50-Prozent-Zölle

Jetzt zahlt die EU den Preis für ihr überholtes Wirtschaftsmodell

| 27. Mai 2025
IMAGO / Sammy Minkoff / Rainer Unkel

Donald Trump will zum 9. Juli 50-Prozent-Zölle auf Waren aus der EU verhängen. Der US-Präsident begründet das unter anderem mit einer unausgewogenen Handelsbilanz der EU. Und damit hat er einen Punkt.

Am Freitag kündigte Donald Trump einen drastischen Zoll von 50 Prozent auf Waren aus der Europäischen Union an, der am 1. Juni 2025 in Kraft treten sollte, sofern die EU nicht erheblichen Handelszugeständnissen zustimmt. Kurz darauf gewährte Trump nach einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Aufschub bis zum 9. Juli. Von der Leyen hatte um mehr Zeit für Verhandlungen gebeten.

Dennoch hat die erneute Zoll-Eskalation – zuvor galt noch ein reduzierter Zollsatz von 10 Prozent (der nach dem 8. Juli auf 20 Prozent steigen sollte) – diplomatische Turbulenzen ausgelöst und die Finanzmärkte einmal mehr in Aufruhr versetzt.

Trump begründet seinen Vorstoß mit „unfairen“ Handelsbarrieren und einer unausgewogenen Handelsbilanz. Die EU exportiert jährlich Waren im Wert von 550 Milliarden US-Dollar in die USA. Im Vergleich dazu beliefen sich die US-Exporte in die EU im Jahr 2022 auf 351 Milliarden US-Dollar. Sein Ziel, auf diese Weise Verhandlungen zu erzwingen, hat der US-Präsident nun schon einmal erreicht.

Dieses Muster aggressiver Handelsrhetorik erinnert an seine erste Amtszeit, in der Trump häufig Zölle angekündigte, aber nach stärkerem Gegenwind manchmal wieder abschwächte. Die EU, ein wichtiger Verbündeter der USA und der größte Handelsblock der Welt, steht nun vor der entscheidenden Frage, wie sie mit diesem wirtschaftlichen Ultimatum umgehen will.

Die EU-Spitzenpolitiker reagierten mit maßvoller Zurückhaltung und signalisierten den Wunsch, einen umfassenden Handelskrieg zu vermeiden, während sie sich zugleich auf Gegenmaßnahmen vorbereiten. EU-Handelskommissar Maros Sefcovic betonte das Bekenntnis zu einem „Abkommen auf der Grundlage von Respekt, nicht von Drohungen“. Der irische Premierminister Micheál Martin bezeichnete die Zollandrohung als „enorm enttäuschend“ und argumentierte, sie untergrabe eine wichtige Handelsbeziehung und die globale wirtschaftliche Stabilität. Bundesaußenminister Johann Wadephul schloss sich dieser Meinung an, warnte vor negativen Auswirkungen solcher Zölle auf beide Volkswirtschaften und forderte die EU auf, den Marktzugang aufrechtzuerhalten.

Die EU hat bereits Gegenzölle in Höhe von 108 Milliarden Dollar vorbereitet, die US-Güter wie Agrarprodukte und Maschinen betreffen. Diese Vorbereitungen spiegeln die Lehren aus Trumps erster Amtszeit wider, als die EU auf US-Zölle auf Stahl und Aluminium mit Abgaben auf amerikanischen Whiskey und Motorräder reagierte. Dennoch gibt sich Brüssel gelassen. Alles deutet auf eine Strategie der Deeskalation hin, während man sich auf die Folgen der Zölle vorbereitet.

Trumps vorherige Kehrtwende bei den China-Zöllen lässt vermuten, dass er zu Kompromissen bereit sein könnte, doch eine ähnliche Revision ist im Fall der EU derzeit unwahrscheinlich. Zum einen wäre eine weitere 180-Grad-Wende für den US-Präsidenten politisch peinlich. Zum anderen hat die EU weniger Trümpfe in der Hand als China. Die USA wären von einem Handelskrieg mit Europa weit weniger betroffen als von einer Konfrontation mit dem Reich der Mitte. Selbst wenn europäische Importe mit hohen Zöllen belegt würden, ist es unwahrscheinlich, dass die Regale in den US-Läden leer bleiben würden.

Vor allem aber: Bei einem Großteil der als „chinesische Exporte“ in die USA bezeichneten Waren handelt es sich um amerikanische Produkte, die in China hergestellt werden – was bedeutet, dass der Löwenanteil des Warenwerts an US-Unternehmen fließt. Folglich sind genau diese Unternehmen am stärksten von den Zöllen betroffen – einer der Hauptgründe für Trumps Rückzieher. Für europäische Exporte in die USA gilt das nicht.

Unabhängig davon hat Trump durchaus einen Punkt, wenn er die EU unfairer Handelspraktiken bezichtigt. Die EU hat in den letzten Jahrzehnten – und insbesondere nach der Eurokrise von 2010/2011 – die Binnennachfrage durch Sparpolitik, Haushaltskürzungen und Lohnkompression systematisch gedämpft.

Dieser selbst auferlegte deflationäre Kurs (der die dem Euro innewohnende Deflationsneigung noch verstärkt hat) war kein Zufall, sondern eine bewusste Strategie, um die preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene zu stärken und gleichzeitig die Importe zu reduzieren.

Auf diese Weise hat sich die EU ein merkantilistisches, exportorientiertes Wachstumsmodell zu eigen gemacht, das Handelsüberschüsse über die interne wirtschaftliche Entwicklung stellt. Dieser Ansatz geht zu Lasten sowohl der eigenen Bürger, die mit stagnierenden Löhnen und unterfinanzierten öffentlichen Dienstleistungen konfrontiert sind, als auch der Handelspartner – allen voran der Vereinigten Staaten –, die die Exportüberschüsse der EU im Rahmen einer zunehmend unausgewogenen globalen Wirtschaftsordnung aufgefangen haben.

Trumps Zölle sind daher als Chance für die Europäer zu sehen, sich endlich mit den tiefgreifenden Mängeln des exportorientierten Wirtschaftsmodells der EU auseinanderzusetzen – eine längst überfällige Aufarbeitung. Kurzfristig könnte sich die EU zudem wirtschaftlich und geopolitisch an China annähern, um den Einfluss der USA weiter zu schwächen.

Leider ist keines dieser Szenarien wahrscheinlich. Das wahrscheinlichste Ergebnis ist, dass die EU weiter Trumps konfrontativer Haltung gegenüber China folgt und sich davon Handelszugeständnisse von den USA erhofft. Alles in dem Bestreben, ein Wirtschaftsmodell zu retten, das durch die sich abzeichnende postliberale Weltordnung zunehmend überholt ist.