Die Ökonomie der Macht
Liebe Leserinnen und Leser,
im Selbstverständnis von MAKROSKOP heißt es gleich im ersten Satz:
"Alle wesentlichen politischen Herausforderungen, sei es die Klimafrage, Ungleichheit, Globalisierung, Erhaltung der Demokratie, Kriege oder die Nachwehen der großen Finanz- und Wirtschaftskrise, sind ökonomischer Art oder haben eine große Schnittmenge mit der Ökonomie."
Ökonomie und Politik – zwei eng miteinander verwobene Kategorien. Die Ökonomie ist politisch und die Politik ökonomisch. So pointiert klingt die Feststellung fast banal, doch läuft sie konträr zum unpolitischen Ökonomie-Verständnis der Neoliberalen: Der "neutrale" Markt soll für effiziente Verteilung sorgen, der Kampf von Parteien und Gewerkschaften für soziale Gerechtigkeit würde tendenziell stören. Machtfragen – definiert als Kern der Politik – würden sich im Kalkül der ökonomischen Rationalität auflösen.
Doch das Ausblenden von Machtverhältnissen führt keinesfalls zu ihrem Verschwinden. Im Gegenteil sogar, folgt man den Historikern Yotam Givoli und Yigal Wagner in dieser Ausgabe: "Das Wesen der Macht besteht per Definition darin, dass die Wahrheit über sie nur denen bekannt ist, die sie ausüben, während sie für die Gesellschaft als Ganzes ein Geheimnis bleibt." Den politischen und wirtschaftlichen Eliten kommt dies zugute, wenn Angriffe auf den Wohlfahrtstaat und die betriebliche Mitbestimmung als entpersonalisierte Marktbewegungen umgedeutet werden. Eine intendierte Bereicherung zu Lasten des Gemeinwohls wird so als quasi-naturwüchsiges Marktphänomen verklärt.
"Market Maker" sind nicht immer die Unternehmen selbst – das entpolitisierte Denken, was Fragen der Ökonomie betrifft, ist tief im gesellschaftlichen Diskurs verankert. Ein Beispiel: Die Berichterstattung über den "Guten Rat für Rückverteilung", der über das Vermögen der BASF-Millionenerbin Marlene Engelhorn entschied. Im Interview mit dem MAKROSKOP-Redakteur Malte Kornfeld berichtet der Sozialwissenschaftler Hendrik Theine von einer Studie, in der er mit zwei Kollegen die Berichterstattung über den "Guten Rat" untersucht hat. Ein wichtiges Ergebnis: Während der Rat in seiner Außenkommunikation viel Wert auf strukturelle Probleme der Vermögenskonzentration legt, bestimmt die mediale Berichterstattung personalisierte Diskurse über die Millionenerbin.
Dabei ist das Leben in den westlichen Industrienationen kaum mehr ohne Großkonzerne wie die "Magnificent Seven" – Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, NVIDIA, Tesla – vorstellbar. Bröckelt die Macht einer der Tech-Riesen, wie es beim Suchmonopol von Google bald der Fall sein kann, schwinden die Monopolgewinne, so der Direktor des American Economic Liberties Project Matt Stoller.
Aber auch unser Leben wird es beeinflussen, wenn iPhone- und Mac-User zukünftig vor allem auf die KI-gestützte Suche des Google-Konkurrenten zurückgreifen – was wiederum die Macht von Apple stärkt, den Wissenszugang seiner Kunden zu beeinflussen. Anlass genug, mehr Licht ins Dunkel der Macht zu bringen.
Alle Artikel dieser Ausgabe:
- Die Wall Street will, dass sich Google aufspaltet Die Wall Street hat das kartellrechtliche Risiko für Google und Apple erkannt. Anleger befürchten, dass deren Monopolgewinne bald zu Ende sein könnten. Google solle sich aufspalten, fordern Analysten. Matt Stoller
- Zoodirektoren und artgerechte Menschenhaltung Ökonomen denken wie Nutzviehhalter: Statt für ein artgerechtes Umfeld zu sorgen, zählt für sie nur der Ertrag. Werner Vontobel
- AfD-Gutachten: Mehr als nur ein Kollateralschaden Das geleakte Geheimgutachten des Verfassungsschutzes ist ein Dokument der Willkür. Indem auch harmlose Äußerungen als verfassungsfeindlich eingestuft werden, legt die Behörde Hand an die Meinungsfreiheit. Sebastian Müller
- Der Krieg in der Ukraine ist unlösbar Trumps Friedensbemühungen waren von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und so bleibt das wahrscheinlichste Szenario ein langwieriger Krieg. Thomas Fazi
- Rückverteilung: „Systemische Fragen wurden eher ausgeblendet“ Was passiert, wenn eine Millionenerbin ihr Vermögen verschenkt? Im Fall von Marlene Engelhorn sorgt genau das für Schlagzeilen – doch eine neue Studie zeigt: Während der für die „Rückverteilung“ zuständige Bürgerrat vor allem über strukturelle Faktoren von Ungleichheit diskutiert, sieht die mediale Berichterstattung deutlich anders aus. Malte Kornfeld
- Ein Handelsdefizit ist kein Diebstahl… … doch die Wirklichkeit ist keine Ausrede – eine nützliche Erkenntnis in der faktenfreien Welt, in der US-Präsident Donald Trump agiert. Dirk Bezemer
- Geld und die Wissenschaft der Macht Das Wesen der Macht liegt darin, dass sie ein Geheimnis bleibt. Was das heute für unser Verständnis vom Geld bedeutet. Yotam Givoli und Yigal Wagner
- Auf lange Sicht sind wir alle tot? Die gängigen Lesarten seines Ausspruchs „Auf lange Sicht sind wir alle tot“ haben Keynes‘ Denken völlig verkannt. Keynes ging es nicht darum, die Auseinandersetzung mit der Zukunft und ihren Möglichkeiten zu diskreditieren, sondern um eine Kritik von Zukunftsvorstellungen, die lediglich die Gegenwart extrapolieren. Stefan Eich