Bankenkrise

Fiskaldemokratie und “Bailout-Staat“

| 09. Mai 2023
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In einem überdimensionierten Finanzsektor werden staatliche Rettungsprogramme für Banken zur Routine. Die fiskalischen Kosten dieser „Bailouts“ müssen endlich transparent gemacht und Parlamente eingebunden werden.

Die Pleiten von Silicon Valley Bank (SVB), Credit Suisse und letzte Woche auch noch das Scheitern der First Republic Bank lösen wichtige Diskussionen über tiefere Probleme im Finanz- und Geldsystem aus. Auf MAKROSKOP weisen Paul Steinhardt und Hans-Peter Roll zurecht darauf hin, dass neben gierigen Managern auch die Zentralbanken mit ihren quantitativen Lockerungen und Regulierer mit marktorientierten Liquiditätsvorschriften zu den jüngsten Problemen beigetragen haben.

Doch was ist mit den Folgen der Ereignisse? Kann man die Zentralbank- und Regierungsinterventionen als makellosen Erfolg einer mittlerweile perfekt eingeübten Krisenmanagement-Choreographie abspeichern und zu anderen Themen übergehen?

Kurz nach dem Scheitern der SVB gaben am 12. März die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen, der Federal Reserve Präsident Jerome Powell und der Chef der Amerikanischen Einlagenversicherung (FDIC) Martin J. Gruenberg eine gemeinsame Erklärung ab, die zunächst wie eine Beruhigungspille für Bankkunden und Märkte wirkte. Die amerikanische Regierung kündigte darin an, das Limit von 250.000 Dollar bei der Einlagenversicherung aufgrund „systemischer Risiken“ aufzuheben und garantierte die Auszahlung aller Einlagen bei den gescheiterten Banken. Auf die gleiche Ausnahmeregelung griff die FDIC auch diese Woche für die wohlhabenden Kunden der First Republic Bank zurück.

Die Federal Reserve versprach derweil, über ein neues Kreditprogramm allen Banken zu großzügigen Konditionen Geld zu leihen. Auch wenn wenige Wochen später mit der First Republic eine weitere mittelgroße Bank scheiterte, gelang es durch die Maßnahmen vom März zunächst, breitere Effekte im Finanzsystem zu vermeiden. Bei den allermeisten Banken gingen die Einlagenabzüge zurück, Bankaktien erholten sich und Firmen gelang es relativ schnell wieder, Schulden auf den Markt zu geben. Bisher zeichnet sich keine weitere Weltfinanzkrise ab.

Wer muss für die jüngsten Bankenrettungen zahlen?

Doch neben diesen Beruhigungseffekten stellt sich noch eine andere Frage: Wer zahlt hier eigentlich für diese Absicherungen und wer profitiert? In der Erklärung von US-Regierung, Fed und FDIC vom März hieß es, dass keine der Verluste von Steuerzahlern zu tragen seien. Joachim Nanninga pflichtete dieser Sichtweise in einem blog-Eintrag bei „Relevante Ökonomik“ bei. Er schrieb am 17. März, dass die SVB-Rettung dadurch finanziert sei, dass die FDIC ja auch den Bestand von Anleihen der Bank übernehme. Durch die Liquidierung dieser Positionen zahle sie die Kunden aus: „Das Journalisten-Narrativ ‚…auf Kosten der Steuerzahler‘ ist natürlich Unsinn.“

Visualisierung: Mike Bostock

Doch die abgesicherten Volumina sind gewaltig (siehe Graphik). Die von der FDIC garantierten Kundeneinlagen bei den drei jüngst gescheiterten Banken (SVB, Signature, First Republic) belaufen sich auf 548 Milliarden Dollar. Der Großteil dieser Summe kann sicherlich durch die Veräußerung von Vermögenstiteln aus den drei Bankbilanzen gedeckt werden. Zudem übernimmt im Falle der First Republic die Mega-Bank JPMorgan Chase einen Großteil der Risiken.

Man sollte jedoch nicht einfach annehmen, dass damit Belastungen für die Amerikanischen Steuerzahler ausgeschlossen sind. Die FDIC hat 120 Milliarden Dollar in ihrem Versicherungsfonds. Wenn diese durch Auszahlungen aufgebraucht sind, steht das US Treasury – das amerikanische Finanzministerium – mit einer stehenden Kreditlinie über 100 Milliarden Dollar bereit. Schon jetzt ist diese Kreditlinie aktiviert, weil die Anlagen der gescheiterten Banken nicht instantan in Bares verwandelt werden können.

Die Wahrheit ist also: Ob diese jüngste Finanzkrise Kosten für die Öffentlichkeit erzeugen wird, wissen wir einfach nicht. Dies legt ein grundsätzliches Problem offen: Krisenmanager wie Janet Yellen und Jerome Powell beschließen staatliche „Bailouts“ gestützt auf das Argument, dass die Kosten für die Öffentlichkeit ohne Interventionen wesentlich höher wären. Die Maßnahmen werden dann auf Ausnahmetatbestände und Notstandsgesetze gestützt und meist ohne Involvierung der Parlamente beschlossen. Ob die Vorteile der „Bailouts“ tatsächlich die Kosten übersteigen, und ob es vielleicht besser wäre, die Risiken von Verlusten anders zwischen privaten und öffentlichen Akteuren zu verteilen, bleibt im Unklaren. Weder gibt es öffentliche politische Diskussionen über das Für und Wider, noch gibt es transparente Bewertungen, die erlauben würden, die Rettungsmaßnahmen in ordentliche haushaltspolitische Entscheidungsprozesse einzubinden.

Die Kosten der Rettungsmaßnahmen 2008-9

Deutlicher als bei der jüngsten Krise zeigte sich diese Problematik bei den Rettungsmaßnahmen, die 2008 und 2009 in den USA zur Stützung des gesamten Finanzsystems und einiger strategischer Wirtschaftszweige wie der Immobilienwirtschaft oder der Automobilindustrie beschlossen wurden. Die Fed entschied über die meisten Maßnahmen unilateral. In einem Fall aber war der amerikanische Kongress involviert. Über das „Troubled Assets Relief Program“ (TARP) sollten Banken faule Papiere abgeben und damit saniert werden.

TARP war sehr unpopulär und verhalf der rechten Teaparty-Bewegung zum Aufschwung, insbesondere bei den Zwischenwahlen des US-Kongresses 2010. Präsident Barack Obama und viele Experten hielten die rechte und linke Kritik an den Bankenrettungen auf Kosten der Steuerzahler für reinen Populismus und TARP für einen beispiellosen Erfolg. Ein Hauptargument von Obama: TARP habe die Steuerzahler rein gar nichts gekostet. „We got back every dime used to rescue the banks”, behauptete er in einer Rede 2012. In der Tat überstiegen die Gewinne aus den Veräußerungen der übernommenen Papiere das eingesetzte Steuergeld. Doch waren damit die Kosten für Steuerzahler wirklich bei null?

In einem viel zu wenig beachteten Artikel zu „Measuring the Cost of Bailouts“ schreibt die Ökonomin Deborah Lucas vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), dass Obama falsch lag. Insgesamt kostete TARP und andere Maßnahmen die amerikanischen Steuerzahler etwa 500 Milliarden Dollar bzw. 3,5 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts.

„Bailouts“ als Risiko-basierte Finanzpolitik

Der Grund für die abweichenden Zahlen von Lucas verweist auf die grundsätzliche Undurchsichtigkeit von „Bailouts“ und ihres problematischen Verhältnisses zur Fiskaldemokratie. Lucas kommt auf die 500 Milliarden Dollar, weil sie die Risikokosten für die Steuerzahler miteinbezieht, und nicht nur auf das Verhältnis von einbezahltem Kapital und späteren Rückzahlungen schaut. Jeder Investor würde, wenn er Kapital bereitstellt, das Risiko dieses Einsatzes vergütet bekommen. Zum Zeitpunkt der Investition weiß man noch nicht, wieviel man später zurückbekommt – die Unsicherheit in einer Krise ist besonders hoch. Der Staat springt genau deshalb ein, weil sich andere mögliche Investoren diese Risikoübernahme nicht zutrauen. Damit sind aber auch Kosten des Einsatzes von Steuergeldern impliziert. Für wen und welche Zwecke der Staat bereit ist, als Risikonehmer der letzten Instanz zu fungieren, hat verteilungspolitische Effekte.

Deborah Lucas fordert, dass diese Risikokosten zum Zeitpunkt, an dem die Rettungen entschieden werden, öffentlich und verlässlich bewertet werden müssen – und dass dies die Basis für die Einbeziehung gewählter Vertreter darstellen soll. In den USA gibt es seit dem Federal Credit Reform Act von 1990 erste Ansätze dafür. Jegliche Maßnahme, die finanzielle Risikokosten für den Staat erzeugt, wie etwa Garantien für verbriefte Immobilienkredite oder Studentenkredite, müssen öffentlich bewertet werden, wobei das Gesetz Marktrisiken noch ignoriert. In Europa herrscht laut einer Analyse von Lucas mit Kollegen weitestgehend tabula rasa. Undurchsichtigkeit ist in vielen Fällen wegen der Maastricht-Kriterien sogar gewollt.

Lucas‘ Forderungen sind durchaus sinnvoll. In einer finanzialisierten Wirtschaft werden „Bailout“-Politiken verteilungspolitisch immer relevanter und die Grenzen zu Finanzpolitik unklarer. In einer solchen Situation sollte man sich nicht auf beruhigende Äußerungen des Exekutivpersonals und eine Politik des Ausnahmezustandes verlassen.