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Volt: Partei, die Gutes will und Böses schafft?

| 18. Februar 2025
IMAGO / Michael Gstettenbauer

Mehr Ausbau hier, mehr Investitionen dort: Das Wahlprogramm von Volt ist von gut gemeinten Absichtserklärungen durchzogen, die aber weder durchdacht noch finanzierbar sind.

Volt will eine junge Partei für junge Menschen sein. Die violetten Wahlplakate mit dem Konterfei der erst 34 Jahre alten Spitzenkandidatin Maral Koohestanian hängen kaum übersehbar in jeder deutschen Stadt, in den sozialen Medien wirbt die 2017 als Bewegung gegründete Partei ebenfalls intensiv.

Volt versteht sich als paneuropäisch und zählt mittlerweile knapp 29.000 Mitglieder in 31 Ländern (davon gut 8.300 in Deutschland). Das Programm zur Bundestagswahl will nicht weniger als eine „föderale europäische Republik“ mit eigener Europa-Verfassung, einem direkt gewählten Europäischen Parlament und einer gemeinsamen europäischen Armee.

Das Wahlprogramm hat gesellschaftspolitisch eine „progressive“ und klare „identitätspolitische“ Färbung, trägt also Sound und Wording diverser linker Vorfeldorganisationen in sich. Mit ihrer urbanen, städtischen Ausrichtung (smart Citys) und dem Bekenntnis zu Chiffren wie „Vielfalt“, Weltoffenheit, einem föderalen Europa, Klimaschutz und einer „humanen Asylpolitik“ spricht sie gleichwohl ein Milieu an, in dem es bereits große Parteienkonkurrenz gibt.

Nicht zuletzt deshalb wird die Partei, dem Optimismus Koohestanians zum Trotz, den Einzug in den Bundestag am 23. Februar mit hoher Wahrscheinlichkeit verpassen. Volt wird mit Linkspartei, Grünen und SPD um das aktivistische und politisch mobilisierte Erst- und Jungwählermilieu konkurrieren müssen. Heißt: Junge Wechselwähler, die Organisationen wie Fridays for Future oder Pulse of Europe nahestehen und sich aus der gehobenen akademischen 1/3-Gesellschaft rekrutieren. Genau das könnte auch erklären, warum das Wahlprogramm von Volt mehr von allem will – und sich dabei selbst widerspricht.

Schuldenbremse: Eine Reform die keine ist

Volt schwebt ein „investitionsfreundlicher Staatshaushalt“ vor, dieser nimmt aber nur knappe zwei des insgesamt 164 Seiten fassenden Parteiprogramms ein. „Die starre deutsche Schuldenbremse schränkt (…) wichtige Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur, Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung massiv ein“, heißt es dort. So weit, so richtig. Volt folgert daraus, dass eine „Reform der Schuldenbremse“ eine „nachhaltige und wirtschaftlich kluge Finanzpolitik“ ermögliche, „die heutige und künftige Generationen stärkt.“

Was sich zunächst anhört wie ein klares Bekenntnis zur Befreiung von jenen fiskalischen Fesseln, die 2009 ins Grundgesetz geschrieben worden sind, wird auf der gleichen Seite schnell wieder relativiert. Denn Volt möchte einen „ausgewogenen Staatshaushalt“, was in den Worten der Partei „ein ausgewogenes Verhältnis von Einnahmen und Schulden zu den Ausgaben“ bedeutet. Die schwäbische Hausfrau feiert ihre fröhliche Urständ.

Was Volt unter einer „Reform der Schuldenbremse“ versteht, ist einfach nur folgendes: Eine „Goldene Regel Plus“ soll „Zukunftsorientierte Nettoinvestitionen in Bereiche wie Infrastruktur, Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung“ von der Schuldenbremse ausnehmen, „um langfristig nachhaltiges Wachstum und Fortschritt zu sichern“. Gleichzeitig soll die Defizitgrenze auf bis zu 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angehoben werden. Das mag auf den ersten Blick sinnvoll klingen, wäre da nicht der Nebensatz: „solange die Schuldenstandquote im Einklang mit den europäischen Stabilitätskriterien unter 60 % bleibt.“

Mit anderen Worten: Auch Volt bekennt sich zu den starren und willkürlichen Maastricht-Kriterien, die den EU-Staaten schon seit 1992 haushaltspolitische Daumenschrauben anlegen. Die in Aussicht gestellte Erhöhung der Defizitgrenze ist Makulatur und ohnehin nichts wert, da nahezu alle wichtigen EU-Staaten schon lange eine Schuldenstandquote jenseits der 60 Prozent haben. Der Durchschnitt der Eurozone lag 2023 bei 87,4 Prozent, wichtige Kernländer wie Italien, Frankreich oder Spanien haben eine Quote im dreistelligen Bereich.   

Die Maastricht-Regeln sind also längst von der Realität ad absurdum geführt worden. Eine Reform, diesen Namen auch verdient, müsste den Kern der dysfunktionalen EU-Defizitregeln angehen. Wie sonst die „notwendigen Investitionen in unsere Infrastruktur (…) getätigt und die Transformation unserer Wirtschaft vorangetrieben [werden]“ sollen, bleibt das Geheimnis des violetten Wahlprogramms. Die angekündigte „konsequente Bekämpfung von Steuervermeidung und -hinterziehung“ wird kaum ausreichen, um „dringend benötigte Einnahmen“ zu sichern.

Wegen Trump, Musk und Russland: 3 Prozent des BIP für Rüstung

Obgleich der fiskalische Spielraum Deutschlands also auch unter Volt nicht erweitert werden würde, – schuldenbremsenbefreite Ausnahmen für Nettoinvestitionen fallen schließlich ebenfalls unter die künstlich begrenzte Schuldenstandquote – sollen die Rüstungsausgaben signifikant steigen. Volt will, ähnlich wie Verteidigungsminister Boris Pistorius, die Verteidigungsausgaben Deutschlands auf mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Damit würde das gesteckte Ziel der NATO übertroffen werden.

Koohestanian begründete das in dem YouTube Kanal Jung&Naiv so: „Wir haben gerade krasse Bedrohungen innerhalb von Europa, wir haben einen Angriffskrieg in Europa, wir haben Trump, wir haben Elon Musk, der jetzt noch bei Trump dabeisitzt, wir wissen, es kommen einfach krasse Bedrohungen auf uns zu und wir sind theoretisch nicht in der Lage, uns dagegen zu wehren.“ Um das zu ändern, will Volt zum Beispiel „gemeinsam mit den anderen Staaten in Europa die Waffenlieferungen für die Ukraine auf einen gemeinsamen Standard bringen.“

Für 2024 hat Deutschland der NATO geschätzte Verteidigungsausgaben von 90,6 Milliarden Euro gemeldet (Zielsumme der NATO: 86 Milliarden Euro), was einem Anteil am prognostizierten deutschen Bruttoinlandsprodukt von 2,12 Prozent entsprechen würde. Die angestrebte Erhöhung auf 3 Prozent des BIP würde ungefähr 130 Milliarden Euro entsprechen, knapp ein Drittel des gesamten Bundeshaushalts.

Ein „progressives Update“ der Wirtschaft – mit welchen Mitteln?

Bei einem unveränderten fiskalischen Spielraum müsste also in anderen Ressorts deutlich gekürzt werden. Wo das genau sein soll, bleibt unklar. Von Einsparungen ist nur ein Mal im Programm die Rede: die immensen Mittel für die geforderte Transformation zur „resilienten Kreislaufwirtschaft“ sollen durch die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen gewährleistet werden. Eine Rechnung, die angesichts der im Wahlprogramm angekündigten „massiven“ Investitionen in erneuerbare Energien, klimafreundliche Technologien und nachhaltige Infrastruktur nicht aufgehen kann. Soll die Wirtschaft wie gefordert bis 2040 klimaneutral laufen, wird weit mehr Geld nötig sein, als diese Einsparungen generieren.

Vor allem aber werden die notwendigen materiellen und finanziellen Ressourcen für den „sozialverträglichen“ Umbau der Wirtschaft durch den Ukraine-Krieg entzogen, den Volt mit einer Ausweitung der Militärhilfe „aus einer Position der Stärke“ heraus beenden will. Ob und wann dies geschieht, soll indes die Ukraine eigenständig entscheiden dürfen. Die von Volt geforderten weiteren Sanktionen gegen Russland dürften wie bisher vor allem auf Europa zurückfallen. Unter dem jüngst verhängten Importverbot von Aluminium etwa, ein Schlüsselmaterial für erneuerbare Energien, dürfte auch das Aluminium-verarbeitende Gewerbe leiden

Ungeachtet dessen werden auch sonst im Wahlprogramm zahllose Mehrausgaben und Investitionen angekündigt. So sollen zum Beispiel Polizei- und Spezialkräfte sowie Ordnungsbehörden mehr Personal erhalten. Genauso soll die IT-Infrastruktur, die Taktung des ÖPNV, ein Hochgeschwindigkeitsnetz oder das Betreuungsangebot für Kinder und Pflegebedürftige „deutlich“ ausgebaut werden. Natürlich auch „Hilfsangebote und Präventionsmaßnahmen“ für straffällige Jugendliche oder „Sensibilisierungskampagnen“ sowie „unabhängige Beschwerdestellen“, um stärker gegen Diskriminierung vorzugehen. Und Teile der umlagefinanzierten Netzentgelte sollen zukünftig aus dem Bundeshaushalt gedeckt werden. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

Einsparungen mit BGE und negativer Einkommenssteuer?

Es ist kein bundesrepublikanisches Geheimnis, dass die nahezu von allen Parteien geforderten Mehrausgaben für Verteidigung zu Lasten des Sozialstaates gehen werden.

Kaum überraschend will auch Volt den Sozialstaat „effizienter“ machen. Und zwar auf radikale Art und Weise: Mithilfe eines existenzsichernden Grundeinkommens, ausgezahlt als negative Einkommenssteuer – eine Idee Milton Friedmans –, sollen offenbar ausreichend Gelder freisetzt werden. Negative Einkommenssteuer heißt: Wer weniger verdient oder gar kein Einkommen hat, erhält eine Zahlung vom Staat – also eine negative Steuer.

Durch die negative Einkommenssteuer werden gleichwohl klassische Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe ersetzt, weil sie einkommensabhängig automatisch eine Mindestsicherung bietet. Volt verspricht sich davon auf dünner empirischer Basis weniger Bürokratie und mehr Anreize, eine Arbeit aufzunehmen.

Da Volt keine Zahlen nennt, eine kurze Modellrechnung, auf deren Grundlage die geforderten Mittel für Investitionen in Rüstung und Klimaschutz trotz ausgeglichenen Staatshaushalts zu stemmen wären: Bei einer durchschnittlichen negativen Steuerzahlung von 6.000 Euro pro Jahr sowie den wegfallenden Sozialleistungen und bürokratischen Verwaltungsaufwand könnten die Ausgaben des Sozialstaates auf geschätzt 480 Milliarden Euro reduziert werden. Das wäre deutlich weniger als die bisherigen Sozialausgaben von gut 1,2 Billionen Euro (Stand 2023).

Doch bloße Zahlenspiele sind jenseits einer meist komplexeren Realität wenig wert. Weder ist diese „Vision einer solidarischen Einkommensteuer“ zurzeit politisch umsetzbar, noch wäre sie aus sozial- oder wirtschaftspolitischer Sicht wünschenswert. Eine negative Einkommensteuer ist de facto eine Subventionierung von Niedriglöhnen. Sie berücksichtigt ferner nur Einkommen, nicht aber besondere Bedürfnisse wie Behinderungen, hohe Wohnkosten in Ballungsräumen oder die Situation von Alleinerziehenden.

Der Sozialstaat, oder was dann noch davon übrig wäre, wird auf reine Geldtransfers reduziert. Soziale Sicherheit umfasst aber mehr als Einkommen, etwa Gesundheitsversorgung, Bildung oder Wohnraumförderung. Mit anderen Worten: Der Sozialstaat lebt vom Solidarprinzip, nicht nur von Geldüberweisungen.

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

Fazit: Das Wahlprogramm von Volt ist von gut gemeinten Absichtserklärungen durchzogen, die in ihrer Gesamtheit aber weder durchdacht noch finanzierbar oder stemmbar sind. Denkt man die in jederlei Hinsicht grenzenlose Volt-Welt des bloßen Mehrs zu Ende, stünden ähnlich disruptive Effekte zu befürchten, die auch schon die Ampel-Regierung vorzeitig scheitern ließen.

Forderungen nach „Investitionen in erneuerbare Energien, klimafreundliche Technologien und nachhaltige Infrastruktur“ lassen sich leicht stellen, denn wer bis auf die AfD will sie nicht? Eine „ganzheitliche Klimaschutzpolitik, eine nachhaltige und sozialverträgliche Transformation der Wirtschaft sowie die gezielte Förderung von klimaneutralem Wachstum und Innovation“ ist zwar längst nur noch eine Phrase, lässt aber bei jedem Klimaschützer das Herz höherschlagen. Doch all das bleibt Schall und Rauch, solange die fiskalischen und geopolitischen Voraussetzungen weder gegeben sind noch richtig analysiert werden.