Energieberatung

Carsten Herbert: „Wir werden den Anforderungen der Wärmewende nicht gerecht“

| 29. April 2025
IMAGO / Ray van Zeschau

Das Gebäudeenergiegesetz bleibt auch in der neuen Legislatur ein Reizthema. Die Union will es nun rückabwickeln. Doch die Debatte geht an den eigentlichen Problemen der Wärmewende vorbei, meint Deutschlands bekanntester Energieberater Carsten Herbert.

Das Gebäudeenergiegesetz sollte ein elementarer Baustein der Wärmewende werden. Allerdings stehen das Gesetz sowie der verantwortliche Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck stark in der Kritik. Deshalb wurde von einigen Parteien im Wahlkampf eine Rückabwicklung versprochen. Es fehle ein sozialer Ausgleich im Gesetz, monierten Kritiker aus allen politischen Lagern. Aktuell geht dieser Ausgleich, nämlich die staatliche Förderung, mit einer Beratung einher, an die die Fördersummen geknüpft sind. Und genau hier liegen Probleme der Wärmewende. Ein Interview mit Carsten Herbert, alias „Der Energiesparkommissar“, Deutschlands bekanntestem Energieberater.

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Herr Herbert, die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden wird aktuell vom Bund bezuschusst. Dafür müssen diejenigen, die Förderung beziehen, einen Sanierungsfahrplan vorlegen, der die einzelnen baulichen Maßnahmen dokumentiert. Dann gibt es Geld von der KfW. Heißt, die Sanierung des Gebäudebestands ist an eine technische Beratung gebunden. Das klingt sinnvoll, bringt aber gewisse Tücken mit sich. Wie sehen Sie die aktuelle Situation der Energieberatung in Deutschland? Wie gut sind wir aufgestellt, wenn es darum geht, eine Wärmewende einzuleiten?

Aktuell wird die Energieberatung und damit auch die Unterstützung von betroffenen Privathaushalten einer Berufsgruppe überlassen, die eigentlich kein richtiges Berufsbild hat. Energieberatung ist kein geschützter Begriff, genauso wenig wie die Berufsbezeichnung. Im Prinzip könnte sich jeder Energieberater nennen und das hat damit zu tun, dass es eben keine fest definierte Tätigkeit ist.

Zwar gibt es sowas wie eine Energieberaterausbildung, aber diese Ausbildung, beinhaltet nicht die Qualifikation, um am Ende Menschen ihre Fragen, die teilweise sehr komplex sind, zu beantworten und zu helfen, gute Entscheidungen für ihre Häuser und Anlagentechniken zu treffen. Sie befähigt in erster Linie dazu, die vom Wirtschaftsministerium gestalteten Energieberatungsinstrumente, wie zum Beispiel den „individuellen Sanierungsfahrplan“ (iSFP; früher die Vor-Ort-Energieberatung des Bundes), zu bedienen. Diese Beratungsinstrumente selbst sind aber keine Energieberatung, so wie sie von den Menschen erwartet wird.

Normalerweise hat man als Immobilienbesitzer einen Energieberatungsanlass und konkrete Fragen, die man gerne beantwortet hätte, um eine Entscheidungsgrundlage für individuell sinnvolle bauliche und anlagentechnische Maßnahmen zu haben. Das wird aber in der Regel nicht gemacht.

Sprich, Hausbesitzer, die letztlich für die Sanierung des Gebäudebestands zuständig sind, bekommen keinen richtigen Einblick, welche Maßnahmen energetisch und ökonomisch am effizientesten sind. Wie stellt man dann von öffentlicher Seite sicher, dass die bereitgestellten Fördermittel sinnvoll abfließen können?

Dazu gibt es den iSFP. Mit diesem Instrument soll der Weg von einer Immobilie
hin zu einem Effizienzhaus aufzeigt werden. Es gibt verschiedene Förderprogramme, zum Beispiel für Einzelmaßnahmen, wie Dachdämmung. Und dann gibt es aber auch noch Gesamtkonzepte für Energieeffizienzhäuser. Für eine Effizienzhausförderung reicht es nicht, dass man nur ein paar Bauteile ertüchtigt, sondern es braucht ein Konzept für ein Gebäude, das auf einen höheren energetischen Standard gehoben wird, der rechnerisch bilanziert und nachgewiesen werden muss.

Wie man dahin kommt, ist erstmal egal, man muss nur irgendwie das Ziel „Effizienzhaus“ erreichen und diese Effizienzhäuser haben unterschiedliche Stufen. Die Situation der Menschen, die in dem Haus wohnen, spielt in dieser sehr technischen und auf die Fördermittel zielenden Beratung überhaupt keine Rolle. Und es spielt auch keine Rolle, welche Rahmenbedingungen am Haus vorliegen, sondern man legt nur die Sanierungsmaßnahmen und deren Kosten fest. Individuelle Fragen werden nicht beantwortet – obwohl man von einem „Individuellen Sanierungsfahrplan“ spricht.

Das heißt, dieser Fahrplan ist ein wichtiges Instrument im Bundeskonzept für eine Wärmewende.  Doch er ist nicht funktional in dem Sinne, dass er wirtschaftliche Gebäudeertüchtigung im gesamten Sektor ermöglicht, sondern vielmehr darauf ausgelegt, wenige Immobilien zu idealen Effizienzhäusern zu machen. Ist das korrekt?

Bei der Effizienzhausförderung ist das so. Man sieht bei erfahrenen Beratern, dass der Sanierungsfahrplan für die eigentliche Optimierung eines Bestandsgebäudes nicht gebraucht wird. Er ist nur ein Instrument, um noch ein paar zusätzliche Förderungen abzugreifen.

„In den letzten Jahren haben sich etliche Startups in dieser Branche gegründet, weil hier recht einfach Geld verdient wird.“

Mit dem Sanierungsfahrplan bekommt man einen zusätzlichen Förderbonus.
Und weil dieser förderrelevant ist, wird er auch in großer Zahl gemacht. In den letzten Jahren haben sich etliche Startups in dieser Branche gegründet, weil hier recht einfach Geld verdient wird. Nicht nur über die Förderungen in der Gebäudesanierung, sondern auch über den ISFP

Allerdings spielt die Qualität der ausgestellten iSFP meist keine große Rolle.
Mit dem ISFP bekommt man ein Instrument, in dem Maßnahmen stehen wie: Fensteraustausch, Wanddämmung, Dachdämmung, Heizungsaustausch und so weiter. Irgendwann kommen die meisten Fahrpläne bei 200.000 bis 250.000 Euro raus. Für Maßnahmen, die in der Regel momentan gar nicht relevant sind, weil der Beratungsempfänger vielleicht momentan einfach nur die Fenster tauschen will.

Die geförderte Energieberatung kann man so zusammenfassen: Ich bekomme Informationen, die ich nicht brauche und Informationen, die ich brauchen könnte, die stehen nicht in meinem Sanierungsfahrplan.

Also steht eigentlich Geld zur Verfügung, um Gebäude energetisch zu sanieren. Wir verwenden es aber nicht effizient, sondern für Goldrandlösungen einerseits und lassen Menschen mit ihren Fragen andererseits alleine?

Ja, für das Vorankommen in der Energie- und Wärmewende ist das problematisch. Wenn die Beratung nicht stimmt, werden Hausbesitzer mit ihren Fragen allein gelassen und weniger motiviert sein, ihre Immobilien fit für die Zukunft zu machen. Förderung hin oder her. Und da wird es besonders auch wirtschaftlich relevant, weil Fördergelder häufig nicht sinnvoll verwendet und dadurch verbrannt werden, anstatt sie zielgerichtet einzusetzen. Gleichzeitig Ist dieses Problem kaum lösbar. Warum? Weil bis auf die Beratungsempfänger alle Akteure in diesem System, zufrieden sind.

Die Deutsche Energie-Agentur ist zufrieden, weil sie mit dem Sanierungsfahrplan ein Instrument entwickelt hat, das jetzt maximal nachgefragt wird. Diese Sanierungsfahrpläne kommen in großer Zahl in den Haushalten an. Die Energieberatungsbrache ist zufrieden, da die Auftragsbücher voll sind. Dass die teuer erstellten iSFP dann in den Schubladen verschwinden und niemand mehr interessieren, ist dann zweitrangig.

Die Akteure am Markt sind sogar so zufrieden, dass sich die Ausstellung von iSFPs zu einem Betätigungsfeld unzähliger neuer Startups entwickelt hat. Deren Personal hat nur eine rudimentäre Energieberatungsausbildung genossen und wurde dann auf die Menschen losgelassen – wie gesagt, die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt.

All das führt dazu, dass Erwartung und Wirklichkeit in der Energieberatung weit auseinanderklaffen. So, wie die Energieberatungsszene sich momentan entwickelt, werden wir den Anforderungen der Wärmewende nicht gerecht.

Das umfangreiche Interview mit Carsten Herbert erscheint in mehreren Teilen. Es folgen Themen wie das Gebäudeenergiegesetz, die politische Geschichte der Wärmeverordnungen und mögliche Lösungsvorschläge für die Wärmewende im Gebäudesektor.