Investitionen und Löhne

Ein Fair New Deal für Deutschland

| 05. Februar 2025
Maxim Abramov / Unsplash

Die deutsche Wirtschaft steckt in der Dauerkrise. Ein Investitionspaket und höhere Löhne könnten der Ausweg sein. 

Die aktuelle Lage in Deutschland ist schlecht. Die Energiekrise hat die deutsche Wirtschaft schwer getroffen, die Reallöhne liegen rund 8 Prozent unter ihrem Vorkrisentrend, die Bevölkerung ist zu Recht verunsichert. Deutschland braucht kräftiges und dauerhaftes Wirtschaftswachstum, das bei den Menschen ankommt und die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft weiter vorantreibt. Dies ist die zentrale Herausforderung für die künftige Wirtschaftspolitik.

Der Dreiklang aus Wohlstand, Klimaschutz und Gerechtigkeit kann mit einem großvolumigen Investitionspaket in Kombination mit Maßnahmen zur Stärkung der Löhne geschaffen werden – ein Fair New Deal für Deutschland. Dieser Weg aus der Dauerkrise wurde bereits 2023 von verschiedenen Seiten gefordert, doch die Ampelregierung hat sich damals für das Nichtstun entschieden, weil die Krise angeblich bereits überwunden war. Das wirtschaftspolitische Zögern der Ampelregierung hat bereits großen Schaden verursacht, aber es ist noch nicht zu spät für eine Wirtschaftswende. Im Folgenden skizzieren wir die wesentlichen Elemente eines Fair New Deals für Deutschland.

Investitionspaket

Das von uns vorgeschlagene Investitionspaket sollte als Kern die folgenden sechs Maßnahmen enthalten, um einen dauerhaften Wirtschaftsboom anzuschieben:

  • Strompreisbremse: Ein garantierter Bruttostrompreis für alle Unternehmen und privaten Haushalte, um Unsicherheit zu reduzieren, sowie Investitionen und Konsum zu stärken.
  • Investitionsprämie: Eine Investitionszulage für alle Ausrüstungsinvestitionen, welche den Anteil fossiler Energieträger in der Produktion verringern.
  • Infrastruktur: Stärkung der Eigenkapitalbasis öffentlicher Infrastrukturunternehmen und ein grundgesetzlich verankerter kommunaler Infrastrukturfonds.
  • Industriepolitik mit Plan: Entwicklung eines schlüssigen Konzepts, welche Industriesektoren gefördert werden sollen und wie die einzelnen Politikinstrumente ineinandergreifen.
  • Bildung und Betreuung: Ausbau der Ganztagsbetreuung bzw. des Ganztagsunterrichts an Kitas und Schulen.

Die Strompreisbremse soll eine Obergrenze (Preisdeckel) für den Bruttostrompreis inklusive Steuern, Abgaben und Netzentgelten setzen und perspektivisch bis 2035 gelten. Beispielsweise könnte die neue Bundesregierung neben einem Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen den Strompreis für alle Unternehmen mit einem Jahresverbrauch über 30.000 kWh auf 15 ct/kWh deckeln. Zudem sollten private Haushalte und kleinere Gewerbeunternehmen mit einem Jahresverbrauch unter 30.000 kWh eine Strompreisgarantie von 30 ct/kWh erhalten.

Die Strompreisgarantie sollte für 70 Prozent oder 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs gelten. Zudem sollte für private Haushalte die Förderung auf 10.000 kWh begrenzt werden. So werden die Stromkosten für Haushalte abschätzbar, was Haushaltsinvestitionen in Elektrifizierung begünstigt und Konsumpotenzial freisetzt. Im Gegensatz zur ursprünglichen Strompreisbremse setzt unser Vorschlag auch für industrielle Kunden eine Obergrenze für den Bruttostrompreis. Diese Erweiterung ist notwendig, weil der größte Unsicherheitsfaktor für industrielle Stromkunden derzeit die künftigen Netzgebühren sind, die stark vom unsicheren Erfolg des Stromnetzausbaus abhängen. Diese Großkunden konnten sich zwar an den Strombörsen 2024 gegen das Risiko schwankender Nettostrompreise relativ günstig absichern, aber für die Unsicherheit in Bezug auf zukünftige Netzentgelte gibt es keine Versicherung auf dem Strommarkt. Anders gesagt: Der Staat versichert mit der Strompreisbremse private Haushalte und Unternehmen gegen politische Unsicherheit, die er selbst erzeugt. In diesem Sinne ist eine Strompreisbremse bis 2035 ein angemessenes Instrument, um politische Glaubwürdigkeit in unsicheren Zeiten zu schaffen und die Elektrifizierung der Wirtschaft voranzutreiben.

Die vorgeschlagene Investitionsprämie ist angelehnt an die Klimaschutz-Investitionsprämie, die ursprünglich als Teil des Wachstumschancengesetzes der Ampelregierung geplant war, aber letztlich nicht umgesetzt wurde. Sie ist eine gewinnunabhängige steuerliche Zulage für Investitionen in den Klimaschutz und hat gegenüber verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten den Vorteil, dass sie auch von Unternehmen genutzt werden kann, die aktuell keine Gewinne verbuchen. Beispielsweise könnte die Investitionsprämie so ausgestaltet sein, dass Unternehmen 25 Prozent der Anschaffungs- und Herstellungskosten der Investitionen erstattet bekommen.

Die Umsetzung der Investitionsprämie muss einfach und unbürokratisch erfolgen, damit sie alle mittelständischen Unternehmen erreicht. Dazu gehört unter anderem eine Umsetzung über die Steuererklärung mit einer stichprobenmäßigen Ex-post-Kontrolle, ob die Förderbedingungen erfüllt sind. Dies könnte in vielen Fällen der Installateur der Anlagen bescheinigen, wie es auch bei der Wärmepumpenförderung geschieht. Der ursprüngliche Entwurf der Ampelregierung zur Investitionsprämie sah hingegen eine hundertprozentige Ex-ante-Kontrolle durch einen Energieberater oder Energiemanager vor. Dieser Ansatz ist vielleicht gut für die Energieberatungsbranche, aber sehr kleinteilig und arbeitsintensiv für die betroffenen Mittelständler. Zudem erfordert der Regierungsentwurf die Einbettung in ein Energiesparkonzept, das die Zertifizierung durch einen Energieberater erfordert, während der vorliegende Vorschlag ein einfach nachzuprüfendes Kriterium verwendet – die Reduktion des Anteils fossiler Energieträger in der Produktion. Die volle Wirksamkeit wird eine Investitionsprämie nicht entfalten können, wenn sie in der Umsetzung durch ein Übermaß an Kontrolle zu einem Bürokratiemonster mutiert.

Die Bereitstellung einer qualitativ hochwertigen, bezahlbaren Infrastruktur ist eine zentrale Aufgabe des modernen Staates. Leider hat der Marktfundamentalismus der letzten 40 Jahre dazu geführt, dass die deutsche Infrastruktur durch Privatisierung und Deregulierung bzw. planlose Regulierung heruntergewirtschaftet wurde. Diese desaströse Entwicklung sollte konsequent umgekehrt werden, um Wachstumspotenziale der Wirtschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Im Energiebereich bedeutet dies zum Beispiel, dass der Bund mithilfe der KfW eine Mehrheitsbeteiligung an dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet erwirbt und die Städte und Gemeinden ihre lokalen Energieversoger rekommunalisieren. Darüber hinaus muss die öffentliche Hand die Eigenkapitalbasis der öffentlichen Energieunternehmen stärken (Öffentlich-Öffentliche Partnerschaften, ÖÖP), damit die notwendigen Investitionen für den Stromnetzausbau kostengünstig finanziert werden können. Die Beteiligung von privaten Finanzinvestoren an öffentlichen Energieunternehmen, wie es aktuell von verschiedenen Seiten empfohlen wird, ist hingegen ineffizient und würde die Netzentgelte für die Stromkunden unnötig verteuern. Anders gesagt: Die Privatisierung des Ausbaus der Energieinfrastruktur ist zwar gut für internationale Finanzinvestoren wie BlackRock, aber schlecht für die deutsche Wirtschaft.

Neben der Stärkung der Eigenkapitalbasis öffentlicher Infrastrukturunternehmen werden in gewissen Bereichen auch Zuschüsse benötigt, damit die Nutzung der öffentlichen Infrastruktur bezahlbar bleibt. Solche staatlichen Zuschüsse sind auf der kommunalen Ebene besonders wichtig und der Bund kann hier einen Beitrag leisten, indem er ein neues Sondervermögen mit einem Finanzvolumen von 100 Milliarden Euro auflegt. Dieser Investitionsfonds muss wie das Bundeswehrsondervermögen grundgesetzlich verankert und wie der bereits existierende Kommunalinvestitionsförderungsfonds zur Unterstützung der kommunalen Investitionen verwendet werden. Die Finanzmittel können beispielsweise genutzt werden, um Schulen zu sanieren, Sportplätze und Freizeitstätten zu bauen, das Stromverteilernetz und den öffentlichen Personennahverkehr auszubauen sowie die digitale Infrastruktur zu verbessern. Wie üblich würden die Länder bei Nutzung der Bundesmittel einen entsprechenden Eigenbeitrag leisten, sodass insgesamt rund 200 Milliarden Euro für die Verbesserung und Ausweitung der kommunalen Infrastruktur bereitstehen könnten.

Eine Industriepolitik mit Plan ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirtschaftswende in Deutschland, doch viele Ökonominnen und Ökonomen sehen strategische Industriepolitik kritisch. Aus Sicht der marktliberalen Theorie braucht es keine staatlichen Eingriffe (ob mit oder ohne Plan), weil der Markt es von allein regeln wird. Zwar hat die Politik die marktradikalen Ratschläge der Ökonomen-Mehrheit nicht konsequent verfolgt, aber die »gelebte« Industriepolitik war häufig planlos und widersprüchlich, weil das übergreifende ökonomische Konzept fehlte und vieles Stückwerk blieb. Dies muss sich ändern, wenn Deutschland nicht endgültig den Pfad der Deindustrialisierung gehen soll: Die Politik braucht einen industriepolitischen Plan, den sie konsequent verfolgt. Das bedeutet beispielsweise im Automobilbereich, dass die neue Bundesregierung neben den bereits genannten Maßnahmen (Strompreisgarantie, Ladeinfrastruktur, Investitionsprämie) eine Verkaufs- bzw. Leasing-Prämie für Elektroautos einführen sollte, und den Aufbau von Produktionsstandorten für Batteriezellen und Microchips konsequent fördern muss. Diese Strategie ist nicht risikolos, aber ohne diese Förderung werden große Teile der künftigen Autoproduktion ins Ausland abwandern.

Der Ausbau der Ganztagsbetreuung bzw. des Ganztagsunterrichts an den Kitas und Schulen kann als Investition in das Humankapital der deutschen Volkswirtschaft betrachtet werden. Diese Investitionen steigern die Wachstumspotenziale über zwei Wirkungskanäle. Zum einen erlaubt ein verbessertes Betreuungsangebot den Eltern ihr Arbeitsangebot dauerhaft auszuweiten, wobei davon hauptsächlich Frauen mit Kindern profitieren würden. Zum anderen steigert qualitativ hochwertiger Ganztagsunterricht den Bildungserfolg besonders von Kindern aus weniger privilegierten Familien, sodass langfristig die Zahl der Erwerbspersonen ohne Berufs- oder Hochschulabschluss sinkt – womit das durchschnittliche Qualifikationsniveau der Erwerbspersonen langfristig steigt. Diese beiden Effekte zusammen führen zu erheblichen Wachstumseffekten.

Faire Löhne

Ein investitionsgetriebener Wirtschaftsboom kann Wohlstand und Klimaschutz vereinen, doch er wird nicht automatisch die soziale Gerechtigkeit stärken. Zwar ist eine starke Wirtschaft eine notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Transformation, aber eben keine hinreichende. Um den Dreiklang aus Wohlstand, Klimaschutz und Gerechtigkeit zu erreichen, braucht es unter anderem ein weiteres Element – faire Löhne und Gehälter für alle der rund 42 Millionen abhängig Beschäftigten. Faire Löhne sind neben dem Gerechtigkeitsaspekt auch entscheidend für eine Stärkung der Binnennachfrage, die in Zeiten von geopolitischer Fragmentierung und Handelskriegen ein wichtiger Wachstumsmotor ist. Doch die Löhne werden nicht automatisch steigen, wenn die Wirtschaft wächst – diese naive Vorstellung ist empirisch häufig genug widerlegt worden, wie zum Beispiel die Entwicklungen in Deutschland und in den USA in den zwei Dekaden bis zur globalen Finanzkrise zeigen. Faire Löhne fallen nicht vom Himmel, sondern sie müssen durch entsprechende wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gewährleistet werden.

Die folgenden Instrumente sind besonders effektiv, um faire Löhne zu gewährleisten und somit das besprochene Wachstumspaket in einen Fair New Deal umzuwandeln:

  • Einführung und konsequente Umsetzung eines Bundestariftreuegesetzes,
  • Investitionsbonus für Unternehmen mit Tariflöhnen,
  • Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro bis 2026 und Verankerung der EU-Richtlinien – Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten – im Mindestlohngesetz.

Die ersten zwei Maßnahmen gewährleisten eine Stärkung der Tarifbindung in Deutschland. Nach Tarif bezahlte Löhne sind im Durchschnitt wesentlich höher als individuell verhandelte Löhne, und gleichzeitig berücksichtigt die Tarifstruktur die Eigenheiten der individuellen Branchen und Berufe. Doch nur knapp die Hälfte aller Löhne und Gehälter in Deutschland sind an einen Tarifvertrag gebunden.

Ein Bundestariftreuegesetz würde es ermöglichen, bei der Vergabe von Regierungsaufträgen an Unternehmen die Tarifbindung als Kriterium zu berücksichtigen. Der Staat vergibt also bevorzugt Verträge an solche Unternehmen, die ihre Beschäftigten angemessen entlohnen. Das erscheint vernünftig, denn warum sollte die Bundesregierung das Wohlergehen der abhängig Beschäftigten bei der Vergabe staatlicher Aufträge vernachlässigen? Die Einführung eines Bundestariftreuegesetzes war für diese Legislaturperiode geplant, aber ist letztlich an dem Widerstand der FDP und dem Ampel-Aus gescheitert.

Ein Investitionsbonus erlaubt die Nutzung des Tarifbindungskriteriums bei der Investitionsförderung. Wenn zum Beispiel Unternehmen, die Tariflöhne zahlen, einen Bonus bei der genannten Investitionsprämie erhalten, wird mittelfristig der Anreiz zur Tarifbindung steigen. Eine lohnabhängige Investitionsförderung kollidiert mit den Prinzipien der EU-Beihilferegeln, die ursprünglich nach marktliberalem Vorbild entworfen wurden. Doch eine gut vorbereitete deutsche Bundesregierung könnte auch in Brüssel einiges erreichen, besonders wenn Tarifbindung kein Ausschlusskriterium ist, sondern als Kriterium für eine Bonusförderung verwendet wird. Trotzdem ist es nicht ohne Ironie, dass eine ökonomisch und sozialpolitisch sinnvolle Maßnahme, die in den USA problemlos von der Biden-Harris-Regierung (als Teil des Inflation Reduction Act) umgesetzt wurde, in Deutschland an den neoliberalen EU-Regeln scheitern könnte.

Neben der Tarifbindung ist ein existenzsichernder beziehungsweise armutsfester Mindestlohn das zweite arbeitsmarktpolitische Instrument, das notwendig ist, um faire Löhne zu gewährleisten. Er ist das Instrument, das für faire Löhne in den Bereichen des Arbeitsmarkts sorgt, wo der Einfluss der Gewerkschaften gering ist. Mindestlohn und Gewerkschaften bedingen sich also und sind zusammengenommen Ausdruck einer solidarischen Gesellschaft, die einen Ausgleich für die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Kapitaleigentümern und abhängig Beschäftigten schafft. Die Verankerung der EU-Richtlinien in das deutsche Mindestlohngesetz würde dauerhaft für einen armutsfesten Mindestlohn sorgen und würde zudem die Arbeit der Mindestlohnkommission verbessern. Die Anwendung des Medianlohn-Kriteriums ergibt in etwa einen Mindestlohn von 15 Euro bis 2026.

Finanzierung

Die folgenden Maßnahmen sind geeignet, um ein großvolumiges Investitionspaket dauerhaft zu finanzieren:

  • Stärkung der Eigenkapitalbasis öffentlicher Infrastrukturunternehmen,
  • Grundgesetzlich verankertes Sondervermögen zur Förderung kommunaler Infrastrukturinvestitionen,
  • Neuberechnung der Konjunkturkomponente und Anwendung der Notlagenklausel der Schuldenbremse,
  • Reaktivierung der Vermögensteuer und Optimierung der Erbschaftsteuer.

Die Stärkung der Eigenkapitalbasis öffentlicher Unternehmen und die Rekommunalisierung privater Infrastrukturunternehmen ist schuldenbremsenneutral und kann somit im Rahmen der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse erfolgen, ohne die fiskalischen Spielräume einzuschränken. Aus haushaltsrechtlicher Sicht handelt sich um den Erwerb von Unternehmensbeteiligungen (finanzielle Transaktionen), die das Finanzvermögen des Staates erhöhen, und deshalb auch die zulässige Nettokreditaufnahme (NKA) gemäß Schuldenbremse anheben – die deutsche Schuldenbremse verfolgt in Bezug auf den Erwerb von Unternehmensbeteiligungen de facto einen doppischen Ansatz. Der kreditfinanzierte Erwerb von Unternehmensbeteiligungen verändert daher das Nettovermögen des Staates und die zulässige NKA nicht, und in diesem Sinne ist diese finanzielle Transaktion schuldenbremsenneutral. Zudem können die betroffenen Unternehmen zusätzliche Investitionen über eine eigene Kreditaufnahme finanzieren, ohne die zulässige NKA zu verändern. In diesem Sinne schränkt dieser Finanzierungsansatz die fiskalischen Spielräume nicht ein.

Die Finanzierung öffentlicher Infrastrukturinvestitionen über Eigenkapitalerhöhungen stößt in gewissen Bereichen an ihre Grenzen, wenn die Nutzung der Infrastruktur bezahlbar sein soll. In solchen Fällen sind staatliche Zuschüsse erforderlich, die das Nettovermögen nicht erhöhen und somit nicht schuldenbremsenneutral durch eine entsprechende Kreditaufnahme finanziert werden können. Zuschüsse der öffentlichen Hand spielen beispielsweise beim Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und der Sanierung der Schulgebäude eine zentrale Rolle. Deshalb sollte der Bund ein Sondervermögen zur Stärkung der kommunalen Infrastrukturinvestitionen auflegen, das ähnlich wie der bereits bestehende »Kommunalinvestitionsförderungsfonds« konstruiert werden kann. Das neue Sondervermögen muss wie das Bundeswehrsondervermögen grundgesetzlich verankert werden, damit die zusätzlichen Infrastrukturausgaben nicht die finanziellen Spielräume an anderer Stelle einengen. Dies erfordert eine Grundgesetzänderung und somit eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat.

Die Neuberechnung der Konjunkturkomponente der Schuldenbremse ist eine Möglichkeit, die kurzfristig erhebliche Spielräume schaffen kann und keine Grundgesetzänderung erfordert. Der Ansatz beruht auf dem ökonomischen Argument, dass die aktuelle Dauerkrise nicht mit strukturellen Faktoren allein zu erklären ist und eine investitionsbasierte Wirtschaftspolitik das Produktionspotenzial anhebt. Anders gesagt: Die schlechte wirtschaftliche Lage ist größtenteils auf die Spätfolgen der Energiekrise zurückzuführen (Hysterese-Effekt der Energiekrise), aber mit der richtigen Wirtschaftspolitik können diese Spätfolgen erheblich reduziert werden. Die Spätfolgen des Ukrainekriegs und der Energiekrise können zudem die Anwendung der Notlagenklausel rechtfertigen, die ein integraler Bestandteil der deutschen Schuldenbremse ist. Diese Maßnahmen können jedoch nur zur kurzfristigen Finanzierung öffentlicher Investitionsausgaben beitragen, sodass mittel- und langfristig eine Reform der Schuldenbremse (wie zum Beispiel nach dem Beispiel der Goldenen Regel) wünschenswert ist.

Der Ausbau der Ganztagsbetreuung an den Kitas und Schulen erzeugt erhebliche Mehrkosten, weil zusätzliches Fachpersonal eingestellt werden muss. Diese zusätzlichen Personalausgaben sollten mit zusätzlichen Steuereinnahmen dauerhaft finanziert werden. Der ökonomisch vernünftige Weg ist in diesem Fall eine stärkere steuerliche Belastung der großen Vermögen, die in Deutschland – im Gegensatz zu den Arbeitseinkommen – eher gering besteuert werden. Konkret bedeutet dies eine Reform der extrem großzügigen Ausnahmeregeln bei der Vererbung von größeren Vermögen beziehungsweise Betriebsvermögen und die Reaktivierung der Vermögensteuer für große Vermögen. Die Mehreinnahmen aus einer verbesserten Erbschaftsteuer und reaktivierten Vermögensteuer könnten die notwendigen Ausgaben zur Rettung des deutschen Bildungssystems prinzipiell finanzieren. Sie haben den zusätzlichen Vorteil, dass die Einnahmen aus diesen Steuern den Ländern direkt zukommen. Diese erhalten damit Steuereinnahmen, die sie zur Erfüllung ihrer Bildungsaufgabe verwenden können. So würde sich die Ungleichheit verringern, die durch das Vererben großer Vermögen zementiert wird, und die Lebenschancen zukünftiger Generationen wären gerechter verteilt.

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