sachlichen und personellen Voraussetzungen, der Branchenzugehörigkeit oder der konjunkturellen Situation – nur ein Faktor unter vielen für die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben.

Heißt, an der Ausbildungsmisere und dem Fachkräftemangel in Deutschland wird sich nichts ändern, solange

  • nicht die empirische Tatsache zur Kenntnis genommen wird, dass seit Jahren über die Hälfte der gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber für einen Ausbildungsplatz ausbildungslos bleiben;
  • nicht die Nichtausbildungstendenz der einzelbetrieblich finanzierten und gesteuerten Berufsausbildung theoretisch begriffen wird und
  • nicht mutige Schritte hin zu einer weiteren Vergesellschaftung der Ausbildung durch vor allem außerbetriebliche und vollzeitschulische Ausbildungsangebote in anerkannten Ausbildungsberufen ergriffen werden.

Die Jugend in Deutschland braucht keine Ausnahmegarantie, sondern eine echte Ausbildungsgarantie. Das wäre auch für die deutsche Wirtschaft von großem Vorteil.