Wie der Staat das Geld aus der Reserve lockt
Wem gehören die Reserven der Zentralbank als Objekt des Zahlungsversprechens, das wir Geld nennen – dem Staat oder der Zentralbank? Die Frage zu entscheiden, ist müßig. Schon sie zu stellen, ist das Problem.
In der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Einhaltung der sogenannten Schuldenbremse ausgelösten Diskussion zur Staatsverschuldung vertritt die Modern Monetary Theory (kurz MMT) eine radikale Außenseiterposition. Der Begriff „Staatsverschuldung“ nämlich taucht in ihrem Modell des staatlichen Geldsystems überhaupt nicht auf.
Geld, so die These der MMT, sei ein Schuld/zahlungsversprechen (IOY) des Staates, das erst im Zuge der staatlichen Geldemission (mit Abgabe des Versprechens in Form der Begleichung von Rechnungen Privater) entstehe.
Bereits aus dem Begriff des Schuld- bzw. Zahlungsversprechens folge, dass der Staat für seine Ausgaben nicht auf deren Rücklauf – sei es als Steuern, sei es als „Staatsverschuldung“ in Form der Begebung von „Schuldpapieren“ – angewiesen sei. Der „Vorrat“ an neuen Schuld/zahlungsversprechen sei definitionsgemäß unbegrenzt. Eigene Schuldversprechen, die an den Staat zurückgelangen, verlieren wegen der sogenannten Konfusion angesichts der Identität von Schuldner und Gläubiger in einer Person ihre Wirksamkeit. Sie sind wertlos. Neue Ausgaben erfordern lediglich neue Versprechen.
Es bedarf keiner besonderen Anstrengung, um zu erkennen, dass dieses Modell mit der institutionellen Wirklichkeit des Eurogeldsystems auf den ersten Blick wenig gemein hat. Im Eurosystem spielen für Staatsausgaben die Zentralbank und Geschäftsbanken offenbar die entscheidende Rolle. Der Staat tätigt seine Ausgaben mittels Zentralbanküberziehungskredit, für dessen Rückzahlung der Staat Kredite des sogenannten Bieterkonsortiums in Zentralbankreserven aufnimmt – soweit die Rückzahlung des Zentralbankkredits nicht durch Steuereinnahmen gedeckt ist.
Von der Rolle des Staates als Emittent von Schuld/zahlungsversprechen scheint praktisch nichts übrig.
Klärung des Geldbegriffs
Um das MMT-Modell zu verstehen, ist eine Klärung des Geldbegriffs als (staatliches) Schuld/zahlungsversprechen notwendig. Die MMT selbst hat den Begriff im Übergang vom goldgedeckten Bretton-Woods-System zum Fiat-Geldsystem missverständlich uminterpretiert und steht so dem Verständnis des staatlichen Geld-Modells selbst im Weg.
Im Goldstandard ist das Verständnis des Geldes als staatlichem Schuld/zahlungsversprechen noch unzweifelhaft verkörpert: Wenn der Staat verspricht, das von ihm (her-)ausgegebene Geld gegen Gold einzutauschen, kann dieses Versprechen nur ihm selbst zugerechnet werden. Räumt die Zentralbank dem Staat im Goldstandard einen Überziehungskredit ein, handelt es sich im Innenverhältnis noch nicht um Geld, weil die Zentralbank selbst kein Versprechen auf Einlösung in Gold leistet, sondern immer nur der Staat selbst als Eigentümer der Goldreserven. Geld als staatliches Zahlungsversprechen auf Einlösung in Gold entsteht erst mit Gutschrift auf dem privaten Empfängerkonto.
Gelangt das Geld als staatliches Zahlungsversprechen auf Einlösung in Gold auf das Zentralbankkonto der Regierung zurück, stellt es kein Geld mehr dar, weil das in ihm verkörperte Zahlungsversprechen auf Einlösung in Gold weder dem Staat selbst noch der Zentralbank gegenüber gilt. Mit anderen Worten: Das staatliche Zahlungsversprechen auf Einlösung in Gold gilt nicht innerhalb des Zahlungssystems der Zentralbank.
Selbst wenn die staatlichen Goldreserven notwendig begrenzt sind, sind es die darauf gerichteten Zahlungsversprechen des Staates nicht. Bereits im Goldstandard ist der Vorrat an Einlösungsversprechen des Staates potenziell unbegrenzt, wie das durch zu viele Zahlungsversprechen bewirkte Ende von Bretton Woods beweist. Dass der Staat seine Versprechen gegebenenfalls nicht erfüllen kann, beweist den generell fiktiven Charakter des Geldes. Geld und staatliche Zahlungsversrechen sind nicht durch die mögliche Einlösung in den versprochenen Gegenstand, sondern durch das gegenwärtige Versprechen auf spätere Einlösung an sich definiert. Dieses staatliche Versprechen auf spätere Einlösung – in was auch immer – ermöglicht Zahlungen mit diesem Versprechen schon in der Gegenwart.
Alles staatliche Geld ist fiktiv
Alles staatliche Geld ist somit fiktiv. Dies zeigt sich daran, dass die Währung zerbricht, sobald publik wird, dass die Einlösung des Versprechens auf Realgegenstände verlangt wird. Die Fiktion eines Versprechens als realem Transaktionswert löst sich auf.
Doch mit dem Übergang vom Goldstandard in die Fiat-Währung ist entgegen verbreiteter Meinung keine Änderung der Prinzipien des Geldsystems verbunden. Insbesondere ist es nicht notwendig, das staatliche Zahlungsversprechen mit MMT in ein Versprechen auf Akzeptanz als Zahlungsmittel für Steuerzahlungen („Steuergutschrift“) umzuinterpretieren.
Vielmehr wird im Fiat-Standard aus dem staatlichen Zahlungsversprechen auf Goldreserven einfach ein (zirkuläres) Zahlungsversprechen auf Zentralbankreserven, das zugleich jederzeit und nie erfüllbar ist: Niemand wird wegen Zwecklosigkeit auf der Einlösung von Zentralbankgeld gegen Reserven bestehen. Der Fiat-Standard ist damit dem Gold-Standard an Stabilität deutlich überlegen.
Dass der Staat seine eigenen Zahlungsversprechen gegen sich als Zahlungsmittel (für Steuern und alles andere) gelten lässt, folgt nicht aus einer in ihm verkörperten besonderen Akzeptanzzusage, sondern aus der Natur der Sache: Niemand kann sein eigenes Zahlungsversprechen nicht gegen sich selbst gelten lassen. Die Gültigkeit des in EURO ausgestellten Schuldscheins beinhaltet notwendig, dass der Aussteller ihn als Zahlungsmittel für die eigene Geldforderung akzeptiert. Etwas anderes ist logisch nicht möglich. Um einen neuen Schuldschein auszustellen, bedarf es nicht der Rückgabe des alten.
Wem gehören die Reserven der Zentralbank?
Wie die Diskussion um die sogenannte Unabhängigkeit der Zentralbanken zeigt, bringt der Fiat-Standard gegenüber dem Gold-Standard eine Unschärfe in den Eigentums- und Verfügungsverhältnissen am Gegenstand des staatlichen Zahlungsversprechens und damit für dieses selbst mit sich. Anders als bei den Goldreserven, wo die Zuordnung zum Eigentum des Staates eindeutig war, kann man nun fragen, wem die Reserven der Zentralbank als Objekt des Versprechens gehören – dem Staat und seiner Regierung oder der Zentralbank? Die Frage zu entscheiden, ist müßig. Schon sie zu stellen, ist das Problem.
Dass das Verständnis der finanziellen Möglichkeiten des Staates so weit hinter dem MMT-Modell zurückbleibt, hat zweifellos politische Ursachen: Herrschaft über das Geld bedeutet Macht.
Die Möglichkeit der Tabuisierung staatlichen Geldes beruht dabei auf der schwindelerregenden Trivialität der Geldschöpfung: „The process by which money is created is so simple that the mind is repelled”, schrieb der keynesianische Ökonom John Kenneth Galbraith
Der für die soziale Hierarchie unerlässliche Nimbus und die (über)lebenswichtige Bedeutung des Geldes sind mit seinem fiktiven Charakter unvereinbar – das Tabu der Entzauberung des Geldes hütet das Geheimnis der Irrationalität gesellschaftlicher Verhältnisse.