Ein olivgrünes Wirtschaftswunder?
Das große Finanzpaket, mit dem der Staat über neue Schulden Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben in Milliardenhöhe vornehmen will, kann in Kraft treten. Doch es stellt sich die Frage, ob die Prioritäten richtig gesetzt wurden.
Nachdem sich Union, SPD und Grüne auf ein schuldenfinanziertes Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur verständigt hatten, stimmten die Abgeordneten von Bundestag und Bundesrat den dafür notwendigen Grundgesetzänderungen in der letzten Woche mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu. Künftig sind alle Verteidigungsausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen, von der Schuldenbremse ausgenommen. Die Grünen haben durchgesetzt, dass noch weitere Sicherheitsausgaben (Zivilschutz, die Nachrichtendienste, die Cyberabwehr sowie die Hilfen für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten) unter diese Regelung fallen.
Hinzu kommt ein Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro und einer Laufzeit von zwölf Jahren, wovon 100 Milliarden Euro für die Länder und 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) vorgesehen sind. Aus dem KTF soll insbesondere der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft gefördert werden. Schließlich erhalten die Länder die Möglichkeit, sich jährlich in Höhe von 0,35 Prozent des BIP zu verschulden. Bislang ist es ihnen gesetzlich untersagt, neue Schulden aufzunehmen.
Priorisierung der Verteidigungsausgaben
Die geplanten Infrastrukturinvestitionen sind angesichts maroder Straßen und Brücken, eines überlasteten und veralteten Streckennetzes der Bahn, unzureichender oder veralteter Busse und Straßenbahnen vor allem in ländlichen Regionen, sanierungsbedürftiger Schulgebäude, mangelhafter digitaler Infrastruktur etc. sinnvoll und richtig.
Für die jetzt mögliche drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben gilt dies nicht. Es gibt keinerlei seriöse Belege dafür, dass die immensen zusätzlichen Summen für das Militär, die vorgesehen sind, tatsächlich notwendig sind. Die Bedrohungsszenarien durch Russland, die hierzulande von vielen Medien gezeichnet werden, sind irreal.[1]
Problematisch ist besonders die Priorisierung der Militärausgaben im Finanzpaket von Union, SPD und Grünen. Es ist nicht einsichtig, warum Verteidigungsausgaben jeglicher Höhe, die ein Prozent der Wirtschaftsleistung überschreiten, nicht mehr unter die Schuldenbremse fallen, gleichzeitig aber das Sondervermögen für Infrastruktur gedeckelt wird. Ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro mag immens hoch erscheinen, ist es aber über zwölf Jahre verteilt nicht. Tom Krebs und Isabella Weber schreiben zu Recht:
„Wenn die nationalen Verteidigungsausgaben das derzeitige Ziel von 3 % des BIP pro Jahr erreichen, dann können nach den neuen Regeln Militärausgaben in Höhe von 2 % des BIP schuldenfinanziert werden. Im Gegensatz dazu ist die Defizitfinanzierung für Infrastrukturinvestitionen auf 0,8 % des BIP pro Jahr begrenzt, und für Klimainvestitionen beträgt die Defizitgrenze nur 0,2 % des BIP pro Jahr“ (diese und alle folgenden Übersetzungen durch mich, G.G.).
Man könnte ergänzen, dass die genannten Verteidigungsausgaben von drei Prozent des BIP pro Jahr vielleicht sogar noch übertroffen werden, da manche Politiker hierzulande dies bereits fordern und US-Präsident Donald Trump fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung in den NATO-Staaten verlangt.
Der Einfluss Schularicks
Die Priorisierung der Militärausgaben trägt eindeutig die Handschrift von Moritz Schularick, dem Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Schularick und einige Mitstreiter trommeln seit vielen Monaten für deutlich höhere Verteidigungsausgaben, die es in einer geopolitisch schwierigen Zeit ermöglichten, zwei Ziele gleichzeitig zu erreichen: „Mit mehr Rüstungsausgaben das Wachstum ankurbeln und Tyrannen mehr Stirn bieten.“
Schularick und drei weitere Ökonomen (Clemens Fuest, Jens Südekum und Michael Hüther) haben mit einem gemeinsam erstellten Papier dem Finanzpaket den Weg bereitet. CDU-Chef Friedrich Merz berief sich bei der Darlegung, warum sein Schuldenplan richtig sei, ausdrücklich auf sie: „Das sagen uns die vier namhaftesten Ökonomen dieses Landes“ (zitiert nach Handelsblatt vom 19.03.2025).
Schularicks Positionen finden offenbar in weiten Teilen der Medien Zustimmung. So unterstützt etwa das Handelsblatt die Forderung nach Milliarden an zusätzlichen Rüstungsgeldern zur Wirtschaftsbelebung und titelt ganz im Sinne des IfW-Chefs: „Es kann ein olivgrünes Wirtschaftswunder geben.“
Zustimmung erhält Schularick ebenso von Ethan Ilzetzki von der „London School of Economics“, der in einer mit finanzieller Unterstützung des IfW entstandenen Studie untersucht, wie sich eine Erhöhung der Militärausgaben auf eine Volkswirtschaft auswirkt. Ilzetzki stellt als ein wichtiges Ergebnis fest: „Die langfristigen Produktivitätsgewinne durch Militärausgaben können erheblich sein“ (Ilzetztki 2025, S. 1).
Der unreproduktive Charakter von Rüstungsgütern
Hier stellt sich gleich die Frage, wie dies möglich sein soll: Die Arbeitsproduktivität wird wesentlich durch Prozessinnovationen erhöht, also durch neue oder merklich verbesserte Fertigungs- und Verfahrenstechniken. Die Einführung solcher Prozessinnovationen basiert primär auf den im Investitionsgüterbereich erzeugten Produktinnovationen. Das heißt, eine technische Neuerung bei einem Investitionsgut ist für den Hersteller eine Produktinnovation, für den Anwender der technischen Neuerung dagegen eine produktivitätssteigernde Prozessinnovation. Wie aber sollen neu entwickelte Kampfpanzer, Bordkanonen oder Lenkflugkörper eines Rüstungskonzerns in der Produktion anderer Unternehmen oder Industrien Anwendung finden und dort zu Produktivitätsgewinnen führen?
Dies verweist auf ein grundlegendes Problem von Rüstungsgütern. Zwar gelten mit der Revision des internationalen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auch militärische Waffensysteme als Investitionen. Das ändert aber nichts an ihrem unreproduktiven Charakter. Als unreproduktiv werden diejenigen Gebrauchswerte bezeichnet, die nicht von neuem in den Produktionsprozess eingehen, die sich weder in der gleichen noch in einer anderen stofflichen Form reproduzieren und die also weder Produktionsmittel noch Lohngüter sind. Ausgaben – auch solche des Staates – für unreproduktive Gebrauchswerte sind dementsprechend unreproduktive Ausgaben.
Während reproduktive Staatsausgaben – beispielsweise Verkehrs- und Energieinfrastrukturausgaben oder Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Wohnungswesen etc. – der gesellschaftlichen Reproduktion des Kapitals (bzw. der Herstellung bestimmter allgemeiner Bedingungen dieser Reproduktion auf der Ebene des realen Produktionsprozesses) sowie der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeitskraft dienen, trifft dies für unreproduktive Staatsausgaben – also unter anderem für Militärausgaben – nicht zu (vgl. dazu ausführlicher hier).
Gerade Rüstungsgüter sind bezüglich des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses ökonomisch betrachtet funktionslos. Da sie als unreproduktive Waren nicht wieder in den Reproduktionsprozess des Kapitals eingehen, steigern sie auch nicht die Arbeitsproduktivität. Ganz anders die reproduktiven Staatsausgaben: Zahlreiche Studien zeigen, dass zum Beispiel Infrastrukturinvestitionen langfristig das Wachstum fördern, da sie Brücken, Straßen-, Schienen- und Telekommunikationsnetze und anderes öffentliches Kapital schaffen, das die Produktivität der Beschäftigten in der Volkswirtschaft insgesamt im Laufe der Zeit erhöht (vgl. z.B. Aschauer 1989a und 1989b; Munnell 1990; Lynde/Richmond 1992 und 1993; Nourzad/Vrieze 1995; Heintz 2010 sowie die Meta-Analyse von 68 vorherigen Studien, durchgeführt von Bom/Ligthart 2014).
Die Art der Staatsausgaben ist wichtig
Wenn es also darum geht, Produktivität und Wachstum zu erhöhen, ist eine Erhöhung der reproduktiven Infrastrukturausgaben zweifellos effektiver als eine Steigerung der unreproduktiven Militärausgaben.[2] Das sieht der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) offenbar anders. Er plädiert – allein und mit Co-Autor – in einer Reihe von Publikationen dafür, mit einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und den Wohlstand zu steigern (vgl. z.B. Schularick 2024 und Schularick/Ferguson 2024). Aufrüsten für den Wohlstand lautet der Titel eines Beitrags von Schularick, der gewissermaßen das Programm vorgibt. Sein Unterstützer, der bereits erwähnte Ethan Ilzetzki, argumentiert: „Es ist relativ unstrittig, dass höhere Staatsausgaben (einschließlich Militärausgaben) zu mehr Beschäftigung und Produktion führen“ (Ilzetzki 2025, S. 12).
Das ist zwar richtig, heißt aber nicht, dass die Effekte aller Arten von Staatsausgaben gleich sind. Vor allem langfristig können die Wirkungen öffentlicher Ausgaben vielmehr höchst unterschiedlich sein, je nachdem, wofür diese Ausgaben getätigt werden.
Auf diesen Punkt weist auch L. Randall Wray hin, einer der Begründer der Modern Monetary Theory (MMT). Mit Bezug auf den bedeutenden US-amerikanischen Ökonomen Hyman Minsky, der ähnlich argumentierte, mahnt er eine stärkere Beachtung der Zusammensetzung der Staatsausgaben an. Nach Wray reicht die allgemeine Regel, dass der Staat mehr ausgeben müsse, wenn Arbeitslosigkeit herrsche, nicht aus; wichtig sei auch die Art der Ausgaben:
„Es ist eine Tendenz zu beobachten, eine „Einheitsgröße“ für Politikempfehlungen anzubieten – wie etwa höhere Defizite als Antwort auf ein schleppendes Wachstum. Wohin die Ausgaben gelenkt werden, kann aber wichtiger sein als das Ausmaß einer fiskalischen Reaktion – ob diese nun eine Steuersenkung oder eine Erhöhung der Ausgaben ist“ (Wray 2024, S. 220; Hervorhebung durch den Verf.).
Eher Inflations- als Wachstumstreiber
Minsky selbst hatte sehr klar erkannt, dass es sich bei Militärausgaben um unreproduktive Ausgaben handelt (auch wenn er diesen Begriff nicht verwendet). Er schreibt:
„Ein Arbeitnehmer, der Arbeitslosenunterstützung erhält, bezieht Gelder, ohne einen aktuellen Beitrag zur Produktion zu leisten. [...] Die Lohn- und Gehaltssumme für das Militär sowie die Einnahmen aus Rüstungsaufträgen sind empfangene Einkommen, die keinen Beitrag zur laufenden nützlichen Produktion leisten, und sind mindestens so inflationär wie Transferzahlungen“ (Minsky 1986, S. 20).
An anderer Stelle kritisiert Minsky die hohen Verteidigungsausgaben der USA, die er nach der damaligen Definition des Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen korrekt als „kollektiven Konsum“ bezeichnet:
„Unsere große Regierung ist „groß“ wegen der Transferzahlungen und der Verteidigungsausgaben. [...] Abgesehen von der Beteiligung der Regierung an Bildung und Forschung unterstützen die grundlegenden Ausgabenprogramme der Regierung entweder den privaten Konsum oder sorgen für die Verteidigung, was ‚kollektiver Konsum‘ ist. Während unsere Bundesregierung mehr als 20 Prozent des Bruttosozialprodukts ausgibt, verschlechtert sich ein Großteil der physischen und intellektuellen Infrastruktur der Wirtschaft. Nur sehr wenig von den Ausgaben der Regierung schafft öffentliches Kapital, das die Produktivität des privaten Kapitals erhöht“ (Minsky 1982, S. xxiiif).
Minskys Einschätzung, dass von unreproduktiven Staatsausgaben für das Militär eine besondere Inflationsgefahr ausgeht, erscheint plausibel. In jedem Fall ist der inflationäre Effekt von Militärausgaben größer als derjenige reproduktiver Staatsausgaben, also etwa der erwähnten Ausgaben für Infrastruktur.
Denn kleinere, schnell einsatzbereite Infrastrukturprojekte führen zu einem Anstieg der Produktion, der einer Inflation entgegenwirkt. Größere Infrastrukturinvestitionen, deren Fertigstellung mehrere Jahre dauert – wie zum Beispiel der Bau einer Brücke, eines Staudamms oder eines Flughafens –, können inflationär wirken, solange sie noch nicht abgeschlossen sind, aber wenn sie in Betrieb genommen werden, führen sie zu einer dauerhaften Zunahme der Produktion. Militärausgaben erhöhen die absetzbare Produktion weder kurzfristig noch langfristig. Insofern sind sie mit einem relativ großen Inflationsrisiko verbunden, tragen aber nichts zur nützlichen Produktion bei, wie es Minsky ausdrückt.
Auch die einflussreiche britische Ökonomin Joan Robinson hätte sich wohl kaum der Meinung Schularicks angeschlossen, der laut Handelsblatt behauptete: „Rüstungsinvestitionen sind Wachstumstreiber.“ Ganz im Gegenteil merkte sie zu den ökonomischen Aspekten von Rüstungsausgaben bissig an:
„Investitionen in Rüstungsgüter tragen noch weniger zur Produktionskapazität bei, wenn sie genutzt werden, als wenn sie ungenutzt bleiben, während Investitionen in die Basisindustrie eine Steigerung privater Investitionen ermöglichen und die Spirale eines sich selbst antreibenden Wachstums in Gang setzen“ (Robinson 1979, S. 125).
Spillover-Effekte?
Die Kieler Autoren und ihre Unterstützer begründen nun ihre These, dass Militärausgaben positive Wachstums- und Wohlstandseffekte hätten, auch damit, dass technologischer Fortschritt in der militärischen Produktion mit „positiven externen Effekten“ verbunden sei, die dem zivilen Sektor zugutekämen. Gemeint sind vor allem Spillover-Effekte von Forschung und Entwicklung. Als ein Beispiel unter mehreren nennen Schularick/Ferguson „die Durchbrüche beim Düsenantrieb für Flugzeuge und Raketen“, die „ihren Ursprung im militärischen Bereich in den 1940er Jahren“ gehabt hätten.
Doch das ist weitgehend Vergangenheit. So räumt Michael Brzoska vom SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) ein, dass es zwar eine Zeit gab, zum Beispiel in den 1940er und 1950er Jahren, in der die Militärforschung die Wirtschaft in starkem Maße angeregt habe. Studien ab den 1960er Jahren kämen jedoch zu dem Schluss, dass die Verteidigungsforschung das Wirtschaftswachstum weniger effektiv stimuliere als die zivile Forschung. Darüber hinaus bestätigten Fallstudien zu bestimmten Industriezweigen wie Elektronik und Informationstechnologien die führende Rolle der zivilen Forschung.
Veränderte Richtung des Technologietransfers
Wie Jörg Weingarten, Peter Wilke und Herbert Wulf in einer Untersuchung zur Zukunft der deutschen wehr- und sicherheitstechnischen Industrie mit Recht feststellen, besteht in neueren Untersuchungen inzwischen Einigkeit darüber, dass sich die frühere Richtung des Technologietransfers vielfach umgekehrt hat. Seit den 1990er Jahren beeinflussen Innovationen im zivilen Bereich – vor allem in der IT und Elektronik – zunehmend militärische Anwendungen. So finden etwa technologische Neuerungen bei Smartphones, elektronischer Bildtechnik und IT-Software nach erfolgreicher Einführung auf zivilen Märkten ihren Weg in die Fortentwicklung militärischer Produkte.
Ähnlich die Beurteilung im CNTR[3] Monitor 2024: „Obwohl es sicherlich Gegenbeispiele gibt, lässt sich allgemein sagen, dass die treibenden Kräfte hinter der Entwicklung von Hightech-Technologie während des Kalten Krieges sehr oft militärische Entwicklungen waren, die dann ihren Weg in zivile Anwendungen fanden. Dieses Verhältnis änderte sich nach den 1990er Jahren, insbesondere im Bereich der Mikroinformatik und der Telekommunikation“ (Göttsche/Daase 2024, S. 8). Heutzutage werden Technologien, die später im militärischen Bereich eingesetzt werden, oft zuerst im zivilen Bereich entwickelt.
Das gilt übrigens auch für die Künstliche Intelligenz (KI). Auch ihr Ursprung liegt im zivilen Bereich, insbesondere in der akademischen Forschung (als Geburtsstunde der KI gilt im Allgemeinen die „Dartmouth Conference“ von 1956). Zwar hatten auch das Militär bzw. die Rüstungsunternehmen früh das Potenzial der KI erkannt und in spezielle Anwendungsbereiche investiert (vor allem für strategische Zwecke), aber in den letzten zwei Jahrzehnten ist die Führungsrolle eindeutig auf den zivilen Bereich übergegangen: Die allermeisten und wichtigsten Innovationen im Bereich der Künstlichen Intelligenz sind zivilen Ursprungs. Die Rüstungsunternehmen beschränken sich meist darauf, bereits existierende Technologien zu übernehmen und für ihre Zwecke anzupassen (vgl. z.B. Hauner 2024).
Direkte Forschungsausrichtung ist sinnvoller
Aber selbst wenn man der militärischen Forschung und Entwicklung (weiterhin) eine wesentliche Bedeutung für den technischen Fortschritt und damit – sozusagen auf Umwegen – für das Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum zuschreibt: Unstrittig sollte sein, dass es eine sinnvollere und im Regelfall auch erfolgreichere Strategie ist, Forschung direkt auf bestimmte Ziele auszurichten, statt auf unbeabsichtigte, eher zufällige Spillover-Effekte von Militärausgaben auf den zivilen Sektor zu hoffen.[4] Zumal es viele militärische Technologien gibt, die zu teuer oder zu spezialisiert sind oder aber strengen Regulierungen unterliegen, so dass sie nicht oder nur sehr eingeschränkt auf den zivilen Bereich übertragbar sind.[5]
Der Multiplikator für Verteidigungsausgaben
Schularick untermauert sein Plädoyer für eine Ausweitung der Verteidigungsausgaben damit, dass neuere Studien aus den USA – beispielsweise von Valerie Ramey und Co-Autoren – zeigten, dass der Multiplikator für Verteidigungsausgaben bei etwa eins liege. Systematische Vergleiche mit anderen Multiplikatoren, also denjenigen für alternative Ausgaben, finden sich jedoch in keiner der oben angeführten Kieler Publikationen.
Demgegenüber haben Bryan Rooney, Grant Johnson und Miranda Priebe im Jahr 2021 die wohl umfassendste Auswertung der wissenschaftlichen Literatur zu den Effekten von Verteidigungsausgaben einerseits und von Infrastrukturinvestitionen andererseits auf das Wirtschaftswachstum (die auch die Studien von Ramey ohne und mit Co-Autoren enthält) vorgelegt.
In den Studien, die die Verteidigungsausgaben isoliert oder auch stellvertretend für alle Staatsausgaben untersuchen, finden die Wissenschaftler im Allgemeinen einen Multiplikator zwischen 0,6 und 1,2 – was bedeutet, dass eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 1 Dollar zu einem Anstieg des BIP zwischen 0,60 Dollar und 1,20 Dollar führen würde. Wo genau die Schätzungen innerhalb dieser Spanne liegen, hängt von dem Stichprobenzeitraum und der Art der Berechnung des Multiplikators ab.
Interessanterweise befinden sich die Multiplikatoren für Verteidigungsausgaben in neueren Studien eher am unteren Ende des Spektrums. Diese Studien verwenden Daten über eine längere Zeitspanne, berechnen Multiplikatoren für verschiedene Zeiträume und setzen nach Ansicht von Rooney et al. geeignetere Verfahren zur Berechnung der Multiplikatoren ein. Sie finden im Durchschnitt Multiplikatoren, die bei oder unter 1 liegen. Allerdings ist die Zahl solcher Untersuchungen relativ gering, so dass es derzeit noch keine robusten Belege für eine Verringerung der oben genannten Spannweite (zwischen 0,6 und 1,2) gibt.
Der Multiplikator für Infrastrukturinvestitionen
Was die staatlichen Investitionen in die Infrastruktur anbelangt, so wird manchmal behauptet, dass sie einen geringeren Effekt auf das Wachstum hätten als Verteidigungsausgaben. Kurzfristig gesehen ist das sicherlich oft richtig – man denke nur an die zum Teil erheblichen Verzögerungen zwischen der Bewilligung von Infrastrukturmitteln und ihrer Verwendung. Zudem braucht der Bau neuer Infrastrukturen – wie bereits erwähnt – häufig Zeit.
Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn man die Effekte auf längere Sicht betrachtet. Rooney et al. kommen bei ihrer Literaturauswertung zum Ergebnis, dass Infrastrukturausgaben das Wirtschaftswachstum langfristig wesentlich stärker erhöhen als Verteidigungsausgaben.
Die Forscher betrachten zunächst Untersuchungen, die sich mit den Effekten von Infrastrukturinvestitionen in Ländern der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) befassen, zu deren Mitgliedern die meisten hochentwickelten Länder der Welt gehören. Diese Studien finden langfristige Multiplikatoren für Infrastrukturinvestitionen von über 1,5.
Aber auch Studien, die sich ausschließlich auf Infrastrukturinvestitionen in den USA konzentrieren, berichten von einem Multiplikator von mehr als 1,5. Diese Studien analysieren verschiedene Zeitspannen und Arten von Infrastrukturinvestitionen. Zum Beispiel weisen Untersuchungen, die sich mit dem Bau des US-Interstate-Highway-Systems ab den 1950er Jahren und solche, die sich mit Investitionen zur Verbesserung der bestehenden Infrastruktur von 1990 bis 2010 befassen, beide jeweils Multiplikatoren von über 1,5 auf.
Aus der relevanten Literatur lässt sich demnach schließen, dass der Multiplikator für Infrastrukturinvestitionen durchweg über 1,5 liegt – und damit eindeutig höher ist als der Multiplikator für Verteidigungsausgaben. Rooney et al. folgern daraus:
„Dies bedeutet, dass eine Umverteilung von Verteidigungsausgaben zu öffentlichen Infrastrukturinvestitionen das Wirtschaftswachstum langfristig wahrscheinlich steigern würde. Umgekehrt würde eine Verzögerung von Infrastrukturausgaben, um höhere Verteidigungsbudgets zu ermöglichen, dem langfristigen Wachstum wahrscheinlich schaden“ (Rooney et al. 2021, S. 8).
Gefahr des Sparens im konsumtiven Bereich
Das Fazit ist klar: Die Priorisierung der Verteidigungs- gegenüber den Infrastrukturausgaben, wie sie im Finanzpaket vorgenommen wird, ist ökonomisch nicht zu begründen. Wenn überhaupt, sollten nicht die unreproduktiven Militärausgaben, sondern die reproduktiven Infrastrukturausgaben (weitgehend) von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Am besten wäre freilich, die Schuldenbremse ganz abzuschaffen (zur Begründung vgl. hier) – aber natürlich nicht, um dies für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu nutzen.
Das Setzen der falschen Prioritäten ist allerdings nicht das einzige Problem, das mit dem Finanzpaket verbunden ist. Denn es muss davon ausgegangen werden, dass die neue Regierung nicht sehr weit von ihrer grundlegenden Ablehnung staatlicher Schulden abgerückt ist. Damit aber ist zu befürchten, dass sie versuchen wird, an anderer Stelle, nämlich im konsumtiven Bereich, zu sparen.
Das aber hätte nicht nur einen unmittelbaren negativen Effekt auf die Unternehmen und deren Kapazitätsauslastung. Auch Ausgabenposten wie Gesundheit, soziale Sicherung und Bildung, die als konsumtive Staatsausgaben der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeitskraft dienen, sorgen nämlich nicht nur für das Wohlergehen der heutigen Generationen, sondern sind darüber hinaus langfristig für eine verbesserte Produktivität von Bedeutung. Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität aber bestimmt maßgeblich das Wirtschaftswachstum. Kürzungen bei solchen reproduktiven Ausgaben wären also mit negativen gesamtwirtschaftlichen Effekten verbunden.
Verschärfend kommt hinzu, dass investive und konsumtive Staatsausgaben oft komplementär sind: So erfordert etwa eine erhöhte Bereitstellung öffentlicher Güter nicht nur mehr Investitionen, sondern auch entsprechende Personalkapazitäten, die laufende und damit konsumtive Kosten darstellen. In Deutschland wurde das deutlich, nachdem eben diese Personalkapazitäten im Zuge der rückläufigen öffentlichen Investitionen bei Bundesländern und Kommunen seit Mitte der 1990er Jahre deutlich verringert worden waren und in der Folge insbesondere viele Kommunen große Bauinvestitionen nicht mehr ohne erhebliche Verzögerungen planen und durchführen konnten – teilweise wurden zusätzlich vom Bund und von den Ländern bereitgestellte Investitionsmittel gar nicht mehr abgerufen.[6]
Viel hängt also auch davon ab, was parallel zur Umsetzung der Ausgabenpläne geschieht. Sollte es tatsächlich zu massiven Haushaltskürzungen an anderer Stelle kommen, dürfte der Gesamteffekt des schuldenfinanzierten Finanzpakets weit hinter den Erwartungen zurückbleiben.
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Literatur
Minsky, H.P. (1982): Can „It“ Happen Again? Essays on Instability and Finance, New York.
Minsky, H.P. (1986): Stabilizing an Unstable Economy, New Haven and London.
Robinson, J. (1979): Aspects of Development and Underdevelopment, Cambridge.
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