UNEP-Abkommen

Plastikpolitik gegen Petrochemie: am Scheideweg

| 25. März 2025
IMAGO / NurPhoto

Ein globaler Vertrag soll die Plastikflut eindämmen. Doch tiefe Interessenkonflikte und die Rolle der USA könnte ihn scheitern lassen.

Plastikverschmutzung gehört zu den drängendsten Umweltproblemen unserer Zeit. Millionen Tonnen Kunststoffabfälle gelangen jedes Jahr in die Umwelt und insbesondere in die Ozeane, wo sie marine Ökosysteme belasten und langfristige Schäden verursachen. Trotz nationaler Maßnahmen und wachsender Recyclingbemühungen steigt die weltweite Plastikproduktion weiter an. Denn die Herausforderungen sind nicht nur ökologischer, sondern auch wirtschaftlicher Art: Plastik ist als Teil globaler Produktions- und Konsumstrukturen tief in das Wirtschaftssystem eingebettet.

Ein globaler Vertrag gegen die Plastikflut

Angesichts dieser Entwicklungen hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) 2022 ein internationales Verhandlungsformat ins Leben gerufen, das bis 2025 zu einem rechtsverbindlichen Vertrag zur Reduzierung von Plastikmüll führen soll. Das Ziel ist es, erstmals einen verbindlichen Rahmen für die gesamte Lebensdauer von Kunststoffen zu schaffen – von der Produktion über die Nutzung bis zur Entsorgung.

Doch die Verhandlungen sind von tiefen Interessenkonflikten geprägt. Während einige Staaten die Plastikproduktion drastisch reduzieren wollen, setzen andere auf freiwillige Maßnahmen oder verteidigen sogar bestehende industrielle Strukturen. Es wird immer deutlicher: die Plastikverschmutzung lässt sich nicht allein durch eine bessere Abfallwirtschaft, sondern vor allem durch eine Begrenzung der Produktion von Neuplastik unter Kontrolle bringen.

Status quo der Verhandlungen: Zwischen Fortschritt und Blockaden

Seit der Verabschiedung der UNEA-Resolution 5/14 End plastic Pollution: Towards an international legally binding instrument im Jahr 2022 arbeitet das zwischenstaatliche Verhandlungskomitee (INC) an einem rechtsverbindlichen Abkommen, das den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen regulieren soll. Doch die Diskussionen verlaufen zäh, da sich verschiedene Ländergruppen in zentralen Fragen gegenüberstehen. Die Verhandlungen stehen an einem kritischen Punkt.

Eine Koalition von 85 Ländern, zu der unter anderem die EU, das Vereinigte Königreich und Mexiko gehören, setzt sich für verbindliche Reduktionsziele ein. Ihr Ziel ist es, Plastik nicht nur am Ende der Produktionskette – also als Abfall – zu regulieren, sondern bereits die Herstellung von Neuplastik zu begrenzen. Diese Gruppe argumentiert, dass nur durch eine Reduktion an der Quelle die steigende Plastikflut und ihre ökologischen sowie gesundheitlichen Folgen eingedämmt werden können.

Dem gegenüber stehen Länder mit starken Interessen in der petrochemischen Industrie, allen voran Saudi-Arabien, Iran und Russland. Sie lehnen verbindliche Produktionskürzungen strikt ab und bevorzugen Maßnahmen, die lediglich das Abfallmanagement und Recycling verbessern sollen. Ihre Position wird auch von anderen ölproduzierenden Staaten und einigen asiatischen Ländern geteilt, die eine Einschränkung der Plastikproduktion als wirtschaftlich schädlich betrachten.

Im August 2024 sah es zunächst so aus, als würde die USA das Ziel, die Produktion von Neuplastik zu reduzieren, unterstützen. Doch spätestens seit der Wiederwahl Trumps ist alles anders.  Im Februar dieses Jahres unterzeichnete der US-Präsident eine Exekutivanordnung, die ein Gesetz Bidens gegen Plastikstrohhalme rückgängig macht. Eine Haltung, die die Verhandlungen über ein globales Abkommen weiter verkomplizieren dürfte.

Gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten

Die letzten UNEP-Sitzungen haben gezeigt, wie tief die Gräben zwischen den Verhandlungsparteien sind. Die fünfte Runde der Gespräche im November 2024 im südkoreanischen Busan brachte keine entscheidenden Fortschritte. Besonders die Frage, ob das Abkommen eine klare Obergrenze für die Neuplastikproduktion enthalten soll, bleibt umstritten.

Der aktuelle Verhandlungstext bietet mehrere Optionen für eine Regulierung, spiegelt aber auch den bestehenden Dissens wider. Ein besonders konfliktträchtiger Punkt ist das Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten“ (common but differentiated responsibilities and respective capabilities, CBDR-RC), das in verschiedenen Varianten im Textvorschlag auftaucht.

Für viele Entwicklungsländer ist dieses Prinzip ein zentraler Bestandteil jeder globalen Umweltvereinbarung. Sie verweisen auf ihren vergleichsweise geringen historischen Beitrag zur Plastikverschmutzung und auf ihre begrenzten finanziellen und technischen Ressourcen. Aus ihrer Sicht kann ein globales Abkommen nur dann gerecht sein, wenn es ihnen Spielraum für eine schrittweise Umsetzung lässt – flankiert durch finanzielle Unterstützung und Technologietransfers seitens der Industrieländer.

Die Europäische Union und ihre Partner betonen zwar die Notwendigkeit, unterschiedliche Ausgangslagen zu berücksichtigen, drängen jedoch auf möglichst einheitliche, verbindliche Regeln. Aus ihrer Sicht darf das Prinzip der Differenzierung nicht zum Vorwand für zögerliche oder freiwillige Maßnahmen werden. Nur klare Reduktionsziele und produktionsbezogene Maßnahmen könnten die Plastikflut wirksam eindämmen – alles andere sei Symbolpolitik.

Dagegen vertreten Länder mit großen petrochemischen Industrien, allen voran Saudi-Arabien, Iran, Russland und aktuell auch wieder die USA unter Präsident Trump, eine Haltung, die das Prinzip der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten zur Verteidigung nationaler wirtschaftlicher Interessen nutzt. Sie lehnen verbindliche Produktionsobergrenzen ab und verweisen stattdessen auf nationale Souveränität und das Recht auf wirtschaftliche Entwicklung. In ihrer Vorstellung soll das Abkommen sich auf freiwillige Maßnahmen konzentrieren – etwa auf verbesserte Abfallbewirtschaftung oder Innovationsförderung – ohne in bestehende Produktions- und Exportstrukturen einzugreifen.

Dieser Streit um die richtige Auslegung eines eigentlich gemeinsam anerkannten Prinzips steht exemplarisch für die strukturellen Konflikte, die die Verhandlungen prägen. Er zeigt, dass es beim geplanten Plastikabkommen nicht nur um technische Fragen der Abfallvermeidung oder Recyclingquoten geht, sondern um tiefgreifende Fragen globaler Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Interessen und geopolitischer Machtverhältnisse.

Ohne Lenkungsmaßnahmen keine Wirkung

Trotz jahrelanger Debatten, Gipfel und Aktionspläne ist der Werkzeugkasten zur Eindämmung des Plastikmülls prall gefüllt – doch nur ein kleiner Teil der Maßnahmen hat tatsächlich das Potenzial, das Problem an der Wurzel zu packen. Zwischen freiwilligen Selbstverpflichtungen der Industrie, besseren Sammelsystemen und bunten Aufklärungskampagnen verschwimmen tatsächliche Effekte mit Symbolpolitik. Nach wie vor hält sich die Hoffnung, dass das Problem über Marktmechanismen zu regeln sei – durch Innovation, Konsumentscheidungen oder freiwillige Umstellungen seitens der Produzenten. Doch die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt: Ohne klare politische Vorgaben und harte Eingriffe wie Obergrenzen für Neuplastik oder steuerliche Lenkungsmaßnahmen bleibt die Wirkung überschaubar.

Welche politischen Hebel tatsächlich greifen könnten, lässt sich mit Hilfe des Global Plastics AI Policy Tool genauer untersuchen. Das interaktive Instrument analysiert verschiedene politische Szenarien und erlaubt einen datenbasierten Blick auf die Frage: Welche Maßnahmen reduzieren Plastik wirklich – und welche sehen nur gut aus?

Ausgangspunkt der Berechnungen ist das sogenannte „Business as usual“-Szenario. Konkret illustriert das Tool einen Zukunftsverlauf, in dem keine zusätzlichen politischen Eingriffe erfolgen, sondern die weltweite Plastikproduktion und der Umgang mit Kunststoffabfällen nach bisherigen Trends weiterlaufen. In diesem Fall würden im Jahr 2050 weltweit rund 121 Millionen Tonnen Plastik unsachgemäß entsorgt – das heißt: deponiert, verbrannt oder direkt in die Umwelt abgegeben, ohne vorher gesammelt oder behandelt worden zu sein.

Am unteren Ende der Skala finden sich Maßnahmen wie die Reduktion von Einwegverpackungen, ein Verbot von Polystyrolverpackungen, strengere Regeln für Zusatzstoffe oder auch ein Handelsverbot für Plastikmüll. Diese Schritte mögen aus gesundheitlicher oder ästhetischer Sicht sinnvoll erscheinen, doch ihr Einfluss auf die globale Menge falsch entsorgter Plastikabfälle bleibt bis 2050 gering und bewegt sich nur leicht unterhalb des Business-as-usual-Niveaus.

Etwas wirkungsvoller sind Maßnahmen wie eine hohe Verbrauchssteuer auf Plastikverpackungen, die die Menge unsachgemäß entsorgten Plastiks auf etwa 96 Millionen Tonnen reduzieren würde, sowie Investitionen von 100 Milliarden US-Dollar in das Recycling (91 Millionen Tonnen) oder 50 Milliarden in die Abfallinfrastruktur (74 Millionen Tonnen).

Noch stärkeren Einfluss haben systemische Eingriffe: Eine Recycling-Sammelquote von 40 Prozent senkt die Fehlentsorgung auf etwa 91 Millionen Tonnen, eine verpflichtende Recyclingquote von 40 Prozent im Materialeinsatz sogar auf nur 59 Millionen Tonnen. Und das Einfrieren der Neuplastikproduktion auf das Niveau von 2020 würde die globalen Fehlmengen auf rund 72 Millionen Tonnen reduzieren.

Richtig eindrucksvoll wird es jedoch erst bei der Kombination mehrerer wirksamer Maßnahmen: Wenn die Produktion von Neuplastik begrenzt, ein Mindestanteil von 40 Prozent recyceltem Kunststoff verpflichtend eingeführt, eine starke Steuer auf Verpackungsverbrauch erhoben und zugleich massiv in Recycling- und Abfallinfrastruktur investiert würde, ließe sich der Anteil unsachgemäß entsorgter Kunststoffe bis 2050 auf nur noch rund 9 Millionen Tonnen senken – ein Rückgang um mehr als 90 Prozent im Vergleich zum Business-as-usual-Szenario.

USA in der Schlüsselrolle

Die weltweite Plastikverschmutzung ist das Ergebnis politischer Entscheidungen – oder deren Ausbleiben. Die Verhandlungen über ein globales Abkommen gegen die Plastikflut könnten ein Wendepunkt sein. Das verfügbare Wissen, die technischen Möglichkeiten und selbst die wirtschaftspolitischen Instrumente, um eine wirksame Reduktion herbeizuführen, sind längst vorhanden. Das Global Plastics AI Policy Tool zeigt, dass eine Kombination gezielter Maßnahmen – allen voran die Begrenzung der Neuplastikproduktion und verbindliche Recyclingquoten – das Problem drastisch entschärfen könnte. Was fehlt, ist der politische Wille zur Umsetzung.

Als einer der weltweit größten Plastikproduzenten und -verbraucher spielen die Vereinigten Staaten eine Schlüsselrolle – doch die neue Regierung stellt sich demonstrativ gegen strengere Regulierungen. Die Wiederzulassung von Plastikstrohhalmen mag wie eine Randnotiz wirken, ist aber symbolisch für eine Politik, die auf Deregulierung und wirtschaftlichen Eigennutz setzt – und internationale Verpflichtungen eher als Hindernis denn als Lösung betrachtet.

Ob das geplante Abkommen ein historischer Meilenstein wird oder in der Beliebigkeit freiwilliger Selbstverpflichtungen verpufft, entscheidet sich an dieser politischen Weggabelung. Der Kampf gegen die Plastikflut ist kein technisches, sondern ein politisches Projekt – und die kommenden Monate werden zeigen, ob sich die Staatengemeinschaft für eine wirksame Regulierung oder nur für kosmetische Kompromisse entscheidet.