Aus der Schuldenlogik befreites Geld
Mit einer Reform des Geldsystems wollen drei französische Autoren den großen Herausforderungen unserer Zeit begegnen. Ihr Vorschlag: eine neue Form der Geldschöpfung, die nicht der Profitmaximierung, sondern dem Gemeinwohl dient.
In Frankreich ist im vergangenen Jahr ein bemerkenswertes Buch erschienen: Le pouvoir de la monnaie. Transformons la monnaie pour transformer la société – auf Deutsch: Die Macht des Geldes. Lasst uns das Geld verändern, um die Gesellschaft zu verändern. Dahinter stehen drei Experten aus Wirtschaft und Sozialwissenschaft: die Geldökonomin Jézabel Couppey-Soubeyran, der Soziologe Pierre Delandre und der Philosoph und Ökonom Augustin Sersiron.
Gemeinsam stellen sie eine provokante, aber fundierte These auf: Wenn wir unser Geldsystem überdenken und neugestalten, können wir gezielt zur Lösung der großen Herausforderungen unserer Zeit beitragen – vom Klimawandel bis hin zu sozialen Ungleichheiten. Ihr Vorschlag: eine neue Form der Geldschöpfung, die nicht der Profitmaximierung, sondern dem Gemeinwohl dient. Geld soll nicht länger als neutrale Größe gesehen werden, sondern als wirkmächtiges Instrument für gesellschaftlichen Wandel.
Ein aus Schulden "ausgebettetes" Geld
Die Hauptrolle in diesem System übernimmt eine Geldform, die ohne Rückzahlungsverpflichtung geschöpft wird. Es handelt sich um einen „don monétaire“, um eine „Geldgabe“. Gemeint ist eine zins- und schuldenfreie Emissionsform. Dadurch soll eine „Ausbettung“ (un désencastrement) des Geldes aus den Schulden erfolgen. Der Nexus Geld und Schulden wird aufgelöst. Diese Emissionsform steht in bewusstem Gegensatz zur klassischen Kreditschuld mit ihrer vertraglich abgesicherten Rückzahlungsverpflichtung von Tilgungs- und Zinsanteil.
Das emittierte Geld soll in Form von Zuschüssen direkt an Haushalte, Unternehmen und Staaten verteilt werden. Denn das Geld der Banken, das in Schulden fest „eingebettet“ ist, versage nach Meinung der Autoren bei der ökologischen und sozialen Transformation. Dem schuldenbefreiten Geld geben die Autoren den Namen "Gemeinwohlgeld" (la monnaie volontaire). Eine breit angelegte Teilhabe bei der Emission des Gemeinwohlgeldes sehen sie als unabdingbar an.
Der Emissionsmodus eines neu einzurichtenden Emissionsinstituts unterscheide sich erheblich von dem der Zentralbanken. Er bricht mit deren „Unabhängigkeit“ und setze einen Dialog zwischen allen Beteiligten in Gang. Dazu gehörten Zentralbank, Schatzamt (l'agence de trésor, entspricht der Bundesfinanzagentur, FS), Parlamentarier, Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaft, Gewerkschaften und so weiter. Die Zentralbank würde also nicht ersetzt, sondern "ergänzt" werden. Die Emission des Gemeinwohlgeldes fände parallel zur Emission von Zentralbank- und Geschäftsbankengeld statt. Genau in der Mitte (au juste milieu) zwischen beiden.
Zentralbanken als Wegbereiter des Gemeinwohlgeldes
Originell und einleuchtend ist die Argumentation, die die Zentralbanken als Wegbereiter des Gemeinwohlgelds betrachtet. Bei ihrer unkonventionellen Geldpolitik, mit der sie den Folgen der Finanzkrise 2007/2008 und der Corona-Pandemie Ende 2020 bis Mai 2023 begegneten, seien sie weit über ihre übliche Rolle als Kreditgeber der letzten Instanz hinausgegangen. Der Leitzins als Steuerungsinstrument sei in den Hintergrund getreten.
Zwei Arten der unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen wurden damals ergriffen: einerseits Wertpapiere, insbesondere Staatsanleihen massiv angekauft; und komplementär dazu der Bankensektors mit langfristigem Geld zu Niedrig- und sogar Negativzinsen geflutet. Die expansive Geldemission kam einer Subventionierung des Bankensektors gleich.
Die Autoren gehen davon aus, dass die unkonventionellen Maßnahmen der Zentralbank – der Ankauf von Wertpapieren – keinem Refinanzierungsbedürfnis der Banken entsprachen. Vielmehr stand dahinter die Absicht, den Finanzmarkt mit Geld zu versorgen (d'apporter de la monnaie centrale au marché financier). Bedingung für dieses Geld waren der Besitz und Verkauf von Wertpapieren. Diesen Schöpfungsmodus bezeichnen die Autoren als „mode acquisitif“. Ziel sei einzig und allein, mit den Papieren zu handeln und sich immer mehr Geld anzueignen. Das habe nichts mehr mit Produktion und Dienstleistungen der Realökonomie zu tun.
Der Ankauf, so die Autoren, sei ein vorwiegend quantitatives Geldinstrument. Das durch die Zentralbank leicht zu vergrößernde Geldvolumen stehe im Vordergrund. Beim Verkauf der Staatsanleihen durch die Zentralbank dagegen lasse sich das Geldvolumen nur schwierig verringern. Die Zentralbank habe Schwierigkeiten, ihre Anleihen zu verkaufen und sei gezwungen, sie bis zum Ende der Laufzeit zu halten. Das durch den Ankauf von Staatsanleihen emittierte Geld sei äußerst beharrlich (persistant). In der Tat kann die Rückzahlung durch das "Überrollen der Schulden" durch die Ausgabe von immer wieder neuen Anleihen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben werden.
Historischer Überblick der Emissionsarten
Interessant ist auch die im Buch dargestellte historische Abfolge der verschiedenen Emissionsarten. Sie beginnt mit dem "feudalen Modus der Geldschöpfung". Die Geldmenge war ausgerichtet an einer metallischen Grundlage (Gold, Silber). Doch mit einer dynamischeren wirtschaftlichen Entwicklung konnte dieser Modus nicht aufrechterhalten werden. Das "banking principle" setzte sich daraufhin durch. Das heißt, die geschöpfte Geldmenge bestimmte sich durch die nachgefragten Kredite zur Verwendung in der Realökonomie im Zeitalter des Industriekapitalismus.
Mit dem Aufkommen des Neoliberalismus in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erhielt der klassische Kredit zunehmend Konkurrenz durch das Finanzierungsmittel der staatlichen Schuldverschreibungen. Wie oben erwähnt, führten diese zu einer Vernachlässigung der Realökonomie und einer Begünstigung von Finanzmarktaktivitäten.
Das gesellschaftlich wieder "eingebettete" Gemeinwohlgeld
Wenn die Zentralbanken den Banken ihre Schuldscheine abkaufen und ihnen dafür neues Geld geben, wird dieses Geld gewissermaßen von den ursprünglichen Schulden getrennt und steht den Banken frei zur Verfügung. Eine zwingende Verpflichtung zur Rückzahlung bestehe nicht mehr. Es handle sich dabei letztlich um eine Gabe, so Couppey-Soubeyran, Delandre und Sersiron. Wenn dem so ist, dann wäre es auch möglich – die Autoren formulieren es hypothetisch – dass das angekaufte Wertpapier in der Bilanz der Zentralbank zwar im Aktiv erscheine, im Passiv aber keine Verbindlichkeit, keine Schuld mehr. Wir hätten es mit einem zins- und schuldenfreien Zuschuss zu tun.
Diese Erkenntnis ist für die Autoren der Eureka-Moment, der Moment des Geistesblitzes im Gesamtgebäude ihres Reformvorschlags. Sie wissen um die Schwachstellen der lockeren Geldpolitik (Quantitative Easing) und ihrer asymmetrischen Bevorteilung der Spekulanten auf dem Finanzmarkt. Doch haben sie auch erfahren, in welcher Weise die unkonventionelle Geldpolitik in der Pandemie positive Effekte auf die Wirtschaft entfaltete. Sie sprechen aber dennoch von der „Rettung“ des Finanzkapitalismus, was objektiv richtig ist.
Die Autoren gelangen zur folgenden Eureka-Synthese: "Es ist vor allem der Banken- und Finanzsektor, der von dem schuldenbefreiten Geld profitiert, während doch dieses Geld auf das Gemeinwohl ausgerichtet und in den Dienst der gesamten Gesellschaft gestellt werden könnte.“
Den auf diese Transformation ausgerichteten Geldschöpfungsmodus nennen die Autoren „Gemeinwohl gesteuerte Schöpfung des Zentralbankgeldes“ (le mode volontaire de création de la monnaie centrale). Der Begriff „Zentralbankgeld“ bedürfte eigentlich einer Neubenennung, da das Geld von einem neu einzurichtenden Emissionsinstitut ausgegeben wird, das komplementär zur bestehenden Zentralbank arbeiten soll.
Die Bilanz wird beibehalten. Im Aktiv erscheint das geschöpfte Geld als ein „totemistisches“ Geld (monnaie totémique). Die einzige Voraussetzung für seine Existenz ist also, dass die Währungsgemeinschaft an diese glaubt. Die Autoren bezeichnen es ein wenig sperrig als „neues aktivisches reales Bilanzkonzept immaterieller Art mit sozialer und ökologischer Rentabilität aber ohne finanzielle Rentabilität“.
Das schuldenfreie Gemeinwohlgeld weist zusammengefasst folgende Merkmale auf:
- es ist Ausdruck eines breit angelegten politischen demokratischen Willens
- es wird direkt für Gemeingüter (biens communs) und öffentliche Güter (biens publics) zur Verfügung gestellt
- ihm steht keine Verbindlichkeit im Passiv gegenüber
- als strukturelles Geldinstrument erfolgt seine Emission permanent
Mechanismen und sanktionierende Funktionen
Besonders erwähnt werden muss, wie das geschöpfte Geld teilweise wieder zurückgeholt werden soll (le reflux fiscal). Diese Aufgabe übernehme eine Geldabgabe (contribution monétaire) und eine ökologische Kompensationszahlung (compensation écologique). Die geeignetsten historischen Vorschläge für die Geldabgabe sehen die Autoren in der Erhebung einer Umlaufsicherungsgebühr oder eines Negativzinses nach den Vorstellungen von Silvio Gesell (Die natürliche Wirtschaftsordnung) und Bernard Lietaer (Mysterium Geld).
Eine solche Abgabe sanktioniert das Horten von Geld, die das notwendige Zirkulieren von Geld verhindert. Dafür präsentieren die Autoren konkrete Zahlen: Bei 4,3 Billionen Euro Reserven, die auf den Zentralbankkonten der Geschäftsbanken liegen (Februar 2023), ergäbe sich bei einer monatlichen Abgabe von 0,1 Prozent eine Rückholsumme von monatlich 4,3 Milliarden. Diese könnten die Banken den betroffenen Einlegern in Rechnung stellen.
Als entgegengesetzten Regulierungsmechanismus schlagen sie eine Abgabe zur Eindämmung unerwünschter spekulativer Geldströme (Tobin-Steuer) in Höhe von 0,05 bis 0,2 Prozent vor. Über den Devisenmarkt hinaus könne eine solche Steuer auch auf andere Geldströme und sogar auf unerwünschte Warenströme ausgedehnt werden. Die Autoren erhoffen sich auf diese Weise eine optimale Zirkulationsgeschwindigkeit des Geldes (célérité optimale), die dann erreicht wäre, wenn es zu keiner zirkulationshemmenden Geld-Akkumulation mehr käme.
Bei der ökologischen Kompensationszahlung geht es darum, umweltschädliches Verhalten zu sanktionieren (Extraktion und Import nicht erneuerbarer Ressourcen, nicht recyclebare Abfälle). Die eingenommenen Summen werden der Europäischen Kasse für nachhaltige Entwicklung (caisse européenne du développement durable) zur Verfügung gestellt, um Umweltprojekte zu finanzieren.
Antwort auf das Versagen von Geschäfts- und Zentralbanken
Mit dem Reformvorschlag gedenken die Autoren nicht, eine Veränderung an den bestehenden Emissionsformen der Geschäfts- und Zentralbanken vorzunehmen. Dennoch hat er seine Berechtigung: laut Couppey-Soubeyran und seinen Kollegen agierte der französische Staat in der Covid-Krise bürgernah und durchaus erfolgreich. Die Maßnahmen in Frankreich waren gezielt am Gemeinwohl (bien commun) ausgerichtet. Das Autorenkollektiv nennt Investitionen in die ökologische Transformation, zur Wiederherstellung der Biodiversität, zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, in die Erhöhung der Einkommen sowie für das Wachstum umweltfreundlicher Wirtschaftssektoren.
Das Gemeinwohlgeld sollte an diesem Vorgehen gemessen werden. Es ermögliche, gezielt in die öffentliche und soziale Infrastruktur und die ökologische Regeneration zu investieren. Damit dient das Gemeinwohlgeld nicht der Finanzierung des allgemeinen Haushaltes. Die Emittenten des Gemeinwohlgeldes sollen dezentral, polyzentrisch und basisdemokratisch agieren. Unterschiede zur MMT mit ihrem staatszentrierten Ansatz oder zum Vollgeld sind offensichtlich.
Eine bedingt optimistische Perspektive
Eine Stärke des Buches ist, dass die Autoren das bestehende Geld- und Finanzsystem auf 372 Seiten sehr differenziert analysieren. Ihre Reformvorschläge sind präzise ausgearbeitet. Sie sind durch Zahlen unterlegt und bilanziell überzeugend veranschaulicht. Hier sind drei kompetente Geldökonomen am Werk.
Das Buch endet mit einer bedingt optimistischen Perspektive. Die EU-Verträge seien das Produkt einer bankären Schuldenlogik. Das Gemeinwohlgeld hingegen entzöge sich dieser Logik, denn Art. 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) lasse eine juristische Lücke. Von dem Verbot einer Subvention sei hier nicht (a fortiori) die Rede. Dennoch machen die Autoren keinen Hehl daraus, dass sie im Idealfall die EU-Verträge ändern würden.