Digitales Zentralbankgeld

Digitaler Euro – Die Geister, die man ruft

| 14. März 2024
IMAGO / Ikon Images

Die geplante Einführung des digitalen Euros ist Ausdruck eines Machtkampfes zwischen Plattformgiganten, Zentral- und Geschäftsbanken. An dessen Ende könnte ein anderes Geldsystem stehen.

Auf die Frage „Wissen Sie Genaueres über den Digitalen Euro und warum es diesen geben soll“ dürfte man von 90 Prozent der Bundesbürger zur Antwort bekommen: „Ich habe zwar davon gehört, aber was das ist und wozu dieser dienen soll, kann ich Ihnen nicht sagen“. Unbestritten ist die EZB in Veröffentlichungen um Erklärungen bemüht. Wie ungenügend diese Versuche aber sind, macht eine Befragung des Bundesverbandes deutscher Banken vom Sommer 2023 deutlich. Weniger als ein Drittel hat nur teilweise etwas konkretere Vorstellungen. Daran hat sich bis zur jetzigen Stunde nicht viel verändert.

Will man sich selbst über den digitalen Euro Klarheit verschaffen, sind Texte der EZB oder der Bundesbank wenig hilfreich, da sie so gut wie keinen kritischen Spielraum eröffnen. Ein Beispiel:

„Ein digitaler Euro wäre eine Neuerung, die das Leben erleichtert: ein im gesamten Euroraum allgemein akzeptiertes digitales Zahlungsmittel, das in Geschäften, online oder zwischen Privatpersonen verwendet werden kann. Genau wie Bargeld wäre er risikofrei, weithin verfügbar und nutzerfreundlich. Zudem wäre die grundlegende Nutzung kostenlos.“

Was gibt es noch zu diskutieren, wenn der E-Euro so viel Gutes bringt? Beim ratgeber.de der Sparkassen gibt es einen längeren Infotext mit dem verheißungsvollen Titel „Was genau ist der Digitale Euro – und was bringt er?“ Dort ist zu erfahren, dass die Europäische Zentralbank an einer digitalen Währung arbeitet, die das Bargeld ergänzen soll.

Viele Fragen und Unklarheiten

Soll die digitale Währung das Bargeld nur ergänzen, dann müsste die Menge von Scheinen und Münzen größer sein als die digitale Geldmenge, die ergänzend hinzukommt. Allerdings wird das (physische) Bargeld immer weniger benutzt. Auch die Sparkassen befürworten die Abschaffung des Bargeldes. Es scheint, dass digitales Geld das Bargeld, das zunehmend verschwindet, immer mehr ersetzt.

Der digitale Euro soll den Zahlungsverkehr im internationalen Handel und im Internet einfacher und vor allem schneller machen. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht schon genügend Möglichkeiten gibt, um schnell zu zahlen. Welchen zusätzlichen Nutzen bringt hier der E-Euro?

Tatsächlich will nicht nur die EU digitales Geld auf den Markt bringen: Auch die USA, Kanada, China und andere Länder arbeiten an eigenen E-Währungen. Doch es gibt Unterschiede. Während sich China sich voll einer staatlichen digitalen Währung verschrieben zu haben scheint, entscheiden sich in Kanada Millionen für Privacy Coins wie Monero, Dash und ZCash statt für eine digitale Währung ihrer Zentralbank. In den USA haben Politiker in beiden Kammern des Kongresses Gesetzentwürfe eingebracht, die sicherstellen sollen, dass eine digitale Währung nicht das Licht der Welt erblicken wird. Warum also will Europa unbedingt einen DE? Nimmt es sich China zum Vorbild?

Laut einer EZB-Studie legen die Menschen in der EU bei einer digitalen Währung nicht nur Wert auf Geschwindigkeit, sondern auch auf Anonymität: Fast die Hälfte der Befragten wünscht sich den Schutz der Privatsphäre. Nun aber sagt selbst die EZB-Präsidentin Christine Lagarde, dass eine digitale Währung „nie so anonym sein [wird] wie Bargeld. Deshalb wird es Bargeld immer geben“.

Will die EZB überhaupt eine uneingeschränkte Anonymität – Stichwort Geldwäsche? Von der sogenannten offline-Funktion des E-Euro heißt es, dass diese Zahlungsweise direkt von Gerät zu Gerät identisch mit der physischen Bargeldzahlung sei. Wer wem wie viele digitale Euros gebe, könne offline nicht nachverfolgt werden. Und dennoch handelt es sich hierbei nur um ein Versprechen von Lagarde, das kaum eingehalten werden kann, denn die für die jeweilige Transaktion eingesetzten Endgeräte können ausgelesen werden, etwa wenn sie beschlagnahmt werden. Bei der offline-Nutzung wird zudem ein Smartphone verwendet, das auf einen funktionierenden Akku und Stromzufuhr angewiesen ist. Schließlich soll der Zahlungsbetrag wegen Geldwäschevorschriften sehr stark begrenzt sein. Es bleiben also zur Anonymität noch viele Fragen offen.

Noch ist nicht klar, wie der digitale Euro aussehen wird. Derzeit scheint die EZB eher ein weiteres Zahlverfahren zu entwickeln als eine digitale Währung. Das steht im Widerspruch zur Aussage, „Die Europäische Zentralbank arbeitet an einer digitalen Währung, die das Bargeld ergänzen soll“. In einem Gesetzentwurf der EU-Kommission wird begründet, warum der digitale Euro notwendig sein soll:

„Der Hauptgrund für die (…) Schaffung des Digitalen Euro besteht darin, dass Zentralbankgeld in physischer Form, d. h. Bargeld, im digitalen Zeitalter allein nicht ausreicht, um die europäische Wirtschaft zu stützen.“

Auch das macht stutzig, denn die Menge des E-Euro kann nur verschwindend gering sein. Die Geschäftsbanken und Sparkassen wehren sich vehement dagegen, dass sich auf den Zentralbankkonten, die sie für ihre Girokonteninhaber einrichten müssen, zu viele E-Euros ansammeln. Im Moment ist von 3000 Euro Obergrenze die Rede. Eine weitere Absenkung ist nicht auszuschließen. Unternehmen dürfen überhaupt nichts dort ansammeln lassen. Wie soll es mit solch geringen Mengen möglich sein, „die europäische Wirtschaft zu stützen“?

Bargeld genüge nicht, um die Anforderungen einer sich rasch digitalisierenden Wirtschaft gerecht zu werden, heißt es hingegen in dem Entwurf der Kommission. Dazu würden auch Elemente der Industrie 4.0 gehören, etwa das Zahlen von Maschine zu Maschine, die an vertragliche Bedingungen geknüpft sind. Erst wenn diese erfüllt sind, was automatisiert geprüft werden kann, wird das Geld transferiert oder freigegeben (Smart Contracts).

Nun findet man Behauptungen wie die, dass "Smart Contracts (intelligente Verträge) [...] programmiert und in einer Blockchain gespeichert“ werden oder dass Smart Contracts programmierte „Wenn-Dann-Bedingungen“ sind. Auch in einem Text der Sparkasse erfährt man: Ein Digitaler Euro könnte die Grundlage für neue Finanzinnovationen legen, beispielsweise für intelligente Verträge oder programmierbare Geldfunktionen, die automatisierte Zahlungen und Finanzabläufe ermöglichen. Die EZB behauptet dagegen steif und fest, ein digitaler Euro wäre unter keinen Umständen programmierbares Geld. Was nun?

Die EZB glaubt außerdem, der digitale Euro würde zur strategischen Autonomie Europas beitragen. Mit ihm könne „möglicherweise eine Alternative geschaffen werden für Zahlungen, die momentan von US-amerikanischen Anbietern wie Visa, Mastercard, Apple und PayPal abgewickelt werden“.

Anders die Volkswirte Peter Bofinger und Thomas Haas, die in einem Gutachten zum Ergebnis kommen, dass die Zahlungsdienstleister nicht gezwungen werden können, ein Kommunikationssystem für die digitalen Euro-Konten bereitzustellen. Da diese schon längst gut funktionierende digitale Bezahlsysteme haben, könne es der EZB passieren, dass sie am Ende ohne Hauptdarsteller dastehe. Überschätzt also die EZB nicht in erheblichem Maße die Attraktivität des E-Euro und ihre Möglichkeiten gegenüber den US-Giganten generell?

Kampfansage an das Giralgeld

Christine Lagarde unterstrich auf dem Sparkassentag, dass die Banken und Sparkassen beim Bereitstellen eines Zugangs zum digitalen Euro nicht von der Zentralbank verdrängt würden. Wie aber genau das möglich sein soll, bleibt bisher ebenfalls ungeklärt und klingt eher nach einer beschönigenden Verschleierung des größten Problems, mit dem sich die EZB bei der Einführung des digitalen Euros konfrontiert sieht. Und so steht die Aussage Lagardes denn auch im Kontrast zu den Sorgen der Sparkassen:

„Dennoch geht mit dem Digitalen Euro ein gewisses Risiko einher. Wenn die Bürgerinnen und Bürger zu große Summen in Digitale Euro tauschen, könnten Sie dafür das Geld bei Ihren bisherigen Banken abziehen. Diese benötigen die Einlagen jedoch, um damit Kredite zu vergeben und die Wirtschaft liquide zu halten. Daher wird eine Grenze diskutiert, bis zu der der Digitale Euro als Wertaufbewahrungsmittel genutzt werden kann. Es könnte also ein Haltelimit geben, das festlegt, wie viele Digitale Euro Sie besitzen dürfen, damit die Finanzmarktstabilität gewährleistet bleibt.“

Mit anderen Worten: Die Geschäftsbanken betrachten den digitalen Euro als Kampfansage an ihr Giralgeld. Sie müssen nicht ohne Grund befürchten, dass die Girokonteninhaber ihr Giralgeld abziehen und es auf ihr Zentralbankkonto verschieben, wo es in den E-Euro umgewandelt wird. Dort ist ihr Geld sicherer, weil die Zentralbank als Sicherheitsgarant fungiert und es so gegen Nennwertverluste geschützt ist. Die Banken tun deshalb alles, um das Haltelimit des E-Euro auf den Zentralbankkonten so tief wie möglich zu drücken.

Aber – warum begründet Lagarde in geradezu vorauseilendem Gehorsam die Abwehrhaltung der Geschäftsbanken mit einem Argument, das ein uraltes neoliberales Klischee der Bankenwelt bedient: Sie würden die Einlagen benötigen, um Kredite zu vergeben. Die Bundesbank hat 2017 eindeutig klargestellt, dass das nicht der Fall ist. Geschäftsbanken schöpfen das Geld für die Kredite selbst. Der digitale Euro stellt in letzter Konsequenz dieses private Geldschöpfungsmonopol in Frage. Das spanische Ex-Mitglied des EZB-Rates der Europäischen Zentralbank Miguel Ángel Fernández Ordóñez bringt das in seinem Buch Adiós a los bancos (2020) genau auf den Punkt.

Machtspiel zwischen Plattformgiganten, Zentral- und Geschäftsbanken

Die Zentralbank möchte den Anschluss an die ungeheuren Innovationskräfte im digitalen Zahlungsverkehr nicht verlieren. Als Wertstabilisator ist sie aber zur Erfüllung der Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes „verdonnert“, was durchaus in Ordnung ist. Im Zahlungsverkehr geht es um die Zirkulation des Geldes. Die vom großen Privatkapital zugewiesene Hauptaufgabe einer Zentralbank besteht darin, dafür zu sorgen, dass dessen angehäufte Geldberge nichts an Wert verlieren. Um zugleich mit den Innovationskräften mithalten zu können, muss man in der Zahlungsdienstleistung aktiv sein. Dort besteht der engste Kontakt zum Kunden und zum Markt. Dieser Kontakt generiert Innovation, weil es um die größtmögliche Befriedigung immer neuer Zahlungsbedürfnisse geht. Und um die Rendite natürlich auch.  

Die größten Profiteure dieses Kontaktes sind bisher die US-amerikanischen Zahlungsdienstleistungs- und Plattformgiganten wie Google Pay, Apple Pay, Paypal oder Amazon. Bemühungen von europäischen Zahlungsdienstleistern und Banken wie die der EPI (European Payments Initiative) stellen bis zur Stunde kein nennenswertes Gegengewicht gegen die US-amerikanische Dominanz dar. Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Zahlungsdienstleistern allerdings, dass sie die Zentralbanken nicht in ihrem Gehege haben wollen. In einer digitalen Währung wie dem E-Euro sehen sie die Gefahr, dass die Zentralbank sich einen direkten Kontakt zum Kunden und damit zum Zahlungsverkehr verschafft.

Andererseits wissen die privaten Zahlungsdienstleister – spätestens nach dem Fiasko von Facebook (heute Meta) mit seinem privaten Geld namens Libra – die Existenz einer stabilen Währung zu schätzen.

Einen Kompromiss stellen Stablecoins dar. Es handelt sich hierbei um privates Geld, das aber via Giralgeld durch Zentralbanken abgesichert ist. Ein legales Kryptogeld, das die Zentralbanken nicht so verdammen wie den Bitcoin, der völlig aus dem Ruder läuft. Der Bitcoin wirbt damit, dass er sich der „Zwangseinrichtung Staat“ entzieht, was natürlich in der libertären Denkschule der Krypto-Szene gut ankommt.

Die Geschäftsbanken befinden sich im Macht- und Ränkespiel um den digitalen Euro zwischen Baum und Borke. Einerseits verdanken sie die Existenz ihres Geldes – des Giralgeldes – und damit ihre Existenz schlechthin der Sicherung durch das Zentralbankgeld. Andererseits haben sie viel realistischere Möglichkeiten als Zentralbanken, am Geschäft der Zahlungsdienstleistung zu partizipieren. Sie werden in den nächsten Jahren massiv damit beschäftigt sein, ihren Rückstand gegenüber den großen Zahlungsdienstleistern aufzuholen. Dabei erwartet sie eine unerbittliche Konkurrenz.

Zwei Prognosen lassen sich wagen: Erstens, das klassische Kreditgeschäft wird auf mittlere und lange Frist an Gewicht verlieren und sich immer stärker in den Schattenbankensektor verlagern, der jetzt schon weltweit 50 Prozent der Kreditgeschäfte abdeckt. Zweitens, die Zirkulationsfunktion des Geldes wird ein immer stärkeres Gewicht gegenüber der Wertaufbewahrungsfunktion bekommen. Damit realisieren sich immer mehr Vorstellungen genialer Geldtheoretiker wie Silvio Gesell und John Maynard Keynes der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Geld wird seiner – mit Verlaub – „wahren“ Bestimmung gerecht, indem es so ungestört wie möglich zirkuliert. Hortung und Akkumulation sind Störfaktoren.

Die Zentralbanken wiederum wollen und dürfen in diesem Machtspiel nicht das Nachsehen haben. Ihre Aufsichtsfunktion über das Geld- und Finanzsystem ist unerlässlich. Sie muss aber stärker sein als die „unsichtbare Hand des Marktes“. Zinspolitik allein ist unzureichend. Wie sie ihrer Aufgabe zukünftig gerecht werden können, lässt sich schwer voraussagen, auch eine Schwächung ihrer Rolle ist durchaus möglich.

Miguel Ángel Fernández Ordóñez plädiert dafür, das Giralgeld durch Zentralbankgeld zu ersetzen. Er ist realistisch genug, um zu wissen, dass das nicht von heute auf morgen geschehen kann. Noch balgen sich Zentralbanken und Geschäftsbanken darum, ob lächerliche 3000 E-Euro auf die an die Giralkonten angeschlossenen Zentralbankkonten der Bürger fließen dürfen.

Krasser können sich die Gegensätze innerhalb dieses Systems nicht darstellen. Es zeichnet sich ab, dass die E-Euros, die in die Zirkulation fließen, vor allem Kompensationszahlungen sein werden. Sei es in Form sozialer Ausgleichszahlungen oder von Fördergeldern, die für lahmende Unternehmen bestimmt sind. Neoliberale Hardliner werden beides als Eingriff in das Marktgeschehen bzw. die Geldzirkulation des Marktes verteufeln.