Editorial

Rat der Ratlosen

| 03. März 2021
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Liebe Leserinnen und Leser,

die Bundesregierung kann sich bei der Besetzung eines vakant werdenden Postens beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht auf einen Kandidaten einigen. Die Konsequenz: Der bisherige Vorsitzende, Lars Feld, muss nach zehn Jahren im Gremium seinen Hut nehmen. Die SPD will einen jüngeren und – aus ihrer Sicht – weniger dogmatischen Ökonomen auf die Stelle setzen. Im Raum stehen Marcel Fratzscher oder Jens Südekum, der sich gegen eine Rückzahlung der Corona-Schulden ausspricht . Allein die CDU wollte unbedingt an Feld festhalten.

Die konservativen Medien schreien auf, hier werde unabhängige Expertise gegen politischen Opportunismus ausgetauscht. Der Sachverständigenrat, das „Eichmaß sozialer Marktwirtschaftlichkeit“, wie Ulf Poschardt in der Welt schreibt.

Ob solcher Lobeshymnen werde völlig verkannt, wie wenig Rat der Rat von heute der Politik anzubieten hat, meint hingegen Heiner Flassbeck. In den vergangenen zwanzig Jahren habe der Sachverständigenrat (SVR) alle großen makroökonomischen Themen verpasst oder wegen seiner ideologischen Ausrichtung nicht in angemessener Weise gewürdigt. So leiste der SVR nicht nur keinen Beitrag zur Politikberatung, sondern beschädige durch das permanente Abfeiern der herrschenden Lehre unmittelbar die Wissenschaft. Die Regierung aber brauche in makroökonomischen Fragen guten und sachverständigen Rat. Den könne sie von den „fünf Weisen“ leider nicht bekommen, übt Flassbeck scharfe Kritik.

Ein Fall für den Verfassungsschutz?

Ein Fall für den Verfassungsschutz ist der Rat, den drei Ökonomen in einem Gastbeitrag in der Zeit für die Reform der EU bereithalten. Findet zumindest Paul Steinhardt. Denn statt an Fiskalregeln soll sich jetzt eine solide Fiskalpolitik in Europa gleich direkt an der Schuldentragfähigkeit bemessen. Die Gefahr, dass ein Mitgliedstaat, seine Schulden nicht mehr zurückzahlen kann, sei so groß, dass sie die „Stabilität anderer Mitgliedstaaten und letztlich die des Euro“ gefährde, schreiben Olivier Blanchard, Álvaro Leandro und Jeromin Zettelmeyer.

Über das konkrete Ausmaß der Gefahr soll ein Gremium von Experten entscheiden dürfen. Blanchard, Leandro und Zettelmeyer schlagen daher vor, dass „die Einhaltung [von] Fiskalstandards von unabhängigen, durch europäisches und nationales Recht ermächtigten Fiskalinstitutionen überwacht wird“. In anderen Worten, neben der EZB sollen weitere „unabhängige“ Institutionen geschaffen werden, die vom Einfluss demokratisch legitimierter Institutionen auf die Fiskalpolitik abgeschirmt sind.

Nur welche normativen Standards könnte man ins Feld führen, fragt sich Steinhardt, um die Vorschläge der Ökonomen nicht als einen Aufruf zum Putsch gegen die Demokratie bezeichnen zu müssen?

Das Ende der Geldpolitik?

Schlecht beraten sind auch die Zentralbanken, wenn sie sogenannte Stablecoins von privaten Währungssyndikaten als Parallelwährung akzeptieren, argumentiert Joseph Huber. Wir stünden heute vor einer epo­cha­len Wegscheide, ob nämlich das digitale Vollgeld der Zentralbanken mit der Zeit zum dominanten und systembestimmenden Geld der Zukunft wird, oder aber private Stablecoins an Bedeutung zunehmen. Das wäre eine Welt, prognostiziert Huber, in der es die Zentralbanken als Währungsorgane noch geben könnte, aber in beschränkter Funktion eines Rettungsfinanziers letzter Instanz.

Die Alternative: die Digitalisierung des Geldes dafür zu nutzen, die staatliche Währungshoheit zu erhalten, sie in Form digitalen Zentralbankgelds auch wieder mit monetärer Substanz auszustatten und so die faktisch unregierbare Komplexität eines Systems mit Privatgeldern wirksam einzudämmen oder überhaupt zu überwinden.

Falls das nicht gelingt, werde es Geldpolitik im heutigen Sinn künftig nicht mehr geben. Dass Währungshoheit auch Geldhoheit beinhalten muss, scheine in der Politik noch nicht ganz durchgesickert. Stablecoins wie die Facebook-Währung Diem , so Huber, seien ein 'Wolf im Schafspelz', die dem Zentralbankgeld im gleichen Sinn Konkurrenz machen wie bisher schon das Bankengeld.

Das Ende einer Erzählung

In allgemeine Ratlosigkeit hat uns die Corona-Krise gestürzt, die zugleich auch eine Krise der Globalisierung ist. Weil diese so fundamental ist und alle Lebens- und Arbeitsbereiche erfasst, hat sie in der Mitte der Gesellschaft einen regelrechten Paradigmenwechsel ausgelöst, so die These von Ulrich Menzel. Sie zeigt, in welche Abhängigkeiten und Verletzlichkeiten wir dank der Lieferketten geraten sind.

Das wurde manifest, als sich offenbarte, dass China nicht nur der Ursprung des Virus ist, sondern auch das Monopol besitzt auf die Fertigung von Gesichtsmasken, Schutzanzügen und medizinischem Gerät, sogar auf die Produktion von Wirkstoffen, die in der hiesigen Pharmaindustrie verarbeitet werden. Werkstillegungen waren nicht nur das Resultat von Prävention, sondern auch ausbleibender Komponenten aus Übersee. Der Spargel verdorrte, weil die Spargelstecher aus Rumänien nicht einreisen durften. Ganze Branchen, die Luftfahrt, die Kreuzfahrt und die Clubs des Ferntourismus, aber auch die Flugzeugbauer und Werften samt deren Zulieferern stünden ohne staatliche Hilfe vor dem Ruin, weil sie an der Globalisierung hängen.